——Beitragsreihe: Die Koans zur Geschichte des Zen-Buddhismus
„Aus deinen Fußstapfen wird ein Pferd hervortreten, welches alle Menschen unter dem Himmel zertrampeln wird.“
Der 6. Ahnlehrer sagte dies zu Nanyue Huairang. Mit diesem „Pferd“ war Huairangs Schüler Mazu Daoyi gemeint, weil sein Familienname „Ma“ auf Chinesisch eben Pferd bedeutet. „Alle Menschen unter dem Himmel zertrampeln“ weist auf seine kraftvolle Lehre und seinen weitreichenden Einfluss auf die Entwicklung der Chan- oder Zen-Schule hin. Wir haben bereits erwähnt, dass er etwa 100 Schüler zum plötzlichen Erwachen führen konnte. Das ist die höchste Anzahl unter allen Chan-Lehrern, womit er sogar den 6. Ahnlehrer Huineng übertraf. Es wird gesagt, dass er inoffiziell als der 7. Ahnlehrer angesehen wird. Davon stammt sein Beiname „Mazu“, was „Ahnlehrer Ma“ bedeutet. Die beiden Schulen Guiyang und Linji (Rinzai) entwickelten sich unter seinem mächtigen Einfluss. Mit ihm begann die Lehrmethode der Chan- oder Zen-Schule unkonventionelle Züge wie z. B. Geschrei, Stockschläge und ähnliches anzunehmen. Wie kam es nun zur Begegnung zwischen Nanyue Huairang und Mazu Daoyi?
Zunächst zog Huairang nach dem Tod vom 6. Ahnlehrer Huineng in 713 n. Chr. in das Kloster Bore auf dem Berg Hengshan. Dieser Berg stellt den südlichen der sog. „fünf Berge“ Chinas dar und wird daher auch „Nanyue“, also „südlicher Berg“ genannt. Davon leitet sich Huairangs Beiname ab: Sein vollständiger Name „Nanyue Huairang“ bedeutet also „der Nachsichtige vom südlichen Berg“. Über Huairang wird in den Schriften nicht viel berichtet. Bekannt wurde er vor allem durch seinen Schüler Mazu Daoyi, was auf Chinesisch „Ahnlehrer Ma, die Dao-Einheit“ bedeutet. Das folgende berühmte Koan berichtet davon, wie Huairang seinen jungen Schüler Daoyi zum Erwachen verhalf:
Unter Huairangs Schülern war einer namens Daoyi. Er liebte die Sitzmeditation und übte diese ständig und überall am Berg. Der Lehrer Huairang erkannte sein großes Talent und wollte ihn auf die Sprünge helfen.
Eines Tages fragte er Daoyi: „Was beabsichtigst du mit der Sitzmeditation zu erreichen?“
Daoyi antwortete: „Um Buddha zu werden.“
Der Lehrer nahm dann einen Ziegelstein und begann, ihn zu schleifen.
Daoyi fragte ihn: „Warum schleifen Sie den Ziegelstein?“
Der Lehrer erwiderte: „Ich mache ihn zu einem Spiegel.“
Daoyi war verwundert: „Wie ist es möglich, aus einem Ziegelstein einen Spiegel zu machen?“
Der Lehrer brachte es auf den Punkt: „Wenn ich aus dem Ziegelstein keinen Spiegel machen kann, wie möchtest du durch die Sitzmeditation ein Buddha werden?“
Daoyi fragte: „Wie dann?“
Der Lehrer brachte ein Gleichnis: „Ein Ochse zieht einen Karren. Wenn der Karren sich nicht bewegt, schlägst du dann den Karren oder den Ochsen?“
Daoyi wusste auf Aufhieb keine Antwort.
Der Lehrer erzählte weiter: „Du lernst Chan (Zen) im Sitzen und willst Buddha werden. Chan (Zen) hat nichts mit Liegen oder Sitzen zu tun. Buddha hängt auch nicht von einer festen Form ab. Die Lehre besteht darin, ohne Anhaftung zu sein – man nimmt und unterlässt nichts. Aus dem Sitzen Buddha werden zu wollen, ist wie den Buddha zu töten. Sich auf die Form des Sitzens zu verharren – so kann man sich das wahre Prinzip nicht verinnerlichen.“
Diese Worte öffneten Daoyi die Augen. Er verbeugte sich und fragte weiter: „Wie soll ich praktizieren, um unerschütterlich unabhängig von den Formen zu sein?“
Der Lehrer sagte: „Was du lernst, ist die Lehre des Herzens. Dies ist so, als sähest du Samen im Feld deines Herzens. Meine Worte zur Essenz der Lehre sind wie der Regen. Wenn die Bedingungen reif werden, wirst du das Dao erblicken.“
Daoyi wiederum fragte: „Das Dao ist ohne Form, wie kann man es sehen?“
Der Lehrer sagte: „Das Dharma-Auge deines Herzens kann es sehen, selbst in der unerschütterlichen Formlosigkeit.“
Daoyi fragte: „Könnte dies dennoch vergehen?“
Der Lehrer sagte: „Wenn man das Dao mit der Sicht der Vergänglichkeit betrachtet, dann hat man das Dao nicht erkannt. Höre meine Verse:
Das Feld des Herzens birgt alle Samen, beim Regen beginnen sie zu sprießen.
Die Blüte der Unerschütterlichkeit ist frei von Formen,
wie soll sie vergehen, wie soll sie entstehen?“
Daraufhin erwachte Daoyi. [1]
<<<„Es kann nicht befleckt werden“ – Das Koan zum Nanyue Huairang
>>>„Vorhin weine ich, jetzt lache ich!“ – Das Koan zum Baizhang Huaihai
[1] 先天二年。往衡嶽居般若寺。開元中。有沙門道一。在衡嶽常習坐禪。師知是法器。往問曰。大德坐禪圖甚麼。一曰。圖作佛。師乃取一磚。於彼菴前石上磨。一曰。磨作甚麼。師曰。磨作鏡。一曰。磨磚豈得成鏡耶。師曰。磨磚既不成鏡。坐禪豈得作佛。一曰。如何即是。師曰。如牛駕車。車若不行。打車即是。打牛即是。一無對。師又曰。汝學坐禪。為學坐佛。若學坐禪。禪非坐臥。若學坐佛。佛非定相。於無住法不應取捨。汝若坐佛。即是殺佛。若執坐相。非達其理。一聞示誨。如飲醍醐。禮拜問曰。如何用心。即合無相三昧。師曰。汝學心地法門。如下種子。我說法要。譬彼天澤。汝緣合故當見其道。又問。道非色相。云何能見。師曰。心地法眼能見乎道。無相三昧亦復然矣。一曰。有成壞否。師曰。若以成壞聚散而見道者。非見道也。聽吾偈曰。心地含諸種。遇澤悉皆萠。三昧華無相。何壞復何成。一蒙開悟。心意超然。侍奉九秋。——《指月錄卷之五 六祖下第一世 南嶽懷讓禪師》
Kategorien:Buddhismus, Chan- (Zen-) Buddhismus, Koan/Gong-An

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