Beitragsreihe: Wie kam der Buddhismus nach China?
Kap. 1: Die Anfänge der chinesischen Philosophien und Religionen
Kap. 2: Die Durchsetzung des Buddhismus in der Wei- und Jin-Zeit (220-420 n. Chr.)
Kap. 3: Die Ausgestaltung des chinesischen Buddhismus in den Nord-Süd-Dynastien (420-589 n. chr.)
Teil 18: Die Schule der Abhandlung zum Zehn-Stufen-Sutra und der Bodhisattvaweg
18-1: Einleitung
18-2: Über das Zehn-Stufen-Sutra
Die Verbindung zum Avatamsaka Sutra
Das Zehn-Stufen-Sutra ist ein Kapitel im Huayan Sutra (Chinesisch: 華嚴經 huayan jing; Sanskrit: Avatamsaka Sutra). Eine erste Übersetzung des Huayan Sutra ins Chinesische wurde im 5. Jahrhundert von dem indischen Mönch Buddhabhadra (佛陀跋陀罗, 359–429 n. Chr.) vorgenommen. Doch erst mit der erneuten Übersetzung des Mönchs Siksananda (实叉难陀, 652–710 n. Chr.) in der Tang-Dynastie im 7. Jahrhundert begann sich die Huayan-Schule zu entwickeln. Diese Schule integrierte das „Zehn-Stufen-Sutra“ als einen zentralen Bestandteil ihrer Lehren. Vor dieser Zeit war das Kapitel aus dem Huayan Sutra eigenständig bekannt und weit verbreitet.
Schriften über die zehn Stufen der Bodhisattvapraxis
Die zehn Stufen der Bodhisattvapraxis finden sich auch in anderen Sutren wie dem Samdhi-Nirmocana-Sutra und dem Lankavatara-Sutra. Es ist daher davon auszugehen, dass sie unter den buddhistischen Schulen in Indien bekannt und geläufig waren. Ein anderes Konzept mit ebenfalls zehn Stufen ist in den Prajna Paramita Sutren enthalten. Dort geht es aber nicht ausschließlich um die Bodhisattvapraxis, sondern auch um die Stufen der Hörer und Einzelerwachten (Hinayana). Der Pali-Kanon erwähnt ebenfalls die Stufe der Buddhaschaft, liefert jedoch keine detaillierten Ausführungen zum Weg dorthin. Die zehn Stufen, die explizit die Entwicklung eines Bodhisattvas zur Buddhaschaft beschreiben, sind grundsätzlich nur im Zehn-Stufen-Sutra zu finden.
Kumarajivas Übersetzung
Die erste Übersetzung des Zehn-Stufen-Sutra ins Chinesische wurde von Kumarajiva (344-413 n. Chr.) im 4. Jahrhundert durchgeführt. Laut seiner Biografie hatte Kumarajiva große Schwierigkeiten bei der Übersetzung. Dies wird im Werk Die Biografien der großen Mönche der Liang-Dynastie (Chin.: 梁高僧传) des Mönchs Huijiao 慧皎 (497–554 n. Chr.) beschrieben:
Mehr als einen Monat lang bestanden Zweifel und Unklarheiten, und er war noch unsicher, ob er den Sinn erfasst hatte und das Richtige niederschreiben würde. Erst als Buddhayasas (Chin.: 佛陀耶舍) ankam, klärten sie die Zweifel gemeinsam und die Bedeutung wurde schließlich festgelegt. [1]
Buddhayasas stammte aus Nordindien und war ein renommierter buddhistischer Gelehrter. Er war einer der Lehrer von Kumarajiva, bevor dieser im Jahr 401 n. Chr. ins Reich der Späten Qin reiste. Obwohl Kumarajiva bereits viele Sutren übersetzt hatte, erwies sich das Zehn-Stufen-Sutra aufgrund seiner philosophischen Tiefe, sprachlichen Komplexität und der Notwendigkeit einer präzisen Interpretation als besonders anspruchsvoll. Selbst mit seiner Übersetzung wurde die Bedeutung des Werkes erst durch Vasubandhus Kommentar (Dasabhumika-vibhasa-sastra, 十地經論) weitreichend verstanden und bekannt. Das Zehn-Stufen-Sutra enthält zahlreiche komplexe Mahayana-Konzepte, die ohne zusätzliche Erläuterungen schwer verständlich waren. Vasubandhu, einer der Begründer der Yogacara-Schule (Nur-Bewusstsein-Schule), erklärte die zehn Stufen des Bodhisattva-Wegs detailliert und systematisierte sie philosophisch.
Vasubandhu und die Nur-Bewusstsein-Schule
Vasubandhu (4. Jh. n. Chr.) war zusammen mit seinem Halbbruder Asanga die Gründer der Yogacara Schule, die auch Cittamatra oder Vijnanavada genannt wird. Der chinesische Name der Schule, 唯識宗 wei shi zong, was „Nur-Bewusstsein-Schule“ bedeutet, leitet sich von ihrem Kernbegriff ‚Vijnaptimatra-Tathata‘, wörtlich „nur Bewusstsein“, ab. Der Name sagt aus, dass unsere gesamte Erfahrung der Realität ausschließlich durch das Bewusstsein (Vijnana) konstruiert wird und es daher keine von unserem Geist unabhängige äußere Welt in der Weise, wie wir sie wahrnehmen gibt. Diese Aussage findet sich auch im Zehn-Stufen-Sutra, deshalb wird es der Nur-Bewusstsein-Schule zugeordnet. Der Inhalt des Sutras ist so tiefsinnig, dass er sogar Vasubandhu – der ursprünglich ein Gegner der Mahayana-Lehre in Indien war – zu einem Sinneswandel bewegt haben sollte.
Vasubandhus Sinneswandel zum Mahayana
Zu Beginn war Vasubandhu ein Gegner der Mahayana-Lehre und verfasste Werke, die einige ihrer zentralen Konzepte widerlegten. Sein Halbbruder Asanga, ein leidenschaftlicher Verfechter der Mahayana-Tradition, soll ihn schließlich durch das Studium des Zehn-Stufen-Sutras von den Mahayana-Lehren überzeugt haben. Diese Wandlung zählt zu den bedeutendsten in der Geschichte des Buddhismus.
Berichten zufolge soll sich Vasubandhu nach seinem Sinneswandel so sehr über seine früheren Reden gegen die Mahayana-Lehre bereut haben, dass er erwog, sich die Zunge abzuschneiden. Asanga überzeugte ihn jedoch, sich für die Mahayana-Lehre einzusetzen, um seine Fehler wiedergutzumachen.
Ungeachtet der Frage, inwieweit diese dramatischen Berichte über Vasubandhus Wandlung der Tatsache entsprechen, wurde er tatsächlich einer der bedeutendsten Verfechter der Mahayana-Lehre. Vasubandhu verfasste zahlreiche Kommentarwerke zu den Mahayana-Sutren, die maßgeblich zur Verbreitung des Mahayana-Buddhismus beitrugen.
Unter seinen Arbeiten war auch die Übersetzung und Kommentierung des Zehn-Stufen-Sutras, die eine bedeutende Rolle im chinesischen Buddhismus spielte. Seine Kommentare halfen, die zehn Entwicklungsstufen eines Bodhisattvas zu verdeutlichen und für die buddhistische Praxis zugänglich zu machen.
Fortsetzung folgt: Vasubandhus Abhandlung und die Dilun Schule –>
<– Einleitung
[1] 于時羅什出《十住經》。一月餘日,疑難猶豫,尚未操筆。耶舍既至,共相徵決,辭理方定。——《梁 高僧傳卷第一佛陀耶舍五》
Lektorat: Ursula Presslauer, Birgit Seissl, Florian Feld, Pascal Hauser, Jörg Hollenstein, Alexander Maurer, Roland Parth
Korrekturen mit Unterstützung von ChatGPT (OpenAI)
Kategorien:Abahndlung zum Zehn-Stufen-Sutra, Buddhismus China

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