Ein selbstbewusster Gelehrter traf auf den Zen-Meister. Er wollte seine Weisheit mit der des Meisters messen. In der Stille des Treffens lud der Zen-Meister den Gelehrten ein, Tee zu trinken. Doch der Zen-Meister goss weiter, bis die Tasse überlief.
Verwirrt rief der Gelehrte: „Meister, die Tasse läuft über!“
Der Zen-Meister antwortete: „Dein Geist ist wie diese Tasse, gefüllt mit deinen Gedanken. Solange du ihn nicht leerst, kann ich dir nichts beibringen.“
Der Gelehrte erkannte seine Begrenzungen und gestand seine inneren Kämpfe: „Es gibt Menschen und Dinge, die mich quälen. Ich weiß, ich sollte loslassen, aber ich kann es nicht. Was soll ich tun?“
Der Zen-Meister sagte: „Es gibt nichts, was man nicht loslassen kann.“
Der Gelehrte entgegnete: „Diese Dinge sind mir wie ein unauflösbares Band.“
Der Zen-Meister reichte ihm eine Tasse und ließ heißes Wasser hineinfließen, bis sie überlief. Der Gelehrte ließ die Tasse sofort los.
„Es gibt nichts, was man nicht loslassen kann“, sagte der Meister. „Wenn der Schmerz zu groß wird, lässt du von selbst los.“
Der Gelehrte erwiderte: „Diese Dinge verursachen mir tiefes Leid, aber ich kann nicht loslassen.“
Der Zen-Meister fragte: „Was wäre passiert, wenn du vorhin die Tasse nicht losgelassen hättest?“
„Verbrennung“, sagte der Gelehrte.
„So wie du leidest, aber nicht loslässt.“ Brachte der Zen-Meister die Sache auf den Punkt. Der Gelehrte versank tief in Gedanken.
Dann gingen sie im Wald spazieren. Sie kamen zu einem mächtigen Baum, und der Meister wies den Gelehrten an, einen starken Ast zu greifen und sich festzuhalten.
„Wie lange kannst du so hängen?“ fragte der Zen-Meister.
„Ich weiß es nicht“, antwortete der Gelehrte, „aber ich werde es versuchen.“
„Für immer?“ fragte der Meister weiter.
„Nichts ist für immer“, gestand der Gelehrte. „Wenn meine Kräfte schwinden, muss ich loslassen.“
„Genau wie bei den Schmerzen des Herzens“, sagte der Zen-Meister. „Wenn die Kräfte schwinden, lässt du von selbst los.“
Die Wahrheit zu erkennen, ist vielen gegeben, doch das Loslassen bleibt die Prüfung der Weisen. In dieser vergänglichen Welt klammern wir uns oft an Dinge, als wären sie ewig. Doch alles Leben ist flüchtig, wie die Sonne, die hinter den Bergen verschwindet. Wir selbst sind zerbrechlich – wie Kerzen im Wind, Seifenblasen im Licht oder Tautropfen im Morgen. Das Streben, das Vergängliche festhalten zu wollen, bringt unvermeidlich Leid. Wir sollten uns nicht dem endlosen Schmerz hingeben, bis wir gezwungen sind, loszulassen.
Kategorien:Anekdoten

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