Anekdote: Für mich bist du immer ein Engel

Der Himmel über der kleinen Küstenstadt ist schwer und bleiern. Ein Taifun ist angekündigt, der Wind frischt bereits auf. In den Straßen herrscht hektisches Treiben – Fenster werden verriegelt, Dächer gesichert, Vorräte gehortet.

Auch in einem kleinen Haus geht eine Mutter unermüdlich von Raum zu Raum, sichert, räumt, kontrolliert.
„Dieser verfluchte Taifun …“, murmelt sie, während sie ein Fenster schließt.

Ihre kleine Tochter steht neben ihr, still, die Arme um ein Stofftier geschlungen.
„Ich mag Taifune“, sagt das Mädchen leise.

Die Mutter hält inne, blickt verwundert auf. „Was hast du gesagt?“
„Ich mag Taifune“, wiederholt sie, fast flüsternd, aber fest.

Die Mutter runzelt die Stirn. „Aber Taifune machen alles kaputt. Sie reißen Bäume aus, zerstören Häuser, lassen das Licht ausgehen. Was soll daran schön sein?“

Das Mädchen schaut zu ihr auf.
„Einmal war beim Taifun das Licht ausgegangen. Du hast Kerzen angezündet. Ich durfte eine tragen und durchs Zimmer gehen. Und du hast gesagt, ich sehe aus wie ein Engel.“

Die Mutter schweigt. Ihre Gedanken, eben noch beim Sturm, sind plötzlich ganz woanders.
Ein Augenblick taucht auf – schwaches Licht, das Flackern einer Kerze, ein Mädchen mit leuchtenden Augen.
Und ein Satz, beiläufig gesprochen, fast schon vergessen.
Aber für dieses Kind war er geblieben.

Sie lässt den Stapel Decken fallen, geht zu ihrer Tochter, kniet sich hin, nimmt sie in die Arme.
„Für mich bist du immer ein Engel“, sagt sie leise.

Draußen beginnt der Wind zu heulen. Doch drinnen wird es still.
Nicht, weil der Sturm nachlässt –
sondern weil ein Satz geblieben ist.
Ein einfacher Satz, fast überhört,
und doch stark genug, ein Herz zu wärmen.
Wie eine Kerze im Dunkeln.

Manchmal ist es nur ein Wort, das bleibt –
und mehr bewirkt, als man je gedacht hätte.



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