Das Gespräch mit Bhaddiya (AN 4.193)

Besprechung buddhistischer Themen anhand auserwählter Pali-Sutten

1. Einleitung

2. Die Flut queren (SN 1.1)

3. Die drei Glaubensstandpunkte (AN 3.61)

4. Die unzulänglichen Ansichten (AN 10.93)

5. Das Gleichnis der Trommel (SN 20.7)

6. Kassapa (SN 16)

7. Das Ende der Welt (SN 2.26, AN 4.45)

8. Citta, der Hausvorsteher (SN 41)

9. Das Gespräch mit Bhaddiya (AN 4.193)

Im heutigen Beitrag geht es um ein aufschlussreiches Gespräch zwischen Gautama Buddha und einem Kritiker, dem Adeligen Bhaddiya. Zu finden ist das Gespräch im Vierer-Buch der nummerierten Lehrreden Gautama Buddhas: AN 4.193 Bhaddiya Sutta.

Nachdem der Licchavier (es ist unklar, ob dies eher die Zugehörigkeit zu einem Volksstamm oder einem Clan, einer Sippe ausdrückt) Bhaddiya dem Buddha seine Aufwartung gemacht hat, bringt er gleich einmal einen kursierenden Vorwurf zur Sprache:

„Hinterlistig ist der Samane Gautama, er versteht sich auf verlockende List, mit welcher er den anderen Meistern die Schüler abtrünnig macht.“

Allerdings sagt er eben, dass er das so gehört habe. Er gibt also nicht eine eigene Überzeugung oder Beobachtung, als vielmehr eine in den Städten und Dörfern die Runde machende Meinung wieder. Dem will er nun auf den Grund gehen, indem er Gautama direkt damit konfrontiert. Dieser soll nun Stellung dazu beziehen.

Anstatt sich unmittelbar zu rechtfertigen, holt Gautama etwas weiter aus, und es kommt ein Textabschnitt, der in den Lehrreden häufiger in genau diesen Worten vorkommt:

„Geht, Bhaddiya, nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht nach Tagesmeinungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften, nicht nach bloßen Vernunftsgründen und logischen Schlüssen, nicht nach erdachten Theorien und bevorzugten Meinungen, nicht nach dem Eindruck persönlicher Vorzüge, nicht nach der Autorität eines Meisters!“

Dieser gute Rat Buddhas wird wohl von uns allen viel zu wenig beherzigt. Die Menschen scheinen es zu lieben, jeden dieser aufgezählten Fallstricke genüsslich auszukosten. Aber es ist ja auch fast unmöglich dem zu entkommen. Denn wird da nicht geradewegs jede mögliche Einstellung zum Erkenntnisgewinn verworfen?

Gehen wir sie der Reihe nach kurz durch:

Hörensagen, das kennen wir nur allzu gut. Heutzutage ist das ganz groß auf den sogenannten sozialen Medien. Überlieferung: „das weiß man doch, das weiß jeder, das war schon immer so“. Wohl auch keine solide Quelle, wenn man es unvoreingenommen betrachtet. Die „Tagesmeinungen“ (das hat Nyanatiloka übrigens sehr treffend  übersetzt) sind halt recht besehen nur die täglich wechselnden Vorurteile, nicht? Die Lehrredensammlungen sind weiters die einzigen „heiligen Schriften“ (eigentlich sind sie im richtigen Verständnis nicht „heilig“, aber sie haben in der Buddhalehre immerhin höchste Autorität), die vor blindem Glauben an heilige Schriften ausdrücklich warnen. Damals, als der Buddha Gautama die Worte so oder so ähnlich gesprochen hat, wie sie dann Jahrhunderte später in den Texten fixiert wurden, wird er die indischen Veden und Upanischaden gemeint haben.

Das sture Kleben am Buchstaben, in welcher Tradition auch immer, ist gewiss unheilsam. Auch in der christlichen Welt gab es und gibt es genug Gruppierungen, die für dieses Thema sensibilisiert sind und vor unweisem Umgang mit den biblischen Texten warnen. Sie können sich auf die Autorität des heiligen Paulus berufen, der in seinem 2. Brief an die ersten Christen in Korinth schreibt:

„Er (Christus) hat uns auch befähigt, Diener des neuen Bundes zu sein, der nicht Kraft des Buchstabens, sondern Kraft des Geistes besteht. Denn der Buchstabe tötet, doch der Geist macht lebendig.“

Dieser Vergleich von Zitaten von Gautama und Paulus zeigt uns einen Hinweis, dass es bei neuen spirituellen Bewegungen am Anfang doch immer sehr ähnliche Probleme gibt. So wie sich der Inder Gautama mit seiner Schriftkritik auf die brahmanischen Veden bezog, kritisierte der Jude Paulus die Thora des Judentums. Und Jahrhunderte später sind die jeweiligen Überlieferungen der beiden leider selbst wiederum zum „toten Buchstaben“ geworden, den es mit Hilfe des Geistes wieder lebendig zu machen gilt.

So weit haben wir in unserer Aufzählung die etablierten Religionen behandelt. Gautamas nächster Kritikpunkt entspricht genau der europäischen Aufklärung seit dem 18. Jahrhundert. Aber auch mit dem Appell Kants und Humes an die Vernunft und Logik wäre Gautama nicht ganz einverstanden  gewesen. Warum dies? Die Buddhalehre ist gewiss ein Freund von Vernunft und Nachdenken. Das ist wichtig, aber noch nicht alles. Schließlich ist noch niemand durch Nachdenken erwacht. Die Aufklärung hat in weiterer Folge auch nur wieder ihre eigenen Engstirnigkeiten produziert und die Welt, den Kosmos, fürchterlich vereinfacht und reduziert.

Eng damit verwandt ist unser nächster Punkt. „Erdachte Theorien“ und „ bevorzugte Meinungen“ sind auch keine Lösung. Gerade heutzutage richten sie viel Unheil an. Damit kann man sich ordentlich verrennen. Der letzte Punkt betrifft das persönliche Charisma. Heute gerne als absoluter Beweis genommen, kann die persönliche Wirkung eines Meisters auf sein Publikum aber auch in die Irre führen. Nun, mit der Zeit treten die Defizite der Führungsperson, falls vorhanden, in der Regel schon ans Tageslicht. Dann ist die Enttäuschung groß.

Schön und Gut. Wieder einmal hat uns Gautama so ziemlich alles weggenommen, mit dem wir bisher herumgespielt haben. Aber wie gewohnt bleibt er nicht destruktiv, sondern zeigt auch konstruktiv einen Ausweg:

„Wenn ihr aber, Bhaddiya, selbst erkennt: diese Dinge sind unheilsam, sind verwerflich, werden von Verständigen getadelt und (…) führen zu Unheil und Leid – dann, Bhaddiya, mögt ihr sie aufgeben.“

Es ist bei der Buddhalehre wie bei einer Suchttherapie. Das Fundament ist die eigene Erfahrung, dass bei einem selbst Verbesserungsbedarf besteht. Warum mache ich immer dieselben Fehler, die ich gar nicht tun will? Weil ich gar nicht so sehr Herr über mich bin, wie ich glaube. Was die Buddhalehre die Geistesgifte nennt, hat bei mir ordentlich was mitzureden:

„Was glaubst du, Bhaddiya: gereicht die Gier (Raga), die im Menschen aufsteigt, ihm zum Heil oder Unheil?“

Fragt Gautama, und Bhaddiya gibt zu:

„Zum Unheil, Herr“

Wenn diese Antwort nicht selbstständig, aus eigener Erfahrung eingesehen wird, fehlt es an einer Grundlage, um mit der Buddhalehre überhaupt etwas anfangen zu können. Es geht nicht darum, dass die drei Geistesgifte abstrakt moralisch schlecht sind, sondern darum, dass sie ein Problem sind, eben folgerichtig zu Unheil führen für sich und für andere, eben für alle. Dies wird nun in unserem Text für die Abneigung (Haß, Dosa) und die Verblendung (Falschwissen, Moha) und interessanterweise zusätzlich für das Ungestüm (emotionale Heftigkeit, Sarambho) ebenso ausgeführt. Und dann kommt der ganze Textblock noch ins Positive umgekehrt: Ist Gierlosigkeit heilsam oder unheilsam, wird gefragt und entsprechend antwortet Bhaddiya mit „heilsam“, und so die übrigen drei erwähnten Eigenschaften. Dieser Abschnitt schließt mit Gautamas Fazit, dass man gute, edle Menschen daran erkennen kann, ob sie ihre Anhänger ermutigen, diese Geistesgifte zu überwinden oder nicht.

Dieser längere Abschnitt hat Bhaddiya, der ja, wie wir uns erinnern, wegen etwas ganz anderem gekommen ist, so überzeugt, dass er sich jetzt zum Anhänger Gautamas deklariert. Dieser reagiert so:

„Habe ich wohl, Bhaddiya, zu dir etwa gesagt: komm Bhaddiya, sei mein Schüler, ich will dein Meister sein?“

Das eigentlich nicht, gibt Bhaddiya zu. Schön und Gut. Und, fragt Gautama weiter, wie steht es nun mit der Eingangsfrage bezüglich der Hinterlist Gautamas? Sind die Anschuldigungen berechtigt oder nicht?

Anstatt sich zu rechtfertigen, hat Gautama die Gelegenheit gleich genutzt, um Bhaddiya selbst auf den buddhistischen Pfad zu bringen! Da hat Bhaddiya jetzt die „Hinterlist, mit der der Samane Gautama Anhänger gewinnt“ am eigenen Leib erfahren. Das folgende Zitat aus dem Ausklang unserer Lehrrede soll uns daran erinnern, den „Buddhismus“ als Gedankengebäude oder Konzept von dem wahren Anliegen, wegen dem Buddhas in der Welt erscheinen und lehren, zu unterscheiden:

„Möchte auch, Bhaddiya, diese Welt mit ihren guten und bösen Geistern, ihren Brahma-Göttern, mit ihrer Schar von Samanas und Brahmanen, mit ihren Göttern und Menschen sich dazu verlocken lassen, die unheilsamen Dinge aufzugeben und die heilsamen Dinge zur Entfaltung zu bringen, so würde es auch dieser ganzen Welt lange zum Segen und Wohl gereichen.“



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