Lankavatarasutra über das wirkliche Bewusstsein (2)

Beitragsreihe: Wie kam der Buddhismus nach China?

Kap. 1: Die Anfänge der chinesischen Philosophien und Religionen

Kap. 2: Die Durchsetzung des Buddhismus in der Wei- und Jin-Zeit (220-420 n. Chr.)

Kap. 3: Die Ausgestaltung des chinesischen Buddhismus in den Nord-Süd-Dynastien (420-589 n. chr.)

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Teil 15: Lankavatarasutra über das wirkliche Bewusstsein (2)

Was ist aber mit der Erscheinungsform der Wirklichkeit und dem wirklichen Bewusstsein?

Das wird mit einem Gleichnis erläutert:

Mahamati! Es ist so wie Erdpartikel* und Erdklumpen: sie sind weder unterschiedlich noch dasselbe. Genauso wie Gold und Goldschmuck. Mahamati! Wenn Erdklumpen und Erdpartikel verschieden wären, würde kein Erdklumpen durch die Erdpartikel zustande kommen. Weil er aber doch zustande gekommen ist, gibt es keinen Unterschied zwischen ihm und den Erdpartikeln. Wenn es keinen Unterschied zwischen ihnen gibt, ist der Erdklumpen nicht von den Erdpartikeln zu unterscheiden. So ist es, Mahamati! Wenn das transformierende und speichernde Bewusstsein in dessen wirklicher Form verschieden sind, kann das Speicherbewusstsein nicht die Ursache des transformierenden Bewusstseins sein. Wenn sie aber nicht verschieden sind, bedeutet das Erlöschen des transformierenden Bewusstseins auch das Erlöschen des Speicherbewusstseins. Doch es gibt in der Tat kein Erlöschen der wirklichen Form.

*Was hier als Erdpartikel übersetzt wurde, ist das chinesische Wort 微塵 wei chen , was wörtlich für „Fein-Staub“ steht, und bedeutet in der indischen Philosophie das das kleinste Teilchen, aus welchen die Materie bestehen soll, ähnlich wie Atome.

Hier bringt das Sutra plötzlich die Begriffe „transformierendes und speicherndes Bewusstsein“ ein, ohne sie vorher erwähnt und erklärt zu haben. Es klingt so, als wären diese für die Zuhörer bereits sehr geläufige, allgemeine Begriffe zu sein. Das Speicherbewusstsein ist die Ansammlung von Prägungen aus dem differenzierenden Bewusstsein. Das transformierende Bewusstsein wandelt die Prägungen im Zusammenspiel mit den von den Sinnesgrundlagen erfassten und differenzierten Objekten in Manifestationen. Das Speicherbewusstsein ist somit die Ursache des Transformationsbewusstseins. Ursache und Wirkung sind unterschiedlich in der Form aber nicht verschieden in ihrer gegenseitigen Bedingung des Entstehens und Vergehens. Hier wird das Speicherbewusstsein als Erdpartikel für den Erdklumpen und Gold für Goldschmuck dargestellt.

Spätere Vertreter der Nur-Bewusstsein-Schule verwenden den Begriff „Speicherbewusstsein“ als die Bezeichnung für das befleckte Bewusstsein, hier im Lankavatarasutra aber wird es mit dem wirklichen (unbefleckten) Bewusstsein gleichgesetzt, welches eben nicht erlöscht werden kann:

Mahamati! Es gibt daher kein Erlöschen der wirklichen Form des Bewusstseins, sondern nur ein Aufhören ihrer Wirkungsformen (Karma). Wenn die wirkliche Form erlöschen sollte, wird das Speicherbewusstsein ebenfalls erlöschen. Mahamati! Ein Erlöschen des Speicherbewusstseins würde sich nicht vom Vernichtungsglaube der anderen Schulen unterscheiden. Die anderen Schulen behaupten nämlich: „Die Kontinuität des Bewusstseins endet ebenfalls, wenn das Erfassen der Sinnenwelten aufhört. Die anfangslose Kontinuität endet, wenn die Kontinuität des Bewusstseins aufhört.“ [1]

Was beendet ist, ist die Kontinuität der trügerischen, differenzierenden Bewusstseinszustände, die durch illusionäre Gedanken geprägt sind. Wie bereits erwähnt, geschieht dieser Prozess durch das „manifestierende Bewusstsein“, das aufgrund der „unvorstellbaren Prägung und Wandlung“ des „die Objekte differenzierenden Bewusstseins“ allerlei Erscheinungsformen (Merkmale, Manifestationen) hervorbringt. Diese stellen die „Erscheinungsformen/Merkmale der Transformation und Wirkung“ dar, die vom transformierenden und speichernden Bewusstsein herbeigeführt werden. Wenn alle diese Transformationen und Wirkungen erlöschen, kommt der Prozess des „Entstehens, Verweilens und Vergehens der Bewusstseine durch Kontinuität und Erscheinungsformen/Merkmale“ zu Ende.

Damit finden wir Anschluss zum Beginn unseres Zitates „Die Bewusstseine haben drei Arten von Erscheinungsformen/Merkmalen: die der Transformation, Wirkung und Wirklichkeit.“ Was beendet wird, sind also die Erscheinungsformen/Merkmale der Transformation und Wirkung (Karma), aber nicht jene der Wirklichkeit. Ähnlich wie Erdpartikel und Erdklumpen oder Gold und Goldschmuck sich in ihrer Form unterscheiden, aber dennoch nicht voneinander zu trennen sind, da Erdpartikel und Gold jeweils die Grundlage für Erdklumpen bzw. Goldschmuck bilden. Erdklumpen und Goldschmuck können vergehen, aber Erde und Gold bleiben unverändert. Die eigentliche Form des Bewusstseins, die als Grundlage für transformierende und speichernde Bewusstseinsprozesse dient, ändert sich daher nicht mit dem Entstehen und Vergehen der Erscheinungsformen von Transformationen und Wirkungen.

Es gibt offensichtlich Unterschiede zwischen der Buddhalehre und den anderen Schulen hinsichtlich dessen, was unter dem Ende des transformierenden und speichernden Bewusstseins zu verstehen ist. Letztere gehen davon aus, dass das Ende des ‚Erfassens der Sinneswelten‘ und somit das ‚Ende der Kontinuität des Bewusstseins‘ erreicht wird, und behaupten, dass es dann keine ‚anfangslose (unermessliche) Kontinuität‘ gibt. Dies könnte den Eindruck erwecken, dass das Bewusstsein durch die Vernichtung der Sinne zerstört wird. Dies ist jedoch erstens der falsche Weg und zweitens ein falsches Verständnis vom Ende der Kontinuität des Bewusstseins. Da das eigentliche Bewusstsein als Grundlage weder entsteht noch vergeht, gibt es keinen Anfang und kein Ende der Kontinuität des Bewusstseins. Diese Grundlage ist der undifferenzierte, non-dualistische Sinn. Wenn man diese aus einer differenzierten, dualistischen Sichtweise betrachtet, wenn diese, wie oben beschrieben, als ‚trügerisch und nicht real‘ angesehen wird, gerät man noch tiefer in die Irreführung. Um diese Grundlage oder den undifferenzierten Sinn zu verstehen, verwendet das Sutra mehrere Konzepte zur Erklärung: die zweifache Ichlosigkeit, die drei Selbstnaturen, die fünf Arten der Phänomene, die acht Bewusstseine und den Buddhaessenz-Geist usw.

„Die acht Bewusstseine“ wurden zu Beginn im obigen Zitat erwähnt, und zwar „Kurz gesagt gibt es drei Arten der Bewusstseine, ausführlich gesagt haben sie acht Ausprägungen.“ Das Zitat geht jedoch nicht näher darauf ein. Im Laufe des Sutras wird zwar immer wieder von „Citta, Manas und Manovijnana“ gesprochen, aber sie werden nicht ausdrücklich den acht Bewusstseinen oder Ausprägungen der Bewusstseine zugeordnet. Erst im vierten und letzten Kapitel ist eine klare Kategorisierung zu finden.

–> Fortsetzung: Teil 16: Das Lankavatara Sutra über die acht Bewusstseine (1)


[1] 大慧!譬如泥團微塵,非異非不異。金莊嚴具,亦復如是。大慧!若泥團微塵異者,非彼所成;而實彼成,是故不異。若不異者,則泥團微塵應無分別。如是,大慧!轉識藏識真相若異者,藏識非因;若不異者,轉識滅藏識亦應滅。而自真相實不滅。是故,大慧!非自真相識滅,但業相滅。若自真相滅者,藏識則滅。大慧!藏識滅者,不異外道斷見論議。大慧!彼諸外道,作如是論,謂:攝受境界滅,識流注亦滅。若識流注滅者,無始流注應斷。——《楞伽阿跋多羅寶經卷第一》求那跋陀羅譯


(Beiträge mit Korrekturen von Ursula Presslauer, Birgit Seissl, Florian Feld, Pascal Hauser, Jörg Hollenstein, Alexander Maurer und Rolland Parth)




Kategorien:Buddhismus China, Lankavatarasutra

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