——Beitragsreihe: Die Koans zur Geschichte des Zen-Buddhismus
Die Zen- oder Chan-Schule war in der Tang-Dynastie (7. – 9. Jh.) stark geprägt durch die Auseinandersetzung zwischen der Schule im Norden und der Schule im Süden. Die Südschule wurde durch den 6. Ahnlehrer Huineng vertreten. Sie war bekannt als die Schule des plötzlichen Erwachens. Die Schule im Norden des Reichs wurde von Shenxiu repräsentiert. Ihre Lehre betonte die allmähliche Kultivierung. Die militärische Rebellion des Generals An Lushan gegen die Tang-Regierung (755–763) führte zu einer verheerenden Krise im Reich, die die nördliche Schule schwer traf und erheblich schwächte. Rund 90 Jahre später besiegelte die großangelegte Buddhistenverfolgung unter Kaiser Wuzong (840–846) ihr endgültiges Ende. Die südliche Schule blieb dagegen weitgehend verschont. Ihre Klöster lagen häufig in abgelegenen Bergregionen, fernab der politischen Machtzentren. Dort lebten die Mönche nicht von Almosen, wie es die klassischen Mönchsregeln vorschrieben, sondern versorgten sich selbst durch landwirtschaftliche Arbeit. Zudem beruhte ihre Praxis auf einem direkten, nicht schriftgebundenen Zugang zur Lehre, der sich auf unmittelbare Erfahrung und persönliche Einsicht stützte. Dies bewahrte sie vor den weitreichenden Folgen der Verfolgung.
Von der Tang-Dynastie bis zur Epoche der Fünf Dynastien (907–979) entwickelten sich fünf bedeutende Zweige der Chan-Schule: die Guiyang-, Linji- (Rinzai-), Caodong- (Soto-), Yunmen- und Fayan-Schule. Die Guiyang-Schule blühte als erste auf, war jedoch auch die erste, die unterging, gefolgt von der Fayan- und der Yunmen-Schule. Diese drei Schulen verloren ihre Traditionslinien während der Song-Dynastie (960–1279). (Erst mehr als 700 Jahre später, im 20. Jahrhundert, erneuerte der Mönch Xuyun (1840-1959) , der „Leere Wolke“, die Chan-Tradition und führte das Vermächtnis dieser Schulen fort.) Die Guiyang-Schule erlosch bereits Ende des 10. Jahrhunderts, zu Beginn der Song-Dynastie. Im Gegensatz dazu erlebten die Yunmen- und Fayan-Schulen während der Song-Dynastie (10.–13. Jahrhundert) ihre Blütezeit. Zu den Schülern dieser Schulen gehörten auch Koreaner, die die Lehre nach Korea brachten und von dort aus nach Japan weitervermittelten. Ihre Lehre übte damals großen Einfluss aus und brachte renommierte Meister hervor. Diese wurden für ihre Scharfsinnigkeit in der Lehre von den Gelehrten und Intellektuellen des Landes hochgeschätzt. Als essenzieller Wegbereiter der Yunmen- und Fayan-Schulen gilt Xuefeng Yicun (822–908), dessen Name wörtlich „der Rechtschaffene vom Schneeberg“ bedeutet.
Dieser „Rechtschaffene“ stammte aus der Familie Zeng in der Präfektur Quanzhou (heutige Stadt Quanzhou in der Provinz Fujian). Die Familie war seit Generationen als fromme Laienbuddhisten bekannt. Schon als Säugling zeigte er eine tiefe innere Bewegtheit, wenn er den Klang von Tempelglocken oder Gesängen hörte oder buddhistische Fahnen, Blumen und Statuen sah. Von klein auf lehnte er fleischliche Nahrung ab.
Mit zwölf Jahren trat er in ein Kloster ein und wurde mit siebzehn zum Mönch ordiniert. Später erhielt er im Kloster Baosha in Youzhou die volle Ordination und nahm an zahlreichen Chan-buddhistischen Versammlungen teil. Während seines Aufenthalts im Kloster Dongshan arbeitete er als Küchenchef. Dort kam er zu einem bemerkenswerten Gespräch mit Meister Dongshan Liangjia, dem „Wertvollen vom Grottenberg“ (807–869):
Einmal, als er Reis wusch, fragte Dongshan: „Spülst du den Sand aus dem Reis oder den Reis aus dem Sand?“
Er antwortete: „Beides wird gleichzeitig entfernt.“
Dongshan fragte weiter: „Was soll dann die Gemeinschaft essen?“
Daraufhin kippte er die Schüssel mit Reis um.
Dongshan sagte: „Du bist wohl für den Tugendberg (Deshan) bestimmt.“ [1]
Beim Abschied fragte Dongshan ihn: „Wohin gehst du?“
Er antwortete: „Ich kehre ins Gebirge zurück.“
Dongshan fragte weiter: „Welchen Weg nahmst du einst?“
Er sagte: „Ich nahm den Weg über den Feiyuan-Pass.“
Dongshan fragte erneut: „Und diesmal, welchen Weg wirst du gehen?“
Er antwortete: „Auch über den Feiyuan-Pass.“
Darauf sagte Dongshan: „Es gibt jemanden, der diesen Weg nicht geht. Kennst du ihn?“
Er erwiderte: „Ich kenne ihn nicht.“
Dongshan fragte: „Warum kennst du ihn nicht?“
Er sagte: „Weil er kein Gesicht hat.“
Dongshan entgegnete: „Wenn du ihn nicht kennst, wie kannst du wissen, dass er kein Gesicht hat?“
Darauf hatte er keine Antwort.[2]
Dann kam er zu Deshan Xuanjian, dem „Erkenntnis-Spiegel vom Tugendberg“ (782–865).
Er fragte Deshan: „Kann der Lernende noch Anteil an der Überlieferung der Ahnlehrer haben?“
Deshan schlug ihn mit dem Stock und sagte: „Was redest du da?“
Verwirrt erwiderte er: „Ich verstehe nicht.“
Am nächsten Tag suchte er Deshan erneut auf, um Rat zu erbitten.
Deshan sagte: „Unsere Schule hat keine Worte oder Sätze, und es gibt tatsächlich nichts, was weitergegeben werden kann.“
In diesem Moment hatte er eine plötzliche Einsicht. [3]
Später reiste er mit seinem älteren Lehrbruder Yantou zur Ortschaft am Berg Ao in der Präfektur Lizhou. Dort wurden sie durch starken Schneefall festgehalten. Während Yantou die Tage schlafend verbrachte, meditierte der Rechtschaffene unermüdlich.
Eines Tages rief er: „Bruder, Bruder, steh auf!“
Yantou fragte: „Warum?“
Er sagte: „Du schläfst ja nur.“
Daraufhin schrie Yantou: „Schlaf doch! Jeden Tag sitzt du nur da wie ein Erdgott im Dorf. Irgendwann wirst du noch den Geist von Männern und Frauen verwirren!“
Der Rechtschaffene schlug sich an die Brust und sagte: „Ich fühle mich hier noch nicht sicher und wage es nicht, mich zu rühmen.“
Yantou erwiderte: „Ich dachte, du würdest eines Tages auf einem einsamen Berggipfel eine Hütte errichten und die große Lehre verbreiten. Aber du redest immer noch so.“
Er antwortete: „Ich fühle mich wirklich noch nicht sicher.“
Yantou sagte: „Wenn das so ist, lass mich dein Verständnis prüfen. Was richtig ist, werde ich bestätigen, was falsch ist, werde ich verwerfen.“
Der Rechtschaffene begann: „Als ich zu Meister Yanguan kam, hörte ich eine Rede über die Lehre von Form und Leere und hatte einen Einblick.“
Yantou sagte streng: „In den nächsten dreißig Jahren erwähne das nicht mehr!“
Dann zitierte Yantou ein Gedicht von Dongshan: „Suche nicht bei anderen, es ist unendlich fern. Was sie jetzt sind, bin ich, was ich jetzt bin, sind sie nicht.“
Yantou fügte hinzu: „Wenn das so ist, bist du immer noch nicht vollständig frei.“
Der Rechtschaffene erzählte weiter: „Später fragte ich Deshan: ‚Kann der Lernende noch Anteil an der Überlieferung der Ahnlehrer haben?‘ Deshan schlug mich und sagte: ‚Was redest du da?‘ In diesem Moment fühlte es sich an, als ob der Boden eines Eimers herausgebrochen wäre.“
Yantou schrie: „Hast du nicht gehört, dass das, was durch die Tür kommt, nicht das wahre Erbe ist?“
Der Rechtschaffene fragte: „Was ist dann das wahre Erbe?“
Yantou sagte: „Wenn du die große Lehre verbreiten willst, muss alles aus deiner Brust herausströmen und Himmel und Erde vollfüllen.“
Bei diesen Worten überkam ihn das große Erwachen.
Er verbeugte sich, stand auf und rief wiederholt: „Bruder, Bruder, heute auf dem Berg Ao habe ich das Dao verwirklicht!“ [4]
Im Alter von 47 Jahren erinnerte sich der Rechtschaffene an den Berg Furong, wo er einst studiert hatte, und kehrte dorthin zurück. Er ließ sich in einer Steinhöhle nieder. Der Laie Fang Xun schenkte ihm gemeinsam mit anderen Unterstützern ein Waldstück am östlichen Hang des Furong-Berges zur Errichtung einer Lehrstätte. Es stellte sich die Frage, wie dieser Berg genannt werden sollte. Einige schlugen den Namen „Elefantenknochen-Berg“ (Xianggu Shan) vor, da ein Holzhauer auf dem Gipfel Knochen entdeckt hatte, die wie die eines Elefanten aussahen. Andere plädierten für den Namen „Schneeberg“ (Xuefeng), weil der Gipfel das ganze Jahr über von Schnee bedeckt war. Schließlich entschied man, beide Namen zu kombinieren. So erhielt er den Ehrentitel Xuefeng Yicun, der „Rechtschaffene vom Schneeberg“. Der Meister wurde 86 Jahre alt und lehrte 39 Jahre lang. Insgesamt setzten 56 Schüler die Dharma-Linie fort. Zu den bekanntesten gehörten Yunmen Wenyan und Xuansha Shibei. Yunmen Wenyan wurde der Begründer der Yunmen-Schule, während Xuansha Shibei die Linie in der zweiten Generation an Meister Qingliang Wenyi weitergab. Dieser wurde später als Begründer der Fayan-Schule bekannt. Im nächsten Beitrag geht es um Yunmen Wenyan, den „Kultivierten vom Wolkentor“, den Begründer der Yunmen-Schule.
Organigramm zur Genealogie der Gründer der fünf Schulen
<<<„Wer eine Frage stellt, bekommt dreißig Schläge!“ – Das Koan zum Deshan Xuanjian (782-865)
[1] 泉州南安曾氏子。家世奉佛。師生惡茹葷。於襁褓中。聞鐘梵之聲。或見幡花像設。必為之動容。十二出家。十七落髮。後往幽州寶剎寺受戒。久歷禪會。在洞山作飯頭。淘米次。山問。淘沙去米。淘米去沙。師曰。沙米一時去。山曰。大眾喫個甚麼。師遂覆却米盆。山曰。據子因緣。合在德山。——《指月錄卷之十七 六祖下第六世 福州雪峰義存禪師》
[2] 師辭洞山。山曰。子甚處去。師曰。歸嶺中去。山曰。當時從甚麼路出。師曰。從飛猿嶺出。山曰。今回向甚麼路去。師曰。從飛猿嶺去。山曰。有一人不從飛猿嶺去。子還識麼。師曰不識。山曰。為甚麼不識。師曰。他無面目。山曰。子既不識。爭知無面目。師無對。——《指月錄卷之十七 六祖下第六世 福州雪峰義存禪師》
[3] 遂謁德山。問從上宗乘。學人還有分也無。山打一棒曰。道甚麼。師曰不會。至明日請益。山曰。我宗無語句。實無一法與人。師有省。——《指月錄卷之十七 六祖下第六世 福州雪峰義存禪師》
[4] 後與巖頭至澧州鰲山鎮。阻雪。頭每日祇是打睡。師一向坐禪。一日喚曰。師兄師兄。且起來。頭曰。作甚麼。師曰。今生不著便。共文邃個漢行脚。到處被他帶累。今日到此又祇管打睡。頭喝曰。噇眠去。每日牀上坐。恰似七村裏土地。他時後日。魔魅人家男女去在。師自點胷曰。我這裏未穩在。不敢自謾。頭曰。我將謂你他日向孤峰頂上。盤結草菴。播揚大教。猶作這個語話。師曰。我實未穩在。頭曰。你若實如此。據你見處。一一通來。是處與你證明。不是處與你剗却。師曰。我初到鹽官。見上堂舉色空義。得個入處。頭曰。此去三十年。切忌舉著。又見洞山過水偈曰。切忌從他覓。迢迢與我疎。渠今正是我。我今不是渠。頭曰。若與麼。自救也未徹在。師又曰。後問德山。從上宗乘中事。學人還有分也無。德山打一棒曰。道甚麼。我當時如桶底脫相似。頭喝曰。你不聞道。從門入者不是家珍。師曰。他後如何即是。頭曰。他後若欲播揚大教。一一從自己胷襟流出將來。與我盖天盖地去。師於言下大悟。便作禮起連聲呌曰。師兄今日始是鰲山成道。——《指月錄卷之十七 六祖下第六世 福州雪峰義存禪師》
Kategorien:Buddhismus, Chan- (Zen-) Buddhismus, Koan/Gong-An

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