
An jenem Nachmittag, als der Himmel über dem Dorf wie ein fahler Seidenschal hing, trat die junge Frau über die Schwelle des alten Hauses. Der Duft nach getrockneten Kräutern und frisch gehacktem Holz umfing sie wie eine leise Erinnerung an Zeiten, die nicht weh taten. Ihre Großmutter saß am Fenster, in jenem Licht, das den Staub tanzen ließ, als wäre er ein Chor winziger Geister, die die Stille bewachten.
„Großmutter“, begann die junge Frau, und ihre Stimme klang, als müsse sie sich erst wieder daran erinnern, wie man spricht. „Ich weiß nicht mehr, wohin mit mir. Dieses Leben… manchmal fühlt es sich an wie ein Fluss, der mich mitreißt, und ich habe keine Kraft mehr, mich gegen die Strömung zu stemmen.“
Die alte Frau sah sie lange an, ohne sie zu unterbrechen. Ihre Augen hatten die Farbe von altem Bernstein, dunkel und ruhig, als könnten sie Tränen speichern, ohne je zu überlaufen.
„Komm“, sagte sie schließlich nur.
Sie führte die Enkelin in die Küche, deren Wände vom Rauch vergangener Winter geschwärzt waren. Dort stellte sie drei Töpfe auf den Herd, füllte sie mit Wasser und entzündete das Feuer, das knisternd erwachte wie ein Tier, das nach langem Schlaf die Glieder streckt.
Eine Weile lang sagten beide nichts. Das Wasser begann zu singen, erst leise, dann lauter, bis es in den Töpfen zu brodeln schien wie die Gedanken der jungen Frau.
Dann legte die Großmutter in den ersten Topf Karotten, in den zweiten Eier, und in den dritten streute sie eine Handvoll Kaffeepulver, das im aufsteigenden Dampf einen warmen Duft verströmte.
Sie warteten. Nur das Pochen der Flammen und das Schlagen des Wassers erfüllten die Küche.
Nach zwanzig Minuten nahm die Großmutter die Töpfe vom Herd und füllte drei Teller. Die Karotten lagen erschöpft da, wie Reisende nach einem langen Weg. Die Eier glänzten unscheinbar, doch verborgen unter ihrer dünnen Schale. Der Kaffee aber war wie eine dunkle, stille Quelle, deren Oberfläche kaum verriet, wie tief sie war.
„Was siehst du?“ fragte die Großmutter.
„Karotten, Eier… und Kaffee“, antwortete die junge Frau und zuckte mit den Schultern.
Die Großmutter nickte nur, gab ihr ein Ei in die Hand. „Schale es.“
Als die junge Frau es öffnete, spürte sie die Härte des Inneren, merkte aber auch, wie leicht sich die äußere Hülle brechen ließ. Danach drückte sie mit der Gabel in die Karotte. Weich, formbar, beinahe erschöpft. Schließlich reichte die Großmutter ihr eine Tasse Kaffee.
Ein Schluck – und auf dem Gesicht der jungen Frau erschien ein Lächeln, das sich anfühlte wie etwas, das wieder nach Hause gefunden hatte.
„Mein Kind“, sagte die Großmutter, und ihre Stimme war warm wie das Feuer im Herd. „Alle drei haben dasselbe überstanden: das kochende Wasser. Aber jedes hat anders darauf geantwortet.“
Sie strich der Enkelin über die Hand, als wollte sie die Worte dort hineinlegen, damit keine davon verlorengehe.
„Die Karotte war fest, doch die Hitze machte sie weich. Das Ei war zerbrechlich, doch nun ist sein Inneres hart geworden. Aber der Kaffee…“
Sie hob die Tasse, und der Dampf malte flüchtige Muster zwischen ihnen.
„…der Kaffee hat nicht nur überstanden, was auf ihn einwirkte. Er hat es verwandelt. Er hat dem Wasser etwas gegeben, das vorher nicht da war. Etwas, das du schmecken kannst, etwas, das den Raum erfüllt.“
Die junge Frau sah in die Teeschale ihrer Großmutter, dann in ihre Augen, und irgendwo dazwischen schien sie einen stillen Übergang zu spüren, ein kaum merkliches Erwachen.
„Was glaubst du, mein Herz?“ fragte die Großmutter leise. „Wenn das Leben kocht und brodelt – was willst du dann sein?“
Die junge Frau antwortete nicht sofort. Aber in der Tiefe ihrer Stille begann etwas zu glimmen: nicht Stärke, nicht Trotz – sondern eine leise Bereitschaft, das Wasser zu färben, statt von ihm gefärbt zu werden.
Kategorien:Anekdoten
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