„Geht! Geht hinüber! Geht alle vollständig hinüber! Erwache alsbald!“

Herz Sutra – „Sprecht daher das Mantra der vollkommenen Weisheit. Eben dieses Mantra: Gate Gate Paragate Parasamgate Bodhi Svaha!“

——Begleitlektüre zum Drei Schätze Retreat am 21.07.2021

Jetzt, ganz zum Schluss des ganzen Textes, wird uns als Schlussfolgerung nicht nur des Herz Sutras, sondern sogar auch der ganzen Buddhalehre dieser Vers als gesprochenes Mantra, also als Mantra mit Wortbedeutung, präsentiert. Es ist auch für die Lehrreden Buddhas typisch, dass sie mit einer kurzen Zusammenfassung des Inhalts in Versform abschließen. Der Vers ist im Chinesischen unübersetzt in Sanskrit belassen worden.

Die Bedeutung der Worte ist:

Gate = „Geht!“

Paragate = Para bedeutet „über, darüber, hinter, übertreffen“ (vergleichbar „paranormal = das Normale übersteigend“). In unserem Zusammenhang bietet sich „Geht hinüber!“ an.

Parasamgate = „Geht alle vollständig hinüber!“ Der Wortbestandteil „sam“ bedeutet „zusammen, alle oder alles miteinander“.

Bodhi = wie bereits ausführlich behandelt: „Erwache!“

Svaha = Im Chinesischen wird das Wort mit „rasch, alsbald“ übersetzt. Es ist eigentlich ein Wort aus dem vedischen Sanskrit, der Ritualsprache des Hinduismus. So wie das biblische „Amen“ eigentlich unübersetzbar. Mit dem Wort „Svaha“ wurden traditionell in Indien vedische Rituale abgeschlossen, und folgerichtig endet das Herz Sutra genauso. 

Was also sagt uns „Geht! Geht hinüber! Geht alle vollständig hinüber! Erwache alsbald!“?

In diesem Satz ist die gesamte Buddhalehre zu finden:

Geht – Alles fängt mit dem ersten Schritt an. Der Weg der Praxis muss gegangen werden.

Geht hinüber – Das Ziel der Praxis wird mit dem Bild „des anderen Ufers“ dargestellt. Das diesseitige Ufer ist unsere Welt des Daseinskreislaufs. An diesem Ufer laufen die Wesen gehetzt auf und ab. Einige aber, diese sind die aufrichtig Praktizierenden, nehmen ein bereit liegendes Floss und fangen zum Übersetzen an. Irgendwann erreichen sie das gegenüber liegende Ufer, welches Nirvana symbolisiert. Das Floss ist ein Symbol für die Buddhalehre.

Geht alle vollständig hinüber – Das Mahayana betont die Nichtunterscheidung von „Ich und Anderen“ und legt daher Wert darauf, dass alle Wesen undifferenziert das andere Ufer erlangen sollen, daher diese Aufforderung.

Erwache alsbald – Dies ist nochmals ein anderer Begriff für das Ziel des buddhistischen Weges.

Worum geht es eigentlich im Buddhismus? Zu glauben, dass es nur um das Erkennen der Leerheit geht, wäre zu kurz gegriffen. Auch an der Leerheit kann man anhaften, wie an jedem anderen Konzept. Praktizierenden mit Erfahrungen in der tiefen Versenkung neigen dazu, an diesen Erfahrungen anzuhaften und nach der Erlöschung zu streben. Diese ziehen sich dann mehr und mehr zurück und meiden Sinnesreize. Welche Gefahr oder Hindernis birgt dies? Ein Zitat vom indischen Meister Padmasambhava (8./9. Jh.), dem Ahnlehrer des tibetischen Buddhismus beantwortet uns diese Frage:

„Es genügt nicht, dass du nur die unkonditionierte Leerheit deines Geistes erkennst – ohne das große Mitgefühl entstehen zu lassen, besteht die Gefahr, dass du in den Nihilismus verfällst.“

Unter Nihilismus versteht man in diesem Zusammenhang, dass man die Leerheit als „es gibt gar nichts“ auffasst und folgerichtig alles aufgeben möchte und nur noch vollständig erlöschen will. Man könnte dazu neigen, alle Gefühle, Emotionen, Gedanken vernichten zu wollen. Diese Vernichtungsglaube wird erst recht zum Hindernis, um das Nirvana zu erreichen. Zumal man in der Zurückgezogenheit gar nicht wissen kann, welche Trübungen man im Geiste noch hegt und welches Karma man noch nicht ausgeglichen hat. Das Gegenmittel gegen diese Gefahr ist das Entwickeln und Pflegen von Bodhicitta. Dieser Geist des Erwachens ist sich einerseits unerschütterlich gewiss zu sein, das Buddhatum zu vervollkommnen, ohne zu erwarten, etwas zu erreichen. Andererseits ist er ein natürlicher, unkonditionierter Wunsch, alle Wesen zu befreien, ohne sich vorzustellen, dass es irgendein Wesen zu befreien gibt. Das Buddhatum zu verwirklichen heißt die vollkommene Leerheit zu realisieren, was bedeutet, die vollkommene Weisheit zu erlangen. Alle Wesen zu befreien heißt zugleich alle Trübungen im Geiste aufzulösen und alles Karma auszugleichen. Nur im Umgang mit allen Wesen kann man alle Hindernisse im Geiste erkennen und alles Karma auswirken lassen. Dann ist es möglich die wahre Geistesstabilität und Weisheit zu praktizieren und zu vervollkommnen. Dies ist der Weg zur Vervollkommnung von Weisheit und Mitgefühl.

Trotz völliger Hingabe keine Erwartungen zu haben und keine Vorstellung zu hegen, irgendjemandem  zu helfen, drückt erst die wahre Leerheit aus. Denn erst dann ist die Ich-Anhaftung vollkommen durchbrochen. Das heißt dann „tun ohne zu tun“ auf Basis der non-dualistischen Sicht. Es ist nicht davon auszugehen, dass man diese Sicht von Anfang an hat. Sie manifestiert sich mit der Vertiefung der Praxis der Geistesstabilität und der Weisheit. Durch das ständige Loslassen der Ich-Anhaftung fallen immer mehr die Schleier. Dadurch überwindet man die differenzierende Betrachtung, und die non-dualistische Sicht manifestiert sich. Bevor dies eintritt, startet man aber zuerst mit einer Erwartung sich weiterzuentwickeln und mit der Vorstellung, anderen zu helfen. Je stärker dieser Wille ist, desto größer werden Motivation und Kraft sein. Deshalb ist die Vorstellung „Buddha zu werden“ und „allen Wesen zu helfen“ kein Größenwahn und Hochmut, sondern furcht- und bedingungsloser Wunsch aus dem Herzen. Dies ist die rechte Sicht für die Praxis, denn wer sich vollkommen befreien will, der wünscht sich auch alle Trübungen im Geiste vollständig zu beseitigen. Auch wenn nur ein wenig Nachlässigkeit vorhanden ist, übernimmt die Verblendung die Oberhand. Ein Spruch im Chan-Buddhismus heißt: „Weicht man nur einen Millimeter davon ab, distanziert man sich tausend Meilen davon.“ Man darf daher für die aufrichtige Praxis kein Bisschen Nachlässigkeit dulden.

Die Praktizierenden verfallen sehr leicht in extreme Sichten: Lehrt man die Leerheit ohne Ich, denken sie an „es gibt nichts“; Betont man die Praxis des Mitgefühls, haften sie wieder zu leicht an den Vorstellungen von ich und den Mitwesen. Jene mit der Anhaftung an der Leerheit zweifeln ständig daran, ob es Mitwesen zu befreien gibt, wenn alles leer ohne Eigenexistenz ist. Jene mit der Anhaftung an den Mitwesen geraten wiederum in Unzulänglichkeiten, wenn sie Misserfolge bei der Hilfe von Mitwesen erleben. Selbst die Freude bei Erfolgen ist ein Anhaften an den Vorstellungen von Ich und den Mitwesen. Die vollkommene Weisheit und Sicht, wie sie hier im Herz Sutra beschrieben ist, dass alles non-dualistisch zu betrachten ist, dass „Form gleich Leere“ und „ Leere gleich Form“ ist, ist nicht etwas, was man durch das Nachdenken einfach erlangen kann. Diese Weisheit und Sicht ist wie oben beschrieben ein Produkt der Praxis. Das „Tun ohne Tun“ beginnt daher mit dem „Tun mit Tun“. Die Sicht der wahren Leerheit erlangt man durch die Praxis mit der Sicht von „Ich und den Anderen“: Sieht man Leiden an sich selbst, geht erst der Wunsch zur Erlösung auf; Sieht man Leiden bei den Anderen, entfaltet sich erst der Wunsch, den anderen zu helfen. Das Aufgehen der Sicht von „Es gibt kein Ich und den Anderen“ geht erst durch die vollkommene Selbstaufgabe des Selbst bei der Hilfe der Anderen auf, weil dabei, wie schon oben beschrieben, die Trübungen des Geistes beseitigt und das Karma ausgeglichen wird. Mit den Geistestrübungen und unter Einfluss von Karma über die wahre Leerheit nachzudenken, bringt schwer die rechte Sicht. Erkenntnisse kommen daher durch die Praxis auf Basis des Vertrauens in die Buddhalehre.

Startet man mit der Erwartung, sich zu vervollkommnen, und mit der Vorstellung, allen Mitwesen zu helfen: Das heißt „Tun mit Tun“, was noch an der dualistischen Sicht anhaftet. Dies ist daher noch ein bedingtes Bodhicitta, das aber die Praxis tatkräftig antreibt. Die Kultivierung dieses Geistes und die tatkräftige Praxis bedingt die Entfaltung des bedingungslosen Bodhicitta: Die non-dualistische Sicht geht auf, und man „tut ohne zu tun“. Damit das bedingte Bodhicitta nicht unterbrochen wird, muss man es ständig pflegen und entwickeln, sodass sich das bedingungslose Bodhicitta entfaltet. Man pflegt diesen Geist durch Gelübde und entwickelt ihn durch die Praxis der sechs Paramitas. Durch Gelübde hält man den Geist aufrecht, durch die Paramitas wird er vervollkommnet.

Buddhistische Meister lehren verschiedene Methoden zur Entfaltung des Bodhicitta. Die „Abhandlung zur Entfaltung von Bodhicitta“ von Vasubandhu (4. Jh. n. Chr.), ein Wegbereiter der Yogacara Schule, schildert einen Prozess mit vier Faktoren:

  1. Betrachtung (der Vollkommenheit) aller Buddhas
    1. Betrachtung der Mängel und Verfehlungen des Körpers
  2. Güte und Mitleid mit den Wesen
  3. Erstreben der höchsten aller Früchte des Pfades – die Buddhaschaft [1]

Der indische Meister und Ahnlehrer des tibetischen Buddhismus Atisha (982-1054) lehrt eine Methode mit sieben Schritten:

  1. Betrachte die Liebe der Mutter und jener Menschen, die dir Liebe geschenkt haben.
    1. Durch diese Betrachtung entfaltet sich die Dankbarkeit und das Bewusstsein, sich zu revanchieren.
    1. Das empfangene Gute vergelten.
    1. Dieser Geist der Liebe, Dankbarkeit und Rückvergütung erweitert sich zur Güte im Umgang mit den Mitmenschen, bis hin
    1. Zur Entfaltung von Mitgefühl für alle Wesen und vom Herzenswunsch, allen Wesen zu helfen.
    1. Auf diesem Basis entwickelt sich der Wille, das Buddhatum gemeinsam mit diesen zu erreichen, sodass alle rückstandslos von Leiden befreit werden.
    1. Durch die Kultivierung dieser sechs Faktoren entfaltet sich das Bodhicitta.

Fern von Bodhicitta würde die Buddhalehre für viele nur leer und abstrakt klingen. Erst mit dem Bodhicitta als Basis bekommt die buddhistische Praxis einen greifbaren Anhaltspunkt. Eine Praxis, die am Nihilismus anhaftet, birgt die Gefahr, ergebnisneutrale Geistesformationen ohne Fortschritt zu bewirken. Die guten Handlungen durch die Übung des Bodhicitta erzeugen gutes Karma für die Praxis und erleichtern den Weg. Durch die ständige Übung von Weisheit und Mitgefühl durchbricht man immer mehr die Ich-Anhaftung (Begehren, Unwissen), sodass das bedingungslose Bodhicitta sich entfaltet. Das heißt es gelingt mehr und mehr das „Tun ohne zu tun“ aus der non-dualistischen Sicht. Der Schlüssel der Praxis ist daher, egal ob „Tun mit Tun“ oder „Tun ohne Tun“, die Kultivierung der wahren Liebe.

Als Fazit für das ganze Herz Sutra sagt der Erhabene Lehrer:

Wahre Liebe ist angeboren. Ist man dazu bereit, sprudelt sie aus endloser Quelle. Wir lernen im Leben vieles, aber wir vernachlässigen oft das Wichtigste, nämlich lernen zu lieben: Liebe sich selbst und die Anderen, liebe das kostbare und unbezahlbare Leben.

Denk nicht nur an die eigenen Bedürfnisse. Lerne, dich in die Lage anderer zu versetzen und Mitgefühl mit anderen zu haben. Während wir Fürsorge schenken, manifestiert sich zugleich die wahre Liebe. Wahrhaftige Taten können Barrieren überwinden, ehrlicher Umgang miteinander kann das Herz öffnen. Habe keine Angst vor Ablehnung, vor Verletzung.

Vertraue dem universellen Naturgesetz: Alle unserer Handlungen werden, wenn die Zeit dazu reif ist, in unterschiedlicher Art und Weise, gleichwertig oder mehrfach, zu uns zurückkommen.  Durchbreche alteingesessene Vorstellungen. Wir leben in einer gewinnorientierten Gesellschaft, in einem egoistischen Zeitalter. Wisse daher: Jeder Gedanke erwirkt konkrete Manifestationen, sobald die karmische Bedingung dazu reif ist.

Wenn wir uns von nun an auf die Liebe konzentrieren und Liebe schenken, dann werden wir gewiss Liebe erfahren und Liebe empfangen. Wozu denn ständig nur darauf warten, geliebt zu werden? Setze sie in Taten um: Schenke ehrliche Fürsorge und spreche gütige, sanfte Worte, und dies mit aufrichtiger und freundlicher Einstellung! So erwärmen wir nicht nur die Herzen der Menschen, sondern  können uns selbst auch glücklich machen. Wir sind auf diese „verstaubte“ Welt gekommen, um uns in dieser riesigen Menschenmenge mit jenen Personen zu treffen, mit denen wir „verabredet“ sind. Daher, egal ob es gute oder schlechte karmischen Beziehungen sind, vervollkommne sie mit der wahren Liebe. [2]


[1]发菩提心经论》说:“依思惟诸佛、观身过患,慈憋众生、求最胜果四缘修观而发菩提心。”

[2] 真正的爱是与生俱来的,任何人只要愿意,它就会源源不绝,我们一生中学习很多技能、很多课程,但往往都忽略最重要的东西,那就是学习如何去爱,爱自己爱别人,爱宝贵无价的生命。不要只想到自己的需求,学习去考虑别人的处境,同情别人的心境,在我们付出关怀的同时,真爱已明显存在,实际的行动会化解隔阂,真诚的对待会打开心结,不要怕被拒绝,不要怕受伤害。深信宇宙的定律,我们的所作所为,在适当的时机,会以不同的形式,等值或加倍的回到我们的身上,要打破旧有的观念,这是一个功利的社会、自私的年代,知道每个思想在因缘成熟时,都会有具体的呈现。就从现在开始,专注爱、付出爱,自然就能体验爱、得到爱,何必一直等着被爱,踏出我们的步伐,付出真诚的关怀,慈悲柔和的语言,诚恳亲切的态度,不但可以温暖人心,更重要的自己也可以开心,我们来到这个红尘,在茫茫人海之中,与自己约定的人重逢,不管善缘恶缘,都要用真爱圆满。



Kategorien:Buddhismus, Herzsutra 心经

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