
——Beitragsreihe: Die Koans zur Geschichte des Zen-Buddhismus
Huineng versteckte sich fünfzehn Jahre lang bei den Jägern im Gebirge. Inzwischen war der fünfte Ahnlehrer, Hongren, verstorben. Shenxiu wurde daraufhin als sein Nachfolger geehrt und erlangte großen Ruhm, insbesondere in der Hauptstadt des Landes, wo er vom Kaiserhof als Meister des Reiches geehrt wurde. Obwohl im buddhistischen Kreise alle davon hörten, dass Huineng den ‚Wahren-Dharma-Auge-Schatz‘ und die Robe erhielt und als der sechste Ahnlehrer ernannt wurde, konnte Huineng währenddessen nur gelegentlich den Jägern in den Bergen am südlichen Rand des Reiches seine Lehre flüchtig kundtun. Doch dann sah er seine Zeit gekommen. Alles begann mit dem berühmten Koan ‚Weder Wind noch Fahne bewegen sich‘, wie es im Podiumsutra steht:
Eines Tages kam es ihm in den Sinn, dass er nun das Dharma zu verbreiten hat und sich nicht immer zurückgezogen halten sollte. Er kam dann zum Kloster Faxing in der Stadt Guangzhou, wo der Mönch Yinzong gerade das Parinirvana Sutra vortrug. Es war windig, und eine Fahne flatterte. Ein Mönch sagte: „Der Wind bewegt sich.“ Ein anderer Mönch meinte: „Die Fahne bewegt sich.“ Sie gerieten in eine endlose Diskussion. Huineng trat vor und sagte: „Weder Wind noch Fahne bewegen sich. Es ist Euer Geist, der sich regt.“ Alle waren verblüfft. [1]
Yinzong bat Huineng auf den Platz des oberen Ranges und ersuchte ihn um nähere Erläuterungen. Er stellte fest, dass Huineng mit einfachen und treffenden Worten erklären konnte, ohne sich dabei strikt an die Schriften zu halten. Yinzong sprach: ‚Der Praktizierende ist gewiss kein gewöhnlicher Mensch. Ich hörte, dass der Dharma-Nachfolger von Huangmei in den Süden gekommen sei. Seid Ihr es etwa?‘ Huineng antwortete: ‚Ich wage es nicht.‘ Daraufhin ehrte Yinzong ihn rituell und bat ihn, die übermittelte Robe als Beweis allen zu zeigen.
Dann fragte Yinzong wieder: „Was ist die Anweisung aus Huangmei vom Ahnlehrer Hongren, wie war der ‚Fingerzeig‘?
Huineng antwortete: „ ‚Fingerzeig‘ – wohl nichts. Vom Sehen des natürlichen Wesens ist nur die Rede, nicht von Versenkung und Erlösung.“
Yinzong fragte: „Warum ist keine Rede von Versenkung und Erlösung?“
Huineng sagte: „Bedingtes Tun ist duales Dharma, aber nicht das Buddha-Dharma. Das Buddha-Dharma ist kein dualistisches Phänomen.“ [2]
Daraufhin fragte Yinzong Huineng, was es denn bedeute, dass die Buddhalehre kein dualistisches Phänomen sei. Huineng bezog sich auf einen Abschnitt aus dem Parinirvana Sutra, über den Yinzong gerade einen Vortrag gehalten hatte:
Die Grundlage zum Guten ist zweierlei, die eine beständig, die andere unbeständig, und kann zum Abbruch kommen. Das Buddhawesen ist weder beständig noch unbeständig und kann daher nicht unterbrochen werden.
Die Grundlage zum Guten ist zweierlei, die eine gut, die andere ungut, also dualistisch. Das Buddhawesen ist weder gut noch ungut und daher nichtdualistisch. Die Ansammlungen und Erwägungen (durch die Sinnesgrundlagen innen und außen) werden vom verblendeten gewöhnlichen Menschen als zweierlei (also dualistisch) gesehen. Der erwachte Weise begreift vollkommen, dass ihr Wesen nicht-zweierlei (also nichtdualistisch) sei. Das nicht dualistische Wesen ist das Buddhawesen. [3]
Yinzong war begeistert von Huinengs Erläuterung und sagte: „Wie ich das Sutra erläutere – das ist wie Scherben von Ziegelsteinen; wie Ihr das Sutra erläutert – das ist wie wahres Gold.“ Er erklärt sich bereit, Huineng die Haare abzuscheren und zum Mönch zu ordinieren, und er selbst möchte sein Schüler werden. Erst seitdem lehrte Huineng als Mönch.

Vor dem Kloster stand ein Banyan-Baum, unter solch einem einst der historische Buddha erwachte. Deshalb wird diese Baumart als Bodhi-Baum bezeichnet. Dieser Baum soll vor 170 Jahren von einem indischen Mönch aus Indien mitgebracht worden sein, der prophezeite, dass 170 Jahre später ein lebender Bodhisattva dort die rechte Lehre Buddhas verkünden würde. Diese Prophezeiung erfüllend, begann nun Huineng offiziell seine Lehrtätigkeit unter diesem Banyan-Baum vor dem Faxing-Kloster (heute: Guangxiao Kloster). Mit Yinzong als seinem Schüler erhielt er starke Unterstützung, und ein großes Netzwerk über alle sozialen Schichten hinweg stärkte ihm den Rücken.
Nach einem kurzen Aufenthalt im Faxing-Kloster begab er sich wieder zum Baolin-Kloster, wo er bereits vor 15 Jahren residiert hatte, bevor er von Verfolgern verjagt wurde. Diesmal begleiteten ihn jedoch über tausend Menschen dorthin, und mehr als hundert von ihnen ließen sich gemeinsam mit Huineng im Kloster nieder. Somit war Huineng nicht mehr allein und begann von dort aus seine Lehre zu verbreiten. Die erste Basis war geschaffen, um gegen die Schule des Shenxiu im Norden bestehen zu können. Im darauf folgenden Jahr wurde er vom Präfekten Wei eingeladen, einen Vortrag in der Stadt zu halten, was ihm große Bekanntheit verschaffte.
Der Ahnlehrer lebte 76 Jahre lang. Im Alter von 24 Jahren erhielt er Lehre und Robe. Mit 39 Jahren wurde er zum Mönch ordiniert und unterrichtete dann 37 Jahre lang. [4] Kurz vor seinem Tod, als sein Schüler Fahai ihn fragte, wem er die Robe von Bodhidharma übergeben werde, antwortete er: ‚Ich übermittle euch diese Lehre und übergebe keine Robe.‘ Daraufhin wies er Fahai an, die Niederschrift seiner Vorträge zu vervielfältigen und als Lehrgrundlage zu dienen. Dieses Werk wurde als ‚Das Podiumsutra des 6. Ahnlehrers‘ [5] bekannt. Fahai fragte weiter, wem er den ‚Wahren-Dharma-Auge-Schatz‘ vermittelt habe. Huineng antwortete: ‚Jene mit dem Dao werden ihn erlangen, jene ohne Geist werden ihn begreifen.‘[6] Er gab also keinen 7. Ahnlehrer bekannt, und in den fünf Schulen, die aus seiner Lehre entstanden sind, hat sich auch niemand als der 7. Ahnlehrer bezeichnet.
Etwa 20 Jahre nach seinem Tod setzten sich seine Schüler bei offiziellen Diskussionen in der Hauptstadt gegen die Schüler von Shenxiu durch. Daraufhin wurde die Stellung Huinengs als der 6. Ahnlehrer der Chan-Linie von allen anerkannt. Seine Lehre verbreitete sich rasch im ganzen Land, und die fünf Schulen aus seiner Linie prägten die kulturelle Landschaft in China und Ostasien tiefgreifend.

<<<„Der Sinn hat nichts zu tun mit den Schriftzeichen.“ – Die Koans zum 6. Ahnlehrer Huineng (Teil 3)
„Es kann nicht befleckt werden“ – Das Koan zum Nanyue Huairang >>>
[1] 一日思惟,时当弘法,不可终遁,遂出至广州法性寺,值印宗法师讲《涅槃经》。时有风吹幡动,一僧曰风动,一僧曰幡动,议论不已。慧能进曰:“不是风动,不是幡动,仁者心动。”一众骇然。
[2] 宗复问曰:“黄梅付嘱,如何指授?” 慧能曰:“指授即无,惟论见性,不论禅定、解脱。” 宗曰:“何不论禅定解脱?” 慧能曰:“为是二法,不是佛法,佛法是不二之法。” ——《法寶六祖壇經 行由品》
[3] 佛言:善根有二,一者常,二者无常,佛性非常非无常,是故不断,名为不二;一者善,二者不善,佛性非善非不善,是名不二;蕴之与界,凡夫见二,智者了达,其性无二,无二之性,即是佛性。” ——《法寶六祖壇經 行由品》
[4] 祖春秋七十有六。葢年二十四而傳衣。三十九祝髮。說法利生三十七載。——《指月錄卷之四 東土祖師 六祖慧能大師》
[5] 法海再拜問曰。和尚入滅。衣法當付何人。祖曰。吾忝受忍大師衣法。今為汝等說法。不付其衣。葢汝等信根純熟。决定不疑。堪任大事。據達磨舊記。衣亦不合傳矣。——《指月錄卷之四 東土祖師 六祖慧能大師》
[6] 又問曰。正法眼藏傳付何人。祖曰。有道者得。無心者通。——《指月錄卷之四 東土祖師 六祖慧能大師》
Kategorien:Buddhismus, Chan- (Zen-) Buddhismus, Koan/Gong-An
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