Beitragsreihe: Wie kam der Buddhismus nach China?
Kap. 1: Die Anfänge der chinesischen Philosophien und Religionen
Kap. 2: Die Durchsetzung des Buddhismus in der Wei- und Jin-Zeit (220-420 n. Chr.)
Kap. 3: Die Ausgestaltung des chinesischen Buddhismus in den Nord-Süd-Dynastien (420-589 n. chr.)
Teil 8: Das Samdhi-Nirmocana-Sutra über die wahre Natur des Nur-Bewusstseins

Das Samdhi-Nirmocana-Sutra gilt als eine der ältesten klassischen Schriften der Nur-Bewusstsein-Schule. Viele Kernkonzepte dieser Schule wurden erst durch dieses Sutra in China bekannt, wie zum Beispiel das Alaya-Bewusstsein, die Drei Merkmale und Nicht-Naturen aller Phänomene sowie die wahre Natur des Nur-Bewusstseins (Vijnaptimatra-Tathata). Der chinesische Name der Schule, 唯識宗 wei shi zong, was „Nur-Bewusstsein-Schule“ bedeutet, leitet sich vom Letzteren ab. Ursprünglich kommt diese Schule aus Indien und wird Yogacara-Schule genannt, was „Die Schule zur Praxis (cara) der Einheit (yoga)“ bedeutet. Die Einheit bezieht sich auf das Einssein des Bewusstseins mit der wahren Natur des Geistes, um somit Dualität und Unterscheidung zu überwinden und Klarheit und Weisheit zu erlangen. Weitere Namen für diese Schule sind Vijnanavada und Cittamatra. Ersterer bedeutet „Die Lehre oder der Weg (vada) des Bewusstseins (vijnana)“, und letzterer „Nur (matra) Geist (citta)“. Der chinesische Name „Nur-Bewusstsein“ sieht nach einer Kombination dieser beiden Begriffe aus. „Citta“ bezieht sich mehr auf den führenden und erlebenden Aspekt des Geistes und ist im Chinesischen eher mit dem Zeichen für Herz-Geist 心 xin vergleichbar. Das chinesische Zeichen für Bewusstsein 識 shi bedeutet wörtlich „kennen, erkennen“ und entspricht mehr der Bedeutung des Sanskrit-Wortes „vijnana“. Mit der Wegbereitung der Nur-Bewusstsein-Schule durch das Samdhi-Nirmocana-Sutra hat sich vermutlich „vijnaptimatra“, sprich: Nur-Bewusstsein 唯识 wei shi, als zentraler Begriff der Schule in China durchgesetzt. Die Yogacara-Schule begann in Indien im Grunde erst mit ihren Gründern Asanga und Vasubandhu, deren Werke zu jener Zeit noch nicht ins Chinesische übersetzt waren. Darunter befindet sich das Werk „Trimsika-vijnaptimatrata 唯识三十颂 wei shi san shi song“ (sprich: Die 30 Versen des Nur-Bewusstseins) von Vasubandhu, welcher später die Grundlage des von Xuanzang, dem Gründer der chinesischen Nur-Bewusstsein-Schule, verfassten Werkes „Die Abhandlung zur Verwirklichung des Nur-Bewusstseins 成为识论 cheng wei shi lun“ bildete und wesentlich zur Namensgebung der Schule in China beitrug.
Der Begriff „die wahre Natur des Nur-Bewusstseins (vijnaptimatra-tathata)“ 唯識真如 wei shi zhen ru zeigt eine Verbindung zwischen der Lehre der Buddhaessenz und der Bewusstsein-Schule auf, da Tathata ein Synonym von Tathagatagarbha, der Buddhaessenz, ist. Im Sutra wird unter anderem dieser Begriff im Kapitel 9 im Zuge des Gesprächs zwischen Buddha Gautama und dem Bodhisattva Maitreya erwähnt:
Wenn ein Bodhisattva bei den reinen, unreinen Phänomenen die wahre Natur (Tathata) wahrhaftig erkennt, dann hat dieser Bodhisattva das endgültige Stadium der Praxis erreicht. Weiterhin gibt es sieben Arten der wahren Natur. Welche sind diese sieben Arten? Es sind:
- die wahre Natur der anfangslosen, bedingten mentalen Formationen;
- die wahre Natur der Merkmale [aller Phänomen], sprich: die Ich-Leerheit und die Dharma-Leerheit;
- die wahre Natur des Nur-Bewusstseins: alle bedingten Formationen sind nur Geist;
- die wahre Natur der Anhaftung, welche die Wahrheit des Leidens erklärt;
- die wahre Natur der falschen Handlungen, welche die Wahrheit des Entstehens des Leidens erklärt;
- die wahre Natur der Reinheit, welche die Wahrheit des Erlöschens des Leidens erklärt;
- die wahre Natur der korrekten Praxis, welche die Wahrheit des Pfades zu Erlöschen des Leidens erklärt.
Was hier als „wahre Natur“ übersetzt ist, ist das Sanskrit-Wort „Tathata“, was wörtlich etwa „So ist es“ bedeutet. Deshalb wird das Wort oft als „Soheit“ übersetzt. Der erste Teil des Wortes „Tatha“ ist das gleiche wie beim „Tathagata“, sprich: der „So Gekommene“. Die beiden Schriftzeichen der chinesischen Übersetzung 真如 zhen ru bedeuten „wahr“ und „so sein“, sprich: „wahres Sein“ oder „wahre Natur“. Diese wahre Natur stellt die Grundlage aller Phänomene dar, welche hier in sieben Bereiche aufgeteilt sind. Diese decken grundsätzlich alle Bereiche der Buddha-Lehre ab.
Im weiteren Verlauf des Zitates werden diese sieben den Wesen, die dem jeweiligen Bereich entsprechen (sprich: Wesen wie gewöhnliche Wesen, Hörer, Einzelerwachte, Bodhisattvas, Buddhas), zugeordnet:
Die wahren Natur der bedingten mentalen Formationen (1.), der Anhaftung (4.) und der falschen Handlung (5.) sind für alle gewöhnlichen Wesen gleich und unterscheiden sich nicht.
Mit den bedingten mentalen Formationen (1.) sind die getrübten Willensbildungen, welche zu Karma-Formationen führen, gemeint. Die Anhaftung (4.) entspricht laut dem Zitat der Wahrheit des Leidens. Die falsche Handlung (5.) führt zum Entstehen des Leidens. Letztere zwei entsprechen die ersten zwei der „vier edlen Wahrheiten“. Alle drei Bereiche sind den gewöhnlichen, verblendeten Wesen zugeordnet.
Die wahren Natur der Merkmale [aller Phänomene] (2.) und des Nur-Bewusstseins (3.) sind für alle Phänomene gleich und unterscheiden sich nicht.
Die wahre Natur der Merkmale aller Phänomene ist laut dem Zitat die Ich-Leerheit 我空 wo kong (atma-sunyata), sprich: leer von eigenständiger Existenz, und Dharma-Leerheit 法空 fa kong (dharma-nairatmya), sprich: alle Phänomene entstehen abhängig von Bedingungen und sind daher leer von Eigenwesen. Die wahre Natur des Nur-Bewusstseins 唯识真如 wei shi zhen ru (vijnaptimatra-tathata) heißt, dass alle Formationen nur Geist sind, oder einfacher: Alles ist nur Geist. Das ist die zentrale Aussage der Nur-Bewusstsein-Schule. Diese zwei Bereiche gelten für alle Wesen.
Die wahre Natur der Reinheit (6.) ist für alle Hörer, Einzelerwachten, Bodhisattvas und höchst vollständig Erwachten (Buddhas) gleich und unterscheidet sich nicht.
Die wahre Natur der Reinheit entspricht der dritten der „vier edlen Wahrheiten“, nämlich die Wahrheit über das Erlöschen des Leidens. Dies trifft für alle Erwachungswesen zu: Hörer, Einzelerwachten, Bodhisattvas und Buddhas.
Die wahre Natur der rechten Praxis (7.), wie das Hören der wundersamen Lehre und die einzelnen Betrachtungen im Samadhi und Vipassana sowie das Erlangen der Weisheit (Prajna), ist für alle gleich und unterscheidet sich nicht.[1]
Die wahre Natur der rechten Praxis entspricht der vierten der „vier edlen Wahrheiten“, sprich: die Wahrheit über den Pfad zum Erlöschen des Leidens. Es wird hier aber nicht der achtfache Pfad angeführt, sondern praktische Übungen wie das Hören der Lehre, die Samadhi (Versenkung), die Vipassana (Einsicht) und die Prajna (Weisheit). Diese gelten wiederum für alle Wesen.
Diese sieben beinhalten die Grundkonzepte der Buddhalehre wie die bedingte Entstehung (1.), die Leerheit (2.), die vier edlen Wahrheiten (4.-7.) und Nur-Bewusstsein (3.). Letzteres ist der Kern der Nur-Bewusstsein-Schule, welcher im Sutra noch weiter ausgeführt wird.
–> Fortsetzung: Teil 9: Das Samdhi-Nirmocana-Sutra über den „Alle-Samen-Herz-Geist“
[1] 彌勒!若菩薩於染、淨法中如實知真如,彌勒!是名菩薩修行至究竟處。復次,彌勒!真如有七種。何等為七?所謂無始有為行相真如;相真如,所謂我空、法空;唯識真如,知有為行惟是心;執著真如,所謂我說苦諦;邪行真如,所謂我說集諦;清淨真如,所謂我說滅諦;正修行真如,所謂我說道諦。彌勒!行相真如、執著真如、邪行真如,此三真如一切眾生平等無差別。彌勒!相真如、唯識真如,此二真如一切法平等無差別。彌勒!清淨真如,聲聞、緣覺、菩薩、阿耨多羅三藐三菩提平等無差別。彌勒!修行真如,如聞妙法,差別觀奢摩他、毘婆舍那,攝取般若平等無差別。——《深密解脫經卷第三 聖者彌勒菩薩問品第九》
(Mit Korrekturen von Ursula Presslauer, Birgit Seissl, Jörg Hollenstein und Alexander Maurer)
Kategorien:Buddhismus China, Samdhi-Nirmocana-Sutra
Hinterlasse einen Kommentar