
Im fahlen Licht eines trüben Herbstmorgens lag sie da – eine Gestalt, kaum mehr als ein Hauch zwischen den Laken, ihr Atem flach, der Blick verloren am Fenster. Draußen tanzte der Wind durch die Äste einer alten Platane, deren Blätter sich, eines nach dem anderen, leise von den Zweigen lösten und zu Boden glitten wie fallende Stunden.
„Wenn das letzte Blatt fällt“, flüsterte sie, „werde ich gehen.“
Die Pfleger schwiegen, der Arzt senkte den Blick. Niemand widersprach – als hätte der Tod selbst ihre Worte unterschrieben.
Im Haus lebte ein alter Maler, dessen Hände die Jahre gezeichnet hatten, doch dessen Herz noch immer für das Leben schlug. Als er von der Frau und ihrem stillen Pakt mit dem fallenden Baum erfuhr, nahm er in der tiefen Stille der Nacht seine Farben zur Hand.
Mit zärtlicher Geduld malte er ein Blatt – nicht irgendeines, sondern ein Ebenbild der Platane vor dem Fenster: Adern wie aus goldenem Licht, ein Grün, das schimmerte wie die Erinnerung an einen Frühling der Kindheit.
Dann stieg er, Tritt für Tritt, die knarrende Leiter hinauf, und unter dem atmenden Himmel des frühen Morgens befestigte er das gemalte Blatt am kahlen Ast – als wolle er dem Wind ein Geheimnis anvertrauen, das stärker war als der Tod.
Der nächste Morgen kam. Die Frau öffnete mühsam die Augen – und ihr Blick fiel auf ein einzelnes Blatt, das sich hartnäckig am Ast hielt. Während ringsumher immer mehr Blätter fielen, blieb dieses eine still und standhaft.
Tage vergingen. Der Baum wurde kahl, der Wind bitter. Doch das Blatt blieb.
Und so, inmitten von Verfall und Abschied, wuchs in ihr etwas, das niemand mehr für möglich gehalten hatte: ein leises, kaum wahrnehmbares Ja zum Leben.
Sie überlebte. Nicht durch Medizin. Nicht durch Zufall. Sondern durch ein einziges Zeichen von Mitgefühl – ein grünes Blatt, das sich weigerte zu fallen.
Kategorien:Anekdoten
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