
Besprechung buddhistischer Themen anhand auserwählter Pali-Sutten
1. Einleitung
2. Die Flut queren (SN 1.1)
3. Die drei Glaubensstandpunkte (AN 3.61)
4. Die unzulänglichen Ansichten (AN 10.93)
5. Das Gleichnis der Trommel (SN 20.7)
6. Kassapa (SN 16)
Im Zuge unserer Lehrredenbetrachtungen richten wir den Blick in diesem Beitrag auf Kassapa, einen der großen Schüler Gautama Buddhas. Die chinesischen Zen Schulen betrachten ihn als ihren Ahnlehrer und beanspruchen eine ununterbrochene Abfolge von Generationen von Meistern von ihm direkt bis auf den heutigen Tag. Berühmt aus der Zen Überlieferung ist die Legende von jener Versammlung, in der Gautama anstelle einer Lehrrede schweigend eine Blume hochhielt und Kassapa, als einziger verstehend, lächelte.
Da Kassapa also eine wichtige Rolle im chinesischen Buddhismus und speziell im Zen spielt, wollen wir nun versuchen, aus den Lehrredensammlungen so etwas wie eine Biografie Kassapas zusammenzustellen. Dazu bietet sich vorzüglich die 16. Lehrredengruppe der Sammlung der gruppierten Lehrreden Gautama Buddhas an, die Kassapa Samyutta (SN 16). Was für ein Bild wird hier vom Ahnlehrer des Zen gezeichnet?
Den Auftakt der Lehrredengruppe bildet eine Reihe von kurzen Texten mit identischem Aufbau, in denen Kassapa von Gautama jeweils für eine bestimmte Eigenschaft gelobt und als Vorbild für die Bhikkhus bezeichnet wird: Erwähnt werden seine ungewöhnliche materielle Genügsamkeit, seine Disziplin und Energie sowie seine hervorragende Meisterung der Versenkungsstufen. Jede dieser Reden endet mit dem Satz
„Bhikkhus, ich ermutige euch am Beispiel Kassapas oder jemandes, der Kassapa gleich ist. So ermutigt mögt ihr entsprechend praktizieren.“
Sodann lesen wir in aufeinander folgenden Lehrreden, wie Gautama wünscht, dass der neben ihm sitzende Kassapa der anwesenden Versammlung einen Dharmavortrag geben soll. Das ist ein bekannter Zug von Gautama, er bindet fortgeschrittene Schüler gerne in seine Lehrtätigkeit ein und lässt sie in seiner Anwesenheit Lehrreden halten. Kassapa lehnt aber erstaunlicherweise ab mit der Begründung, dass das Verhalten (Sila) einiger der Bhikkhus zu wünschen übrig lässt. Die Lehrreden drehen sich im weiteren Verlauf jeweils um diese Defizite wie Nachlässigkeit, Zerstreutheit, Ego-befangenheit. Kassapa spielt weiters keine Rolle mehr. Aber für uns, die wir uns ja auf die Person des Kassapa konzentrieren wollen, bietet sich mit diesen Episoden das Bild eines selbstbewussten und strengen Vortragenden, der durchaus schroff wirken kann. Drängt sich nicht gar der Eindruck auf, dass Kassapa in Bezug auf die Disziplin strenger als Gautama Buddha selber ist? Denn wir werden wohl kaum annehmen, dass Gautama die betreffenden Mängel der Bhikkhus übersehen hat? Und doch schwieg er diesbezüglich. Bis hierher haben wir also den Eindruck eines strengen, ernsthaften Schülers gewonnen, der im zwischenmenschlichen Umgang durchaus mal schroff und schwierig sein kann.
In der neunten Lehrrede dann wird Kassapa von Gautama mit besonderen Worten gelobt. Das Schema der Lehrrede besteht darin, dass die Errungenschaften, die Gautama im Laufe seiner Übung erreicht geht, mit den üblichen Worten aufgezählt werden – die diversen Versenkungsstufen, die sogenannten „überweltlichen“ Errungenschaften und Fähigkeiten, die er im Zuge des Erwachens gemeistert hat. Das wäre im Detail Stoff genug für einen eigenen Beitrag, soll hier aber beiseite gelassen werden, um nicht abzuschweifen. Der uns hier interessierende Punkt ist ein gleichlautender Satz, der jeden dieser Abschnitte im Text abschließt:
„Kassapa ebenfalls – in welchem Umfang auch immer er es wünscht, tritt darin ein und verweilt darin.“
Es werden Kassapa also explizit alle Errungenschaften Gautama Buddhas zugeschrieben, bis hin zum abschließenden Höhepunkt, nämlich:
„Kassapa ebenfalls – durch die Zerstörung der Fesseln, gerade in diesem Leben, tritt er in die fleckenlose Befreiung des Geistes ein, in die Befreiung durch Weisheit, verwirklicht sie für sich mit direkter Erkenntnis.“
Was wird hier geschildert? Die Sprache der Lehrreden ist einerseits sehr formelhaft, sehr fürs Auswendiglernen und Rezitieren zurechtgemacht. Andererseits ist sie sehr exakt und so deutlich wie nur möglich. Bei vielen Schülern Gautamas wird das Erreichen des Zieles mit ein wenig anderen Worten beschrieben. Die Betonung der „Befreiung durch Weisheit“ mit „direkter Erkenntnis“ scheint Kassapa auszuzeichnen. Vermeiden wir, uns zu sehr in Spekulationen über das Erwachen an sich zu verstricken. Aber der Eindruck, dass diese Formulierung schon sehr nach späteren Zen-Meistern klingt, drängt sich auf.
Wir haben also bis jetzt das Bild einer Persönlichkeit mit Ecken und Kanten, die sich oft von der Mönchsgemeinschaft zurückzieht und alleine in der Wildnis übt. Gautama hält sehr viel von ihm, bescheinigt ihm hohe Fähigkeiten und Errungenschaften und geht sehr freundschaftlich mit ihm um. Er scheint ein Charakter gewesen zu sein, der sich kompromisslos auf einmal ins Auge gefasste Ziele konzentrieren konnte und der sehr strebsam war.
In der 11. Lehrrede der Kassapa Samyutta, SN 16.11 erzählt Kassapa selbst seinen Lebenslauf.
Den Anlass gab ein Disput zwischen Ananda und Kassapa. Die Lehrreden berichten uns von wiederholten Begebenheiten, bei denen die beiden aneinandergeraten. Sie haben sich nicht gut miteinander vertragen. In diesem Fall griffen zuhörende Bhikkhunis (Nonnen) auf Seiten Anandas in das Streitgespräch ein und kritisierten Kassapa als „früheren Angehörigen einer anderen Sekte“. Da will Kassapa gleich etwas klarstellen: seitdem er die Lebensweise eines Samanas – eines Wanderasketen – führte, hat er niemals einen anderen Lehrer als Gautama Buddha akzeptiert. Denn bevor er Gautama kennenlernte, war er zwar bereits in die Hauslosigkeit gezogen, aber unabhängig. Auf eigene Faust suchte er den Weg zum Erwachen. Er beschreibt den großen Wendepunkt seines Lebens so:
„Ich wanderte eine Straße entlang, als ich den Erhabenen beim Bahuputta Schrein zwischen Rajagaha und Nalanda sitzen sah. Ihn sehend, dachte ich mir: wenn ich überhaupt jemals einen Lehrer sehe, so ist es dieser Erhabene, den ich sehe. Wenn ich überhaupt jemals einen Begünstigten sehe, so ist es dieser Erhabene, den ich sehe. Wenn ich überhaupt jemals einen vollkommen Erwachten sehe, so ist es dieser Erhabene, den ich sehe. Dann verneigte ich mich eben da an den Füßen des Erhabenen und sagte: verehrter Herr, der Erhabene ist mein Lehrer, ich bin sein Schüler. Verehrter Herr, der Erhabene ist mein Lehrer, ich bin sein Schüler.“
Wieder einmal sehen wir Kassapa als jemanden, der entschlussfreudig ist und genau weiß, was er will.
Gautamas Antwort lautet so:
„Kassapa, würde jemand, der nicht weiß und nicht sieht, gegenüber einem Schüler dessen Geist so völlig einsgerichtet wie deiner ist, behaupten er wisse und sähe, so würde sein Kopf platzen. Aber wissend, Kassapa, sage ich „ich weiß“, und sehend sage ich „ich sehe“.“
Das ist ein hohes Lob an einen völlig unbekannten Wanderasketen. Aber man sagt ja von den Tathagathas, dass sie die Gemüter der Menschen lesen können wie wir ein offenes Buch. Gautama bescheinigt hier dem noch gar nichts vom Dharma gehört habenden Kassapa, sein Geist sei „völlig einsgerichtet“: im Original steht Sabbacetasa Samanagato. Das heißt also völlig konzentriert, ruhig und klar.
Würde man so einer Person gegenüber als Lehrer unaufrichtig sein und sich Errungenschaften zuschreiben, die man nicht hat, so „würde einem der Kopf platzen“? Ich habe das nur ein wenig frei formuliert, Bhikkhu Bodhi übersetzt das Pali wörtlich mit „His head would split“. Welch farbige Worte die altindische Sprache doch nicht für Sachen findet, die sozusagen gar nicht gehen, für Sachen, mit denen man sich unmöglich macht!
Gautama spricht es aber dennoch betont aus – „er weiß und er sieht“. In ganz wenigen Worten hat er hier sowohl Kassapas wie auch seine eigenen Errungenschaften bestätigt. Und unverzüglich gibt es drei Übungsanweisungen für den neuen Schüler:
„Daher, Kassapa, sollst du so üben: ich will einen ernsthaften Sinn für Scham und Furcht vor Fehltritten gegenüber Älteren, Neuordinierten und Mittleren entwickeln.“
Unter der „Scham“ verstehen die Lehrredensammlungen ein Streben nach der korrekten Verinnerlichung der Mönchsregeln, einen Wunsch nach richtigem Verhalten in der Mönchsgemeinschaft. Die „Furcht vor Fehltritten“ ist komplementär dazu der Wunsch, falsches Verhalten zu vermeiden. Ist es wegen Kassapas schroffem Charakter, dass ihm Gautama dies als erste Übung aufgibt? Oder ist Kassapa im Gegenteil später so streng zu seinen Mitmönchen geworden?
„Daher, Kassapa, sollst du so üben: wann immer ich irgendeinen Dharma höre, der heilsam ist, will ich ernsthaft zuhören, ihn als Sache von größter Bedeutung nehmen, meinen ganzen Geist darauf ausrichten.“
Denn die innere Haltung, mit der man Lehrinhalte aufnimmt, macht einen großen Unterschied. Es wäre schade, spirituelle Themen wie einen Zeitvertreib oder als Hobby zu behandeln. Denn dann würde auch sehr wenig dabei herauskommen.
„Daher, Kassapa, sollst du so üben: ich will die auf den Körper gerichtete, mit Freude verbundene Achtsamkeit nie aufgeben.“
Als drittes bekommt Kassapa eine Achtsamkeitsübung auferlegt. Das ist ja in der Buddhalehre sehr gebräuchlich. Dennoch, es scheint ein sehr reduziertes, minimalistisches Programm zu sein. Wieder kann man hier einen Eindruck vom „Geschmack des Zen“ gewinnen. So macht sich Kassapa nun auf.
„Für sieben Tage, Freunde, ass ich die Spendennahrung der Bevölkerung als Schuldner, aber am achten Tag erwuchs entgültiges Wissen.“
Es war eine schöne Formulierung in den Mönchsgemeinschaften des alten Indien, dass der Bhikkhu die Spenden der Leute, von denen er sich ernährt, sozusagen so lange auf Kredit verzehrt, bis er erwacht. Dann erst hat er seine Schulden bei seinen Spendern beglichen. Davon abgesehen verkündet Kassapa hier Erstaunliches: dass zwischen seinem ersten Treffen mit Gautama und seinem Erwachen nur eine Woche verging! Die Lehrrede geht unmittelbar weiter mit folgender schönen Szene. Als Gautama und Kassapa gemeinsam eine Straße entlang wandern, will Gautama unter einem Baum Rast machen. Kassapa legt seine Robe ab, faltet sie und bietet sie dem Lehrer als Sitzunterlage an. Auf die Bemerkung Gautamas über die hohe Stoffqualität der Robe bietet Kassapa sofort an, die Roben zu tauschen, so dass Gautama die neue bekommt und Kassapa die abgetragene, unansehnliche Gautamas weiterverwendet.
Die selbstbewussten Schlussworte Kassapas in seiner Erzählung sollen nun auch unseren Beitrag abrunden:
„Wenn man, Freund, richtigerweise über jemanden aussagen kann: er ist ein Sohn des Erhabenen, geboren aus seiner Brust, geboren aus seinem Mund, geboren aus dem Dharma, geschaffen durch das Dharma, ein Erbe des Dharma, ein Empfänger alter, abgetragener Roben – dann bin ich es, über den man solches aussagen kann.“
–> Fortsetzung: 7. Das Ende der Welt (SN 2.26)
Kategorien:Palikanon - Nikayas (Agamas)
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