Die drei Glaubensstandpunkte (AN 3.61)

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Besprechung buddhistischer Themen anhand auserwählter Pali-Sutten

1. Einleitung

2. Die Flut queren (SN 1.1)

3. Die drei Glaubensstandpunkte (AN 3.61)

In der Sammlung der nummerierten Lehrreden (Anguttaranikaya) Gautama Buddhas lautet die 61ste Lehrrede des Buches der Drei „Die drei Glaubensstandpunkte“ (Titthayatanasutta). Sie soll das Thema zweier aufeinander folgender Beiträge sein. Dabei verwende ich die Übersetzungen, die einer der ersten deutschen Bhikkhus, Anton Gueth (Nyanatiloka), zwischen 1907 und 1922 nach und nach erstellte. Er ging zielsprachenorientiert vor. Das heißt im Interesse eines flüssigen, verständlichen Textes in schönem gehobenen Deutsch erlaubte er sich manchmal freiere Umschreibungen des Originals. Daher benötigt sein Text zuweilen Eingriffe für unseren Zweck. Dennoch hat er oft sehr gelungene deutsche Formulierungen gefunden, die nach 100 Jahren einen bleibenden Wert haben und aus seiner „Angereihten Sammlung“ eine Art Klassiker aus eigenem Recht machen.

Mit „Glaubenstandpunkte“ übersetzte Nyanatiloka den indischen Begriff „Titthayatanani“. Damit sind von religiösen Führern proklamierte Weltanschauungen oder Ansichten gemeint. Davon gab es im Indien zu Gautamas Zeiten unzählige, und drei davon nimmt er sich in dieser Lehrrede vor, um auf die Gefahren, die in ihnen lauern, hinzuweisen. Dies ist für unsere Gegenwart deswegen besonders interessant, weil gerade diese drei heute ungemein weit verbreitet und populär sind. Wir werden das gleich im Detail sehen. Der Buddha Gautama hat den Menschen draußen, die nicht seine Anhänger werden wollten, nie irgendwelche Vorschriften machen wollen, sondern sie in Ruhe gelassen. Das hinderte ihn aber nie, bei zahlreichen Anlässen seine Meinung zu allen möglichen Themen deutlich, klar bestimmt, aber ohne Polemik kundzutun. Auf Streit ließ er sich nicht ein, aber er schwieg auch nicht aus übertriebener Rücksicht auf „verletzte Gefühle“.

Bei einer Gelegenheit wandte er sich also zu unserem Thema an seine Schüler. Der erste problematische Glaubenstandpunkt lautet:

Es gibt einige Samanas und Brahmanen, die da behaupten und der Ansicht sind, dass was auch immer der Mensch empfindet, sei es Wohl oder Wehe oder weder Wohl noch Wehe, dass dies alles bedingt sei durch frühere Tat.“

Hier ist also von Karma die Rede. Und zwar eben von einem groben, unzutreffenden „Glauben ans Karma“, wie er heute leider mit „Buddhismus“ in Verbindung gebracht wird und wie er in der Esoterik verbreitet ist. Dennoch ordnet ihn Gautama gleich einmal als „andere, unzutreffende Ansicht“ ein.

Gehen wir zunächst gleich zum zweiten:

„Es gibt einige Samanas und Brahmanen, die da behaupten und der Ansicht sind, dass was auch immer der Mensch empfindet sei es Wohl oder Wehe oder weder Wohl noch Wehe, dass dies alles bedingt sei durch Gottes Schöpfung.“

Hier haben wir ganz klar die monotheistischen Religionen unserer heutigen Welt vor uns. Im indischen Text steht „Issara-nimmana-hetu“, wobei interessanterweise Issara „Herr“ bezogen auf einen allmächtigen Schöpfergott bedeutet, genau wie das hebräische „Adonai“ und griechische „Kyrios“ in den biblischen Texten.

Der dritte und letzte in dieser kleinen Aufzählung:

„Es gibt einige Samanas und Brahmanen, die da behaupten und der Ansicht sind, dass was auch immer der Mensch empfindet, sei es Wohl oder Wehe oder weder Wohl noch Wehe, dass dies alles ohne Ursache und Grund geschieht“.

Auch dies ist offensichtlich heute weit verbreitet: der berühmte Zufall, der alles erklären soll. So wenig wie die vorher genannte populäre Karmavorstellung Gautama Buddhas eigene Lehre von Ursache und Wirkung  wiedergibt, so wenig hat ein heute populäres prinzipielles Verneinen von Ursache und Wirkung und damit mit Verantwortung mit dem zu tun, was Naturwissenschaft wirklich über die Welt aussagen kann. Doch schauen wir jetzt zuerst, was Gautama zu diesen drei Ansichten zu sagen hat.

„Diese drei Glaubensstandpunkte gibt es, ihr Bhikkhus. Werden sie von Verständigen geprüft, untersucht und gründlich vorgenommen, dann ergibt sich, dass sie, selbst wenn man ihnen bloß der Tradition wegen folgt, in Untätigkeit enden.“

Ein Folgen einer Lehre „bloß aus Tradition“ ist laut Gautama das schwächste Folgen.

  • Das ist schlecht, wenn es eine gute, heilsame Tradition wäre, denn dann zeigt sie am wenigsten Nutzen verglichen zum Folgen aus eigenem Antrieb.
  • Das ist aber gut, wenn es eine verkehrte, unheilsame Tradition ist, denn sie richtet dann am wenigsten Schaden an, wenn ihr nur gefolgt wird „,weil es immer schon so war“.

Aber selbst in diesem besten Fall führen unsere drei Glaubensstandpunkte dazu, dass man vom Üben, vom Bemühen um den eigenen Geist, entmutigt wird und die Hände in den Schoß legt. Das ist hier hauptsächlich  mit Untätigkeit gemeint.

Gautama berichtet, wie er das Gespräch mit Anhängern dieser drei Ansichten gesucht hat und den Einwand bringt:

„Demnach also, Verehrte, würden die Menschen infolge früherer Tat / Infolge von Gottes Schöpfung / ohne Ursache und Grund zu Mördern, Dieben, Liebestollen, Lügnern, Zuträgern, Schimpfbolden, Schwätzern, Habgierigen, Gehässigen und Verwirrten?“

Er zieht das Fazit:

„Wahrlich, Bhikkhus, denjenigen, die sich auf frühere Tat / auf Gottes Schöpfung / auf „ohne Ursache und Grund“ als das Entscheidende berufen, fehlt es an Willensantrieb und Tatkraft und an einem Anlass, dieses zu tun oder jenes zu lassen.“

Es geht Gautama nicht um „die Wahrheit“, also eigentlich seine Wahrheit, wenn er Glaubensstandpunkte kritisiert. Er lässt zunächst jedermanns Ansichten einmal so stehen. Es ist sein Anliegen, auf die jeweiligen Schattenseiten dieser Ansichten aufmerksam zu machen. Einen Gottesglauben etwa lässt er auf sich beruhen, der ist an sich kein Problem. Aber wenn daraus ein Ohnmächtigkeitsgefühl einem persönlichen Gott gegenüber, ein Empfinden des Ausgeliefertseins erwächst, ist das unheilsam. Dann sollte man entweder zu einer anderen Vorstellung von Gott kommen oder das Konzept eines persönlichen Schöpfergottes aufgeben können. Besonders wenn man heutzutage mit Menschen spricht, in welchen die fixe Überzeugung verwurzelt ist, dass man sich (seinen Charakter) nie im Leben verändern kann, dass Einen „Gott ebenso gemacht hat“ und alles haarklein vorbestimmt ist. Sie fühlen sich als hilflose Marionetten in Gottes Hand.

Der Esoterik zugeneigte Menschen könnten wiederum eine Karmalehre verabsolutieren, die sie in die gleiche Falle des Ausgeliefertseins geraten lässt. Zu Gautamas Lebzeiten gab es Lehrer, die genau eine solche Karmalehre vertraten, nach der alles mechanisch aufeinander folgt, so dass jede Art von Bemühungen um irgendetwas völlig sinnlos wäre. Gautamas eigene Lehre von Ursache und Wirkung unterscheidet sich sehr davon.

Säkulare Zeitgenossen erliegen oft der Versuchung, aus einem materialistischen Weltbild die völlige Verantwortungslosigkeit des Einzelnen abzuleiten.

Wie aber sieht nun Gautamas eigener „Glaubensstandpunkt“ aus? Was hat er selbst nach dem Verwerfen der obigen drei Ansichten als Alternative anzubieten?

„Die von mir verkündete Lehre (das Dharma) aber, Bhikkhus, ist einwandfrei, ohne Makel, vorwurfsfrei, ungetadelt von Verständigen. Welches ist nun dieses Dharma?“

Selbstbewusste Worte lässt er da hören. Das ist eben der stolze „Löwenruf“, den der Tathagatha erschallen lässt.

„Dies sind die sechs Dhatus – so ist von mir der Dharma verkündet worden.“

Nyanatiloka hat hier das Wort „Elemente“ als Übersetzung gewählt. Das scheint mir ungeschickt, weil man dabei an Physik und Chemie denken könnte. Der Text will eher von Erfahrungsqualitäten sprechen. In der Buddhalehre werden das Feste, das Flüssige, die Hitze oder Wärme, der Wind, der Raum und das Bewusstsein als diese sechs Qualitäten genannt.

„Dies sind die sechs Grundlagen der Sinneseindrücke – so ist von mir der Dharma verkündet worden.“

Wie erfährt der Mensch seine Umwelt, welche gerade in die genannten sechs Wahrnehmungen unterteilt wurde? Dazu benötigt er eine Befähigung zum Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten und als Geistgrundlage dazu ein Bewusstsein.

„Dies sind die achtzehn geistigen Erwägungen – so ist von mir der Dharma verkündet worden.“

Nimmt der Mensch eine „Form“ wahr, reagiert er darauf mit 3 möglichen Erwägungen: mit „Frohsinn, Missmut oder Gleichmut“, wie Nyanatiloka schön übersetzt. Da oben sechs mögliche Wahrnehmungsarten aufgezählt werden, ergeben sich so die achtzehn geistigen Erwägungen.

„Dies sind die vier edlen Wahrheiten – so ist von mir der Dharma verkündet worden.“

Diese Kernaussage der Buddhalehre wird jetzt nicht mit der bekannten Standardformel aufgezählt, sondern unser Text wird detaillierter:

„Mit Bezug worauf wurde das gesagt? Abhängig von den sechs Elementen (Dhatus) findet die Empfängnis des Embryo statt. Wo aber Empfängnis, da ist Name und Form. Dadurch bedingt sind die sechs Sinnesgrundlagen, dadurch bedingt ist der Sinneseindruck, und dadurch bedingt ist Fühlen. Mit Hinsicht auf den Fühlenden aber lehre ich, was Ungenügen ist, was die Entstehung des Ungenügens ist, was das Erlöschen des Ungenügens ist und den Pfad, der zum Erlöschen des Ungenügens führt.

Das ist also ein Auszug aus der bekannten „Kette des bedingten Entstehens“. So lautet die Antwort Gautamas, wenn er seine eigene Alternative zu den drei Glaubensstandpunkten anbieten soll. Die Buddhalehre geht immer von der menschlichen Erfahrung aus und schreitet dann fort. Konzepte und Vorstellungen wie die drei Glaubensstandpunkte spielen darin keine große Rolle. Statt darüber zu diskutieren, ob ein Schöpfergott oder der Zufall die Welt gemacht hat, besteht das Angebot Gautama Buddhas darin, erst einmal zu schauen, was das überhaupt ist: die Welt, und wie wir Menschen etwas von ihr erfahren können. Mit Hinweis auf den Fühlenden, den konkreten einzelnen Menschen also betreffend, lehrt er die vier edlen Wahrheiten:

  1. Was aber, Bhikkhus, ist die edle Wahrheit des Ungenügens? Geburt, Alter, Krankheit Sterben sind mühsam. Sorge, Jammern, Schmerz, Trübsal und Verzweiflung sind Leiden. Nicht erlangen, was man begehrt, ist schmerzhaft. Kurz gesagt, den fünf Gruppen des Anhaftens ist das Ungenügen wesentlich. Das nennt man die edle Wahrheit des Ungenügens.
  2. Was aber, Bhikkhus, ist die edle Wahrheit von der Entstehung des Ungenügens? Durch Verwirrung bedingt sind die Sankhara, dadurch bedingt ist Bewusstsein, durch Bewusstsein bedingt ist Name und Form, dadurch bedingt sind die sechs Sinnesgrundlagen, dadurch bedingt ist Sinneseindruck, dadurch bedingt ist Fühlen, dadurch bedingt ist Begehren, dadurch bedingt ist Anhaften, dadurch bedingt ist der Werdeprozess, dadurch bedingt ist Geburt, durch Geburt aber entstehen Alter, Sterben, Sorge, Jammer, Schmerz, Trübsal und Verzweiflung.
  3. Was aber, Bhikkhus, ist die edle Wahrheit vom Aufhören des Ungenügens? Durch die restlose Aufhebung des Unwissens kommt es zum Aufhören der Sankhara, durch Aufhören der Sankhara kommt es zum Aufhören von Bewusstsein, durch Aufhören des Bewusstseins kommt es zum Aufhören von Name und Form, dadurch kommt es zum Aufhören der sechs Sinnesgrundlagen, dadurch kommt es zum Aufhören von Sinneseindruck, dadurch kommt es zum Aufhören des Fühlens, dadurch kommt es zum Aufhören von Begehren, dadurch kommt es zum Aufhören des Anhaftens, dadurch kommt es zum Aufhören des Werdeprozesses, dadurch kommt es zum Aufhören von Geburt. Durch Wegfallen der Geburt fallen Altern, Sterben, Sorge, Jammer, Schmerz, Trübsal und Verzweiflung weg. So kommt es zum Aufhören dieses ganzen Ungenügens.
  4. Was aber, Bhikkhus, ist die edle Wahrheit vom Pfad? Eben dieser achtfache Pfad ist es.

Die Glaubensstandpunkte sind gedankliche Konzepte. Die Buddhalehre dagegen ist es zunächst zwar genau so, aber nur, um überhaupt kommunizieren zu können. Der wichtigste Schritt ist es dann, ihre Inhalte wie eben die abhängige Entstehung oder die vier edlen Wahrheiten selbst erfahren und nachvollziehen zu können. Dann werden aus Konzepten selbstverständliche lebendige Erfahrungen, die man nicht mehr glauben muss, sondern die man gemacht hat.

(Übersetzung der Zitate auf Basis jener von Nyanatiloka mit Abänderungen vom Autor)

–> Fortsetzung: 4. Die unzulänglichen Ansichten



Kategorien:Palikanon - Nikayas (Agamas)

1 Antwort

  1. Gottes Schöpfung ist in der christlichen Welt ein sehr besetzer Begriff.
    Ich habe mir die Stelle in der Anguttaranikaya angesehen, da steht das aber genau mit diesen Worten. Ich habe andere Stellen in den Lehrreden von Buddha in Erinnerung, da ist dieses Thema etwas allgemeiner, ungefähr so aufgegliedert:
    1) Wohl oder Wehe oder weder Wohl noch Wehe, ist bedingt durch eigene frühere Taten.
    2) Wohl oder Wehe oder weder Wohl noch Wehe, ist bedingt durch andere Ursachen/Gründe.
    3) Wohl oder Wehe oder weder Wohl noch Wehe, ist geschieht ohne Ursache und Grund.

    • Was dem Begriff „Gottes Schöpfung“ anbelangt, ist immer zu hinterfragen, was darunter vorgestellt wird. In Bezug auf das Umfeld des Gautama Buddhas im damaligen Indien handelt sich beim gegebenen Zitat wohl um den frühhinduistischen „Brahma“. Abgesehen davon, inwiefern die indische Vorstellung des Schöpfergottes „Brahma“ mit der abendländischen Gottesvorstellung vergleichbar ist, geht es beim gegebenen Zitat nicht um den Schöpfergott an sich, sondern um die Menschen, die ihr Glauben nur der Tradition gemäß folgen und ihre Charakterzüge oder ihre Geisteseigenschaften als vorbestimmt und nicht veränderbar sehen. So wie Alex im Beitrag schreibt, dass diese selbst „vom Üben, vom Bemühen um den eigenen Geist, entmutigt wird und die Hände in den Schoß legt.“ Sein Anliegen beschäftigt sich daher nicht mit dem Gottesglaube, sondern mit dem „Ohnmächtigkeitsgefühl einem persönlichen Gott gegenüber, ein Empfinden des Ausgeliefertseins…“

      Buddha bringt mit der Bedingungskette seine Auffassung der Ursache des Ungenügens und der Leiden und darauf basierend den Weg zur Befreiung. Deiner Formulierung des zweiten Glaubensstandpunktes mit „…anderen Ursachen und Gründen“ ist dann „…außer jene der Lehre Buddhas wie die 4 edlen Wahrheiten und die Bedingungskette“ hinzuzufügen, denn Buddha hat nicht gesagt, dass alle „Ursache und Gründen“ zur Untätigkeit führten.

      So gesehen kann man auch sagen, wenn der Gottesglaube die Menschen zum rechten Pfad bringen würde und sie die rechte Lehre erkennen lässt und dann aus Eigenantrieb sich um die Wandlung des Geistes bemüht, dann ist es nicht so, dass der Gottesglaube in Untätigkeit endet.

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