
Beitragsreihe: Wie kam der Buddhismus nach China?
Kap. 1: Die Anfänge der chinesischen Philosophien und Religionen
Kap. 2: Die Durchsetzung des Buddhismus in der Wei- und Jin-Zeit (220-420 n. Chr.)
Kap. 3: Die Ausgestaltung des chinesischen Buddhismus in den Nord-Süd-Dynastien (420-589 n. chr.)
Teil 18: Die Schule der Abhandlung zum Zehn-Stufen-Sutra und der Bodhisattvaweg
18-1: Einleitung
18-2: Über das Zehn-Stufen-Sutra
18-3: Vasubandhus Abhandlung und die Dilun Schule
18-4: Der Auftakt: Die Versammlung im himmlischen Palast
18-5: Was bedeuten die zehn Stufen der Bodhisattvapraxis?
18-5-1: Die vierzig weltlichen und zehn heiligen Stufen
Bevor man sich mit den Zehn Stufen der Bodhisattva-Praxis (十地) befasst, ist zunächst zu klären, dass diese Stufen den heiligen Bereich der Bodhisattvapraxis darstellen. Der Weg bis zur Verwirklichung der Buddhaschaft wird im Mahayana Buddhismus in fünf Pfade eingeteilt:
- Pfad der Ansammlung der Ressourcen (Chin. 資糧位, Skt. sambhara-marga) – Durch das Kultivieren und Sammeln verschiedener Tugenden wie Großzügigkeit, ethisches Verhalten usw., um die Ressourcen für Verdienst und Weisheit zu bilden
- Pfad der Übungsvorbereitung (Chin. 加行位, Skt. prayoga-marga) – Nachdem Verdienst und Weisheit ausreichend vorbereitet sind, übt man vorbereitende Übungen, indem man sich auf die wahre Natur ausrichtet, wodurch die die Natur wahrhaftig erkennende Weisheit entsteht, um sich auf die Erreichung des Erwachens vorzubereiten
- Pfad der Einsicht (Chin. 見道位, Skt. darsana-marga) – die erste direkte Erkenntnis der Leerheit und der wahren Natur der Phänomene
- Pfad der Praxis (Chin. 修道位, Skt. bhavana-marga) – Vertiefung in die Praxis und Festigung der Einsicht und Weisheit, um sich endgültig auf die Buddhaschaft vorzubereiten
- Pfad der Verwirklichung (Chin. 證道位, Skt. anubhava-marga) – das Erreichen des höchst vollkommenen Erwachens und die Verwirklichung der Buddhaschaft
Die zehn heiligen Stufen entsprechen dem Pfad der Einsicht und Praxis. Das bedeutet, sie setzen den Pfad der Ansammlung der Ressourcen und der Übungsvorbereitung voraus, welche die Stufen im weltlichen Bereich darstellen. Diese Pfade werden im Zehn-Stufen-Sutra nicht behandelt, sondern finden sich in anderen Kapiteln des Avatamsaka-Sutra (華嚴經, Huayan jing).
Der Pfad der Ansammlung von Ressourcen wird dort in die folgenden vierzig Praxisstufen eingeteilt:
- Die zehn Stufen des Vertrauens (Chin. 十信) – Inneres Fundament
→ Entwicklung von Vertrauen, Entschlossenheit und geistiger Reife als Grundlage für den Bodhisattva-Weg. - Die zehn Stufen des Verweilens (Chin. 十住) – Verankerung im Dharma
→ Der Bodhisattva verweilt gefestigt im Dharma, vertieft seine Weisheit und bestärkt seinen Bodhicitta (Geist des Erwachens). - Die zehn Stufen des Handelns (Chin. 十行) – Mitfühlende Praxis
→ Selbstloses, mitfühlendes Handeln zur Sammlung von Verdiensten zum Wohle aller Wesen. - Die zehn Stufen der Widmung (Chin. 十迴向) – Hingabe an alle Wesen
→ Widmung aller Verdienste und Tugenden zur Befreiung aller Wesen und zur Erlangung der Buddhaschaft.
Der Pfad der Übungsvorbereitung besteht aus vier Praktiken, die am Ende der Stufe der Widmung kultiviert werden, wie folgt:
- Wärme (Chin. 暖): Erste Anzeichen der Weisheit und ein gewisses Verständnis der Leerheit beginnen sich zu entwickeln, ähnlich wie die Vorwärme vor einem Feuer.
- Gipfel (Chin. 頂): Das Verständnis der Leerheit vertieft sich und erreicht einen Höhepunkt, kurz vor der direkten Erfahrung.
- Geduld (Chin. 忍): Der Praktizierende erlangt eine unerschütterliche Akzeptanz der Leerheit und kann sich ohne Angst oder Zweifel in ihr aufhalten.
- Die höchste weltliche Stufe (Chin. 世第一): Dies ist die unmittelbarste Nähe zur ersten heiligen Stufe, zum Pfad der Einsicht. Die Weisheit ist so weit entwickelt, dass der Durchbruch zur direkten Einsicht kurz bevorsteht.
Da diese weltlichen Stufen nicht Gegenstand des Zehn-Stufen-Sutras sind, wird an dieser Stelle nicht näher auf sie eingegangen. Eine ausführlichere Erläuterung erfolgt später im Zusammenhang mit der Huayan-Schule, die auf dem Avatamsaka-Sutra basiert. Wir behandeln nun direkt die zehn heiligen Stufen. Diese werden in der buddhistischen Weltanschauung als fortgeschrittene Entwicklungsstadien eines Bodhisattva angesehen, der auf das höchst vollkommene Erwachen eines Buddha zusteuert – ohne Rückfallgefahr. Zu betonen ist es nochmals, dass diese Stufen auf die Hilfe anderer abzielt und für jene, die nur das eigene Erwachen suchen (Sravakas und Pratyekabuddhas), nicht benötigt und angestrebt werden. Wenn es beim Letzteren vor allem um die Durchtrennung der eigenen geistigen Fesselungen geht, geht es bei diesen Bodhisattvastufen um die Erlangung von Fähigkeiten und Weisheiten zur Befreiung anderer Wesen. Zu Beginn des ersten Kapitels wird die Eigenschaft des Bodhisattva-Geistes (Bodhicitta) wie folgt beschrieben:
Das Sutra sagt: Aus dem Wunsch, die Weisheit und alle Kräfte eines Buddhas zu erlangen, große Furchtlosigkeit zu erreichen, das Prinzip der Gleichheit aller Dharma-Lehren eines Buddhas zu verstehen, die Wesen aller Welten zu retten, das große Mitgefühl zu läutern, die restlose Weisheit in allen Himmelsrichtungen zu gewinnen, eine ungehinderte, reine Erkenntnis aller Welten zu erlangen, in einem einzigen Gedanken die drei Zeiten zu durchschauen und das große Rad des Dharma ohne Furcht zu drehen – aus all diesen Gründen entfaltet der Bodhisattva-Mahasattva diesen Geist des Erwachens (Bodhicitta).— Aus „Die Abhandlung zum Zehn-Stufen-Sutra – Erste Stufe der Freude“[1]
Dies sind die Grundlagen oder Motivationen, die den Bodhisattva zur Entfaltung des Bodhicitta inspirieren. Die Entschlossenheit des Bodhisattvas in der vorangegangenen Vorbereitungsphase war der Anfang und der Same für das Bodhicitta. Jetzt hat er das Bodhicitta endgültig verwirklicht. Aus dem Same wächst nun die Frucht heran. Dann beschreibt das Sutra die Eigenschaften dieses Geistes:
Dieser Geist hat das große Mitgefühl als seine Wurzel. Er wächst durch Weisheit und ist geprägt durch geschickte Mittel. Er ist zutiefst geradlinig, tiefgründig und rein. Er nimmt die unermessliche Kraft des Tathagata in sich auf und erkennt klar die Fähigkeiten der fühlenden Wesen. Er folgt der natürlichen Weisheit, nimmt mühelos alle Lehren der Buddhas auf und lehrt durch Weisheit. Er ist so weit und umfassend wie das Dharma-Reich (Bereich aller Erscheinungen), ist endgültig leer wie das All und wirkt bis ans Ende aller Zeiten. — Aus „Die Abhandlung zum Zehn-Stufen-Sutra – Erste Stufe der Freude“[2]
Mit diesen unermesslichen Eigenschaften, vor allem Mitgefühl und Weisheit, wird der Bodhisattva die Buddhaschaft verwirklichen und zunächst in die heilige Stufe eintreten:
Wenn ein Bodhisattva diesen Geist entwickelt, überschreitet er in diesem Moment den Bereich gewöhnlicher Wesen und tritt in den Stand eines Bodhisattvas ein. […] Nachdem er alle Pfade der Welt (weltliche Denkweisen und Verhaftungen) überschritten und die Pfade jenseits der Welt (die zum Nirvana führen) betreten hat, verweilt er inmitten der Prinzipien und Praktiken der Bodhisattvas und hat ihren angemessenen Zustand erreicht. Er tritt in die ultimative Realität aller Zeiten, inmitten des innewohnenden Potenzials zur Buddhaschaft ein. So wird er gewisslich und endgültig die höchste vollkommene Erleuchtung (anuttara-samyak-sambodhi) erlangen. Ein Bodhisattva, der in diesem Dharma verweilt, wird als jemand bezeichnet, der die Freudvolle Stufe des Bodhisattva erreicht hat – weil er im unerschütterlichen Dharma lebt. — Aus „Die Abhandlung zum Zehn-Stufen-Sutra – Erste Stufe der Freude“[3]
Mit der Verwirklichung dieses Geistes des Erwachens tritt der Bodhisattva in die erste heilige Stufe ein. Dieser heilige Pfad verläuft dann durch zehn Stufen, bevor der Bodhisattva die Buddhaschaft verwirklicht:
- Stufe der Freude (Chin.歡喜地, Skt. pramuditabhumi)
- Stufe der Makellosigkeit (Chin. 離垢地, Skt. vimalabhumi)
- Stufe der Klarheit (Chin. 明地, Skt. prabhakaribhumi)
- Stufe der Flamme (Chin. 焰地, Skt. arcismatibhumi)
- Stufe der außergewöhnlichen Überwindung (Chin. 難勝地, Skt. sudurjayabhumi)
- Stufe der unmittelbaren Manifestation (Chin. 現前地, Skt. abhimukhibhumi)
- Stufe des weitreichenden Fortschritts (Chin. 遠行地, Skt. durangamabhumi)
- Stufe der Unerschütterlichkeit (Chin. 不動地, Skt. acalabhumi)
- Stufe der geschickten Weisheit (Chin. 善慧地, Skt. sadhumatibhumi)
- Stufe der Dharma-Wolken (Chin. 法雲地, Skt. dharmameghaabhumi)
Fortsetzung folgt: Vasubadhus Kommentar zu den Namen der zehn heiligen Stufen–>
<– Der Auftakt: Die Versammlung im himmlischen Palast
[1] 經曰:為得佛智故、為得十力力故、為得大無畏故、為得佛平等法故、為救一切世間故、為淨大慈悲故、為得十方無餘智故、為得一切世界無障淨智故、為得一念中覺三世事故、為得轉大法輪無所畏故,菩薩摩訶薩生如是心。——《十地經論初歡喜地卷之二》
[2] 經曰:是心以大悲為首,智慧增上,方便善巧所攝,直心深心淳至,[攝取]如來力無量,善決定眾生力智力,隨順自然智能受一切佛法,以智慧教化,廣大如法界,究竟如虛空,盡未來際。——《十地經論初歡喜地卷之二》
[3] 經曰:菩薩生如是心,即時過凡夫地入菩薩位,[…] 過一切世間道入出世間道,住菩薩法中、住在菩薩正處,入三世真如法中、如來種中,畢定究竟阿耨多羅三藐三菩提。菩薩住如是法,名住菩薩歡喜地,以不動法故。——《十地經論初歡喜地卷之二》
Lektorat: Ursula Presslauer, Birgit Seissl, Florian Feld, Pascal Hauser, Jörg Hollenstein, Alexander Maurer, Roland Parth
Korrekturen mit Unterstützung von ChatGPT (OpenAI)
Kategorien:Abahndlung zum Zehn-Stufen-Sutra, Buddhismus China
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