Die 3 Daseinswelten und die 8 Versenkungsstufen

—— Vortrag vom Drei Schätze Retreat am 13.04.2021

—— Ergänzung zum Beitrag „Keine Augenwelt, bis hin zu keiner Bewusstseinswelt“

Im letzten Beitrag über die Sinnes- und Bewusstseinsbereiche sind wir zu dem Schluss gekommen: Der bedingt existierende Geist (ohne Eigennatur) hat sich verfangen oder verstrickt in Befleckungen, die er selbst produziert hat. Unser Wirken bedingt unsere Lebensumstände und unser Umfeld, unser Leben wird vom Geist bestimmt. Alles ist Geist und Leerheit. Jetzige Ereignisse im Leben sind daher als Produkte der einst im Geiste gestalteten Bedingungen zu verstehen. Und der momentane Geisteszustand gestaltet wiederum künftige Geschehnisse. Ein bekannter buddhistischer Spruch lautet: „Möchtest du dein früheres Dasein kennen: siehe deine Erlebnisse im diesem Leben. Möchtest du deine nächsten Existenzen kennen: siehe deine Handlungen in diesem Leben.“ Die wesentliche buddhistische Praxis besteht daher darin, den eigenen Geisteszustand zu kennen. Es gibt unterschiedliche Darstellungsweisen der diversen Geisteszustände und deren Folgen. Eine davon sind die drei „Dhatus“ (Daseinswelten). Es handelt sich um die Sinneswelt, die Formenwelt und die formlose Welt.

Im Beitrag „Keine Augenwelt, bis hin zu keiner Bewusstseinswelt“ haben wir sie bereits vorgestellt. Als Welten der Wiedergeburt unterteilen sie die buddhistischen Texte in 33 Welten, davon 28 himmlische Welten. Diese wiederum bestehen aus  6 Sinneswelten, 18 formhafte Welten und 4 formlose Welten. Diese sind Unterteilungen, die den Zustand des Geistes hinsichtlich des Grades der Befleckung widerspiegeln. Es ist der Zustand des Geistes, der bestimmt, in welche Welt man wiedergeboren, was für ein Umfeld und welche Lebensumstände man dort haben wird. Auf weitere Details zur kosmologischen Einteilung der einzelnen Welten gehen wir vorerst nicht ein, da sie nicht relevant für die Praxis sind. Man soll nicht daran denken, wie man in welche Welten wiedergeboren wird, sondern den eigenen Geisteszustand in diesem Moment erkennen.

Grob unterteilt entsprechen die drei Welten den drei Ebenen der Geistesbefleckungen. Die Sinneswelten sind von sinnlichen Begierden, die formhaften (oder feinkörperlichen) Welten vom Reiz an der Form (bzw. an feinkörperlichen Gefühlen) und die formlosen Welten vom Reiz am Formlosen (bzw. an den Wahrnehmungen des tiefen Bewusstseins) geformt worden. Für die Meditationspraxis sind nur die Stufen der formhaften und formlosen Welten relevant. Denn die Sinneswelten klassifizieren nur den Grad des Anhangens an sinnlichen Begierden, v. a. am Sexualtrieb. Je höher die Welt ist, desto schwächer sind die sinnlichen Begierden. So heißt es, dass in der höchsten Sinneswelt der Sexualtrieb befriedigt wird, indem Mann und Frau sich nur einmal anschauen.

Erst ab der ersten Versenkungsstufe kann man von der Übung der Samadhi sprechen. Unter Samadhi verstehen viele die stille Sitzmeditation, was aber nicht korrekt ist. Der Zustand der Samadhi hat wenig mit körperlicher Bewegungslosigkeit zu tun, sondern vielmehr mit der Ruhe und Unerschütterlichkeit des Geistes. Die formhaften und formlosen Welten haben jeweils vier Versenkungsstufen.

Die vier Versenkungsstufen von den formhaften Welten sind:

1. Verzückung und Glückseligkeit durch Abgeschiedenheit
2. Verzückung und Glückseligkeit durch Geistesstabilität
3. Verweilen in der Glückseligkeit, voll Gleichmut und Achtsamkeit
4. Reiner, klarer Geist frei von Glück und Schmerz

Schon mit der ersten Stufe hat man die sinnlichen Begierden transzendiert. Es heißt, die Sinnesgrund-lagen Nase und Zunge hören als erstes auf zu wirken: keine Reize kommen noch durch den Geschmacks- und Geruchsinn. Gemeint ist hier, dass der Geist sich vom Reiz dieser Sinnesobjekten befreit hat. Diese Abgeschiedenheit ist der Grund, dass man in der ersten Versenkungsstufe Verzückung und Glückseligkeit erfahren kann. Unter Abgeschiedenheit ist hier nicht eine physische Zurückgezogenheit zu verstehen, sondern die geistige Unabhängigkeit von den Sinnesreizen. Man könnte es vergleichen mit einer grundlosen Freude, die man ab und zu im Leben erfährt. Es geht dann nicht mehr um körperliche Reize, sondern um feinkörperliche Gefühle. Der Körper bringt einem nicht mehr aus der Ruhe. Die Blockaden auf der energetischen Ebene müssen aber noch überwunden werden. Buddhisten sprechen hier in der Regel nicht von Energien, sondern von Gefühlen und Gedanken. Die Praktizierenden verweilen auf dieser ersten Stufe gerne in der Stille, da ein großes Wohlbefinden auftritt. Diese Freude an der Übung wird mit der 2. Stufe noch stärker, da der Geist in den Zustand der Stabilität eintritt. Während in der ersten Stufe immer wieder grobe Gedanken auftreten und die Praktizierenden aus der Ruhe bringen, werden diese ab der 2 Stufe immer schwächer bis gar nicht mehr auftreten. Die 6 Sinnesgrundlagen kommen alle zur Ruhe, der Geist hebt die differenzierende Betrachtung von Subjekt und Objekt langsam auf. Man fühlt die Außen- und Innenwelt ohne Trennung als eins.

Im Beitrag über die 18 Sinnes- und Bewusstseinsbereiche erwähnten wir die 7. und 8. Bewusstseins-art, das Ego- und das Speicherbewusstsein. Die differenzierende Betrachtung und die Anhaftungen des Egobewusstseins führen letztendlich zu Unwissen und zur Befleckung des Geistes. Angenehmes wird geliebt und Unangenehmes verabscheut. Dieses Egobewusstsein unterscheidet Menschen, die es liebt und jene, die es hasst. Mit der 3. Versenkungsstufe beginnt die Beruhigung dieses unter-scheidenden Geistes. Gleichmut und Achtsamkeit treten an seiner Stelle. Die Impulse der Zu- und Ab-neigung aus dem Speicherbewusstsein werden erkannt aber nicht mehr beachtet. Selbst die Verzückung der ersten zwei Stufen wird gleichmütig betrachtet, sodass sie mit der Zeit verschwindet. Man unterscheidet nicht mehr zwischen unangenehm und angenehm. Verweilt man weiter in der Gleich-mut und Achtsamkeit, tritt die 4. Versenkungsstufe ein. Ein Geist der Klarheit und Reinheit manifestiert sich, wo selbst das Gefühl der Glückseligkeit nicht mehr existiert. Man hegt keinen Sinn mehr für Leid oder Glück. Kommt man weiter, verlässt man die feinkörperlichen Ebenen. Man tritt in die formlose Welt ein.

Die vier Versenkungsstufen der formlosen Welten sind:

1. Vergegenwärtigung von „Raum ist unendlich“
2. Vergegenwärtigung von „Bewusstsein ist unendlich“
3. Vergegenwärtigung von „Da ist nichts“
4. Vergegenwärtigung von „Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung“

Die Übung der Samadhi erreicht hier seinen Höhepunkt. Eine detaillierte Beschreibung dieser Stufen hat selbst Buddha Gautama nicht gemacht. Jeder Versuch einer Beschreibung ist schwer, da es hier um keine Formen, sprich keine körperlichen oder energetischen Gefühle, geht. Es existiert nur noch Bewusstsein. Durch die tiefe Ruhe hat man den Geist zeitweilig in einen Zustand der geistigen Leere versetzt, wo alle Sinnesgrundlagen nicht mehr tätig und das Ego- und Speicherbewusstsein weitestgehend stillgelegt sind. Man stelle sich vor, wie es wohl ist, wenn keine Formen mehr existieren: ein leerer Raum. Dennoch ist noch eine Vorstellung von einem Raum da. Überwindet man diese Vorstellung, tritt das unendlich leere Bewusstsein an die Stelle des unendlich leeren Raumes. Verweilt das Bewusstsein weiter in der Leere, hört es auch noch auf, eine unendliche Leere wahrzunehmen. Es kommt zu einer völligen Stille. Letztendlich hört Wahrnehmung oder Nichtwahrnehmung auf. Nachdem Form, Gefühl und Wahrnehmung nicht mehr stattfinden, kommt es auch zu keiner Geistes- oder Karmaformation, solange die Versenkung andauert. Dennoch überwindet die Samadhi allein nicht das Unwissen und die damit verbundenen tief eingesessenen Fehlansichten, die zu befleckten Bewusstseinszuständen führen und den Geist „wiederbeleben“. Das heißt, man verliert die Geistesstabilität und verfällt je nach dem Wirken (Karma) wieder in die jeweiligen Daseinsverhältnisse. Buddha Gautama hat vor seinem Erwachen diese Stufen erreicht und gesehen, dass diese nicht die endgültige Befreiung sind. Er hat dann begonnen, die kontemplative Betrachtung jedes einzelnen Zustandes zu üben. Mit der dadurch gewonnenen Weisheit konnte er die wahre Sicht erlangen und das Unwissen beenden. (Zum Thema „Unwissen“ kommen wir im nächsten Beitrag.) Das Erreichen der formlosen Versenkungsstufen ist also nicht unbedingt notwendig für das Erwachen. Buddha Gautama betonte sogar die Gefahr, dass man diese Stufen mit der endgültigen Erlösung verwechselt. Für die Praxis der Weisheitsbefreiung sind die formhaften Versenkungsstufen sogar günstiger als die formlosen. Die Buddhalehre sagt auch, dass es sogar nicht notwendig ist,  die Sinneswelten zu verlassen, um sich durch die Weisheit zu befreien. Diese Weisheit, auf Sanskrit prajna, auf Pali panna, ist eben der Weg, welcher der Bodhisattva Avalokiteshvara im Herz Sutra dargelegt hat.



Kategorien:Buddhismus, Herzsutra

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