
Besprechung buddhistischer Themen anhand auserwählter Pali-Sutten
1. Einleitung
2. Die Flut queren (SN 1.1)
3. Die drei Glaubensstandpunkte (AN 3.61)
4. Die unzulänglichen Ansichten (AN 10.93)
5. Das Gleichnis der Trommel (SN 20.7)
6. Kassapa (SN 16)
7. Das Ende der Welt (SN 2.26, AN 4.45)
Das Thema des heutigen Beitrags ist die 45. Lehrrede des Viererbuches der Anguttaranikaya (AN 4.45), der nummerierten Lehrreden Gautama Buddhas – die Rohitassa Sutta. Sie kommt wortgleich auch in der Sammlung der gruppierten Lehrreden Gautama Buddhas vor (SN 2.26). Dort findet sie sich in der Devaputta Samyutta, der Lehrredengruppe über die Göttersöhne.
Im Jetawald bei Savatthi wird Gautama Buddha zu vorgeschrittener Nacht von dem Göttersohn Rohitassa besucht, der folgende Frage stellt:
„Ist man wohl imstande, Herr, durch Wandern das Ende der Welt zu kennen, zu sehen oder zu erreichen, da wo es weder Geburt gibt, noch Altern und Sterben, weder Entstehen noch Verscheiden?“
Eine seltsame Vorstellung ist es wohl für unser zeitgenössisches Weltbild, welche dieser Frage zugrunde liegt. In früheren Epochen der Menschheit war es jedoch ein weltweit verbreitetes Bild, dass man übernatürliche, selige Welten durch physische Reisen erreichen kann. Die Märchen und Sagen weltweit sind voll von Erzählungen, in denen es Wanderer in Welten verschlägt, in denen sie nicht Altern, in denen ewiges Glück herrscht usw. Der Mensch und seine Vorfahren waren übrigens in prähistorischen Zeiten ausgesprochene „Wandervögel“, der jeweils nächste Horizont muss ständig eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf sie ausgeübt haben. Noch im 12. Jahrhundert etwa mühten sich manche europäische Gelehrte damit ab, den physischen Standort des christlichen Paradieses auf der Weltkugel zu lokalisieren! Wenig später begann dann ja auch mit verbesserter Schiffbautechnik die Zeit der europäischen Entdeckungen und Eroberungen. Unser Devaputta Rohitassa ist also bei weitem nicht der einzige mit solchen Ambitionen.
Nun ist der Begriff „Ende der Welt“ zwiespältig: Ist das dort, wo die Welt aufhört oder ist das der Zeitpunkt des Untergangs der Welt? Offensichtlich meint Rohitassa in seiner Frage ersteres. Gautama wird später aber mit beiden Bedeutungen des Begriffs hantieren. Solche Wortspiele sind typisch für seine Gesprächsführung. Zunächst einmal verneint er die Frage des Göttersohnes geradeheraus:
„Nicht ist man imstande, sage ich, Freund, durch Gehen das Ende der Welt zu kennen, zu sehen oder zu erreichen, da wo es weder Geburt gibt, noch Altern und Sterben, weder Erstehen noch Abscheiden.“
Überraschend ist, wie Rohitassa nun auf die klar verneinende Antwort Gautamas reagiert: Er stimmt vorbehaltlos zu. Es scheint fast, er hat Gautama nur auf seine Einsicht geprüft. Nun rückt er mit dem Hintergrund seiner Frage heraus: Einst, in einer früheren Geburt, war er entschlossen, ans Ende der Welt zu wandern, starb aber unterwegs, obwohl er „magiegewaltig pfeilschnell die Luft durchschreiten konnte“, wie er sich ausdrückt. Ich erlaube mir hier, Rohitassas farbenfrohe Schilderung seiner Reise stark zu kürzen, damit uns Platz für Reflexionen bleibt. Jedenfalls ist er sich mit Gautama einig, dass der Versuch, mit „Magiegewalt“ das „Ende der Welt“ zu erreichen, zum Scheitern verurteilt ist. Irgendetwas Grundsätzliches scheint da nicht zu stimmen.
Gleicht Rohitassa womöglich jemandem, der auf Biegen und Brechen spirituelle Zustände erzwingen will? Sein Ziel ist das Ende der Welt, ist darin etwa eine Flucht aus seinem Alltag, seinen Lebensumständen, die er nun mal eben zu meistern hat, zu erkennen? Das ist nur eine der vielen möglichen Sinnebenen bei solchen Texten, die einen Sagen- und Märchenton aufweisen. Ein anderer Umstand, der uns auffallen kann: Er will sich selbst gar nicht ändern – er will, so wie er ist, ganz naiv buchstäblich das Ende der Welt sehen. Ist das nicht banale Neugier? Sein Weltbild scheint das eines Durchschnittsmenschen zu sein: „Ich“ bin „in der Welt“; im nächsten Schritt folgert er nun, die kann ich doch auch verlassen, oder? Das klingt spannend. Als „magiegewaltiger Göttersohn“ ist mir doch alles möglich? Dann mal los!
Wie wir es schon gewohnt sind, gibt Gautama dem Gespräch eine andere Wendung. Wie immer holt er seine Gesprächspartner dort ab, wo sie sind, und führt sie behutsam auf seinen Weg:
„Wahrlich, so sage ich, Freund: Nicht ist man imstande, durch Gehen das Ende der Welt zu erreichen, da, wo es weder Geburt gibt, noch Altern und Sterben, weder Entstehen noch Abscheiden. Doch nicht kann man, sage ich, Freund, ohne der Welt Ende erreicht zu haben, dem Dukkha ein Ende machen.“
Bisher hat Gautama sozusagen Aufklärung betrieben, hat verkehrte Metaphysik zurückgewiesen. Im letzten Satz dieser Wiederholung klärt er aber die Aufklärung auch noch auf: Obwohl man das Ende der Welt nicht erreichen kann, ist dieses Unmögliche notwendig, weil sonst das Ungenügen des Daseinskreislaufs immer nur weiter und weiter geht. Das klingt fast wie ein Zen Paradox, aber die Auflösung ist einfach:
Das aber verkünde ich, Freund: in eben diesem klafterhohen, mit Wahrnehmung und Bewusstsein versehenen Körper, da ist die Welt enthalten – (nämlich) der Welt Entstehung, der Welt Ende und der zu der Welt Ende führende Pfad.
Diesen schlichten Absatz halte ich für sehr, sehr wichtig. Wenn man diese Aussage verinnerlicht hat, dann hat man von der Buddhalehre schon viel verstanden. In der Sprache des 21. Jahrhunderts kann man die Aussage so ausdrücken: Was der Buddha lehrt, geht die existentielle Verfasstheit des Menschen an. Es ist nicht theoretisch, nicht philosophisch, schon gar nicht theologisch. Es geht nicht um die Welt „da draußen“, nicht um Konzepte und nicht um „Wissenschaft“, sondern um die Welt „da drinnen“, natürlich nicht um deine Organe, sondern um dein Bewusstsein, deinen „Herz-Geist“.
Viele Lehrreden klingen unscheinbar, eher wie nette Geschichten, wie unsere Geschichte von Rohitassa hier. Man ist versucht, sie abzutun, weil keine schwierigen Lehrinhalte behandelt werden. Hoffentlich ist es mir gelungen zu zeigen, dass gerade in dieser Art von Lehrreden im Gegenteil oft die unverzichtbaren Grundlagen der Buddhalehre vermittelt werden können.
Die Lehrrede schließt mit von Gautama gesprochenen Versen ab. Ich gebe sie unverändert im schönen alten Deutsch von Nyanatiloka wieder, geschrieben in den Jahren um 1910. Ergänzt werden die Verse in der gleichen Zeile um den Palitext, so dass wir wieder einmal ein Beispiel für den Klang der Poesie dieser altindischen Sprache haben.
Durch Gehen kann man nie gelangen Gamanena na pattabbo
Bis an das Ende dieser Welt Lokassanto kudacanam
Doch ohne dies erreicht zu haben Na da appatva lokantam
Wird man vom Leiden nimmer frei Dukkha atthi pamocanam
Daher ein weiser Weltenkenner Tasma have lokavidu sumedho
Der, heilig, hin zum Ende kam Lokantagu vusitabrahmacariyo
Der, still geworden, um das Weltenende weiß Lokassa antam samitavi natva
Verlangt nicht mehr nach dieser Welt und jener Nasisati lokamimam paranca
Kategorien:Palikanon - Nikayas (Agamas)
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