„Ein göttliches Mantra, ein klar strahlendes Mantra, ein unübertreffliches Mantra, ein unvergleichliches Mantra“

Herz Sutra – „Wisst daher: Die vollkommene Weisheit ist ein göttliches Mantra, ein klar strahlendes Mantra, ein unübertreffliches Mantra, ein unvergleichliches Mantra.“

——Begleitlektüre zum Drei Schätze Retreat am 07.07.2021

In diesem Vers kommt der Begriff „Mantra“ vor, und dies ist eines der Sanskrit-Worte, die fast jeder schon gehört hat. Eine ungefähre Vorstellung davon ist also geläufig. Was aber bedeutet das Wort denn ursprünglich?  Im Sanskrit bedeutet „mantram“ wörtlich „Spruch, Lied, Hymne“. Es besteht aus der Wortwurzel „Manas“ = „Geist, Gedanken“ und „-tram“ =  „Schutz, schützen“, aber auch „Instrument“. Wir erhalten als Ergebnis also „Geistiger Schutz, Instrument des Geistes“.

Der angestrebte Idealfall ist, dass sich der Geist während der Rezitation an die positiven Inhalte, die direkt oder indirekt mit dem Mantra verbunden sind, bindet und daher nicht mit anderen, das heißt im speziellen mit negativen Gedanken beschäftigen kann.

Es gibt in den verschiedenen Traditionen unzählige verschiedene Mantren. Einige sind sehr einfach, andere dauern eine Viertelstunde oder länger, manche sind Texte, andere sind Laute ohne Sinnbedeutung, manche werden laut ausgesprochen, andere still in Gedanken rezitiert. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie als Werkzeuge zur Geistesschulung gedacht sind. Auch in den orthodoxen Kirchen des Ostens gibt es zum Beispiel das „Herz Jesu Gebet“, wobei die Mönche ständig, am besten überhaupt kontinuierlich, für sich still den Satz „Herr Jesus Christus erbarme dich meiner“ aufsagen. So bleibt gar keine Zeit mehr für Streugedanken übrig. Dies erinnert auch an die Praxis des Rosenkranzbetens.

Wieso wird aber in unserem Vers die vollkommene Weisheit (Prajna Paramita) jetzt als ein Mantra, als solch ein Geisteswerkzeug, bezeichnet? Der ganze Text ist ja in Sanskrit geschrieben, hätten wir Mantra nicht unübersetzt gelassen, stünde da jetzt „unübertrefflicher Geistesschutz“ oder „unübertreffliches Instrument des Geistes“. Das Herz Sutra trifft eben immer direkt ins Herz der Dinge und hält sich nicht mit dem Beiwerk auf. Womöglich sagt der Vers unter anderem also aus: Alle Mantren dienen als Mittel zu einem Ziel. Gelingt die Realisierung der vollkommenen Weisheit, erlangt man das unübertroffene vollständige Erwachen. Also dient die vollkommene Weisheit als „göttliches, klar strahlendes, unübertroffenes, unvergleichbares Instrument des Geistes“.

In den Lehrreden des Palikanons wird wiederholt berichtet, wie Buddha Gautama zu bestimmten Anlässen Schutzverse (parittas) lehrt. Diese haben eine Sinnbedeutung und drücken Mitgefühl und Güte für alle Lebewesen aus. Auf dieser Weise dienen sie auch zum Schutz vor z. B. giftigen Schlangen. Das berühmte Metta Sutta[1] wurde von Buddha Gautama einigen Dorfbewohnern an den Abhängen des Himalayas gelehrt, um sich vor bösen Geistern zu schützen, von denen sie heimgesucht wurden.

Von Nagarjuna gibt es ein schönes Gleichnis für die Funktionsweise eines Mantren: Alle guten Phänomene beizubehalten, sodass sie nicht verloren gehen. Er vergleicht es mit einem Wassergefäß, welches das Wasser nicht ausfließen lässt. Die schlechten Absichten kommen dadurch nicht zur Entfaltung, die schlechten Handlungen werden vermieden. [2]

In der Schule des reinen Landes wird der Name des Amithaba Buddhas als Mantra rezitiert, um in Einklang mit demselben zu kommen und in sein reines Land wiedergeboren zu werden. Wir sehen an diesem Beispiel, dass der Name eines Buddhas oder Bodhisattvas als Mantra dienen und Kraft entfalten kann. Der chinesische Chan-Meister Sheng Yen sagt dazu:

„Das Mantra ist die Essenz des Geistes der Buddhas und Bodhisattvas. Es ist wie ein spezieller Code ihres Geistes. Durch die ständige Rezitation wird man davon geprägt, sodass man mit ihnen ganz natürlich in Einklang kommt.“ [3]

Als der Buddhismus nach Tibet gelangte, wurde die Rezitation von Mantren ein wichtiger Bestandteil der Praxis. Der Grund dafür ist die Wichtigkeit von Mantren bereits in der traditionellen tibetischen Religion, dem Bön. Mantren waren immer schon ein wichtiger Bestandteil des Lebens der alten Tibeter. Die Praxis der stillen Mantren beginnt mit der Initiation und der mündlichen Überlieferung nur direkt durch den Lehrer. Dies ist der Grund, warum diese Praxis die geheime Schule genannt wird.

Im Chan-Buddhismus wird mit sogenannten Koans gearbeitet. Dies sind kurze Dialoge zwischen Lehrer und Schüler, also Praxisfälle, worüber dann laufend meditiert wird. Diese Übung wird von vielen Meistern als gleichwirkend wie die Mantrameditation gesehen. Chan-Meister Han Shan sieht es so:

Wenn die im Speicherbewusstsein tief verwurzelten Samen des Begehrens und der Gewohnheitsenergie so fest verankert sind, sodass die Kraft der Koans diese nicht mehr erreichen kann, und auch die kontemplative Betrachtung dies nicht mehr vermag – das heißt die Eigenkraft reicht nicht mehr aus – dann muss man die Reue üben und dazu das Mantra still rezitieren, um mittels der Kraft des geheimen Siegels Buddhas diese zu beseitigen.

Alle geheimen Mantren sind wie diamantene Geistessiegel der Buddhas. Verwendet man diese, wirken sie wie ein Diamant-Zepter, das alle Dinge zertrümmern kann und zu feinen Staub werden lässt. So sind alle durch den Geist der Buddhas geprägten geheimen Mantren. Deshalb heißt es: „Die Tathagatas aller zehn Himmelsrichtungen erlangen durch den Geist der Mantren das unübertroffene vollständige Erwachen.“ Für Buddhas sind diese [Mantren] offen. Die Ahnlehrer fürchten jedoch, dass die gewöhnlichen Wesen diese falsch auffassen, und halten diese daher geheim. Praktiziere diese Mantren tagtäglich und bringe die Übung zur Reife. So wird viel Kraft erlangt. Aber man darf keine Erwartung oder kein Streben nach göttlicher Hilfe hegen. [4]

Sheng Yen sagt weiters dazu:

„Da die Rezitation von Mantren die Praxis der Silas und der Geistesstabilität inkludiert, wird dadurch Mitgefühl, Güte und Weisheit entfaltet. Dies hilft zur Auflösung von geistigen Anhaftungen und zum Ausgleich von Karma. Aus diesen Gründen entfaltet es auch oft intuitive, spirituelle Wirkungen.“ [5]

Das Üben mit Mantren ist somit eine Praxis mithilfe von Tönen und Stimmen. Der buddhistische Meister Guo Xing aus dem Tempel Dong Chu in den USA erklärt die Wirkung der Mantrameditation:

„Die Mantrapraxis ist deshalb wirksam, weil sie eine Übung durch verbale Rezitation, durch das Lauschen übers Gehör und durch die Achtsamkeit des Geistes zugleich ist.“[6]

Diese Übung hilft also zur Sammlung des Geistes, sodass Körper und Geist eins werden. Schließlich erreicht man den Zustand der Geistesstabilität: denken ohne zu denken.

Kommen wir aber nach diesen allgemeinen Überlegungen jetzt auf das Mantra der Gemeinschaft des Weges der Einheit zu sprechen. Dieser Praxisweg beginnt mit der Initiation und der mündlichen Überlieferung des Mantra durch den Initiiermeister. Diesen Zug hat der Weg der Einheit mit den geheimen Schulen gemeinsam. Hören wir daher zur Mantrameditation das folgende Zitat vom Erhabenen Lehrer:

„Zu allen Zeiten den Geist sammeln, hege weder gute noch schlechte Gedanken, sei ohne Anhaftungen, rezitiere stets still das Mantra, […] übe stets die Drei Schätze[7], um weltliche Emotionen, Schmerzen und Belastungen loslassen zu können. Sich von den karmischen Belastungen befreien und Tugend üben, denn so nähert man sich den Heiligen und Buddhas.

Haben die Praktizierenden den Sinn [der Übung wahrhaftig] begriffen, brauchen sie, wann immer sie wahnhafte Gedanken hegen und ihre Herzen hohe Wellen schlagen, einfach nur entschlossen und gewissenhaft das Mantra rezitieren, und falsche Gedanken werden auf Anhieb spurlos verschwinden: So wie Wolken und Nebel, die sich bei Sonnenschein vollkommen auflösen.

Wenn die Praktizierenden häufig das Mantra rezitieren, gehen sie nicht nur gute karmische Beziehungen mit Buddha Maitreya und seinem reinen Land ein, sondern sie erlangen auch die Reifung der Übung: Man rezitiert, ohne zu rezitieren, und kein bisschen Falschgedanken kommt noch hoch. Somit hört der Kreislauf des Samsara auf, Geburt und Tod (Entstehen und Vergehen) kommen zum Ende. Erst dann ist man fern von Unheil und Leiden.

Alle Belastungen und falsche Gedanken sind Unheil und Leiden. Das Mantra rezitierend, streben wir nicht nach dem Paradies im Außen, sondern dem reinen Land im Inneren.“[8]


[1] Sutta Nipata Vers 143-152

[2] Mahaprajnaparamitopadesa《大智度論》提到:「陀羅尼者,秦言『能持』,或言『能遮』。能持集種種善法,能持令不散不失。譬如完器盛水,水不漏散。能遮者,惡不善心生,能遮不令生。若欲作惡罪,持令不作,是名陀羅尼。」意思是持則善不失,持則惡不起──持了它,即可不失善念,不起惡行。

[3] “它是諸佛菩薩修持得果的心要,也是他們獨特的精神密碼,日日持誦,長久熏修,自然能與諸佛菩薩感應道交。”聖嚴法師曾如此解說咒語。

[4]至若藏识中习气爱根种子,坚固深潜,话头用力不得处,观心照不及处,自己下手不得,须礼佛诵经忏悔,又要密持咒心,仗佛密印以消除之。以诸密咒,皆佛之金刚心印,吾人用之,如执金刚宝杵,摧碎一切物,物遇如微尘,从上佛祖心印秘诀,皆不出此。故曰:“十方如来,持此咒心,得成无上正等正觉。”然佛则明言,祖师门下恐落常情,故秘而不言,非不用也。此须日有定课,久久纯熟,得力甚多,但不可希求神应耳。摘自:憨山老人梦游集卷第二——答郑崐岩中丞

[5] 聖嚴法師曾說:“因持咒兼有持戒、修定,而能產生慈悲心和智慧力,有助去執著而消業障,因此常有感應、靈驗產生。”https://mantra.ddm.org.tw/index.php (Dharma Drum Mountain)

[6] 美國東初禪寺住持果醒法師則指出,“持咒是透過口誦、耳聽、心惟,身口意三業相應,才能得力。”https://mantra.ddm.org.tw/index.php (Dharma Drum Mountain)

[7] Die Übermittlungen durch die Initiation beim Weg der Einheit: 1. Das geheime Portal 2. Das stille Mantra 3. Die Mudra der Einheit; siehe https://wegdereinheit.net/drei-schaetze/

[8] 时时念头守一,不思善,不思恶,不执着,五字真言时时默念,[…] 时时刻刻用三宝,放下人世间的情爱、痛苦、烦恼,债清德立,就渐渐与仙佛接近了。◎ 修子若能明白其中体用妙意,在妄念不能降伏澎湃心海之时,只要诚诚恳恳地持此真经默唸数遍,而妄念顿时就无影无踪。犹如太阳之光明一照,自然云消雾散一样。修子若能常常持此咒,不但与弥勒佛结了赴龙华会之圣缘,久久功纯,持而无持,妄念一丝不起,则轮迴即止,生死即了。而轮迴止,生死了,方是真正之脱劫避难。◎ 一切烦恼、妄想都是劫难,默念五字真言,不是外求淨土,而是内生淨土,用自性佛堂,献自性心香,诵无字真经-守玄。(活佛师尊慈语)



Kategorien:Buddhismus, Herzsutra 心经

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