In lockerer Reihenfolge wollen wir hier die wichtigsten Gestalten des Weges der Einheit, an erster Stelle Buddha, Laozi (Laotse) und Konfuzius, vorstellen.
Gewiss ist dem einen oder anderen schon aufgefallen, dass oft einmal Buddhas (in der Mehrzahl) erwähnt werden. Es handelt sich hier nämlich nicht um einen Namen, sondern es ist sozusagen ein Titel, oder die Bezeichnung eines Zustandes. Wörtlich bedeutet es „Erwachter“: nämlich aus dem Traumgespinst des Daseins (aus eigener Kraft) erwacht.
Was einen Buddha im Speziellen unter den erwachten Wesen im Allgemeinen auszeichnet, sind folgende Punkte:
- Er tritt in Erscheinung, wenn der „edle Dharma“, die Lehre vom Weg zum Erwachen, wieder einmal aus der Welt verschwunden ist.
- Er kämpft sich dennoch mühsam auf eigene Faust zum Erwachen durch, legt also den überwucherten, verwilderten Pfad zum Erwachen wieder von neuem frei.
- Er fasst aus Mitgefühl zu allen Wesen den Entschluss, so vielen wie möglich ebenfalls zum Erwachen zu verhelfen.
- Er etabliert aus diesem Grund den Dharma (die Lehre) von neuem in der Welt.
Kurz gesagt kann man zusammenfassen, das die zwei Merkmale, die einen Buddha von anderen Menschen unterscheiden, umfassendes Mitgefühl und durchdringende Weisheit sind. Den Buddha des gegenwärtigen Zeitalters (die Gründergestalt des Buddhismus wie er heute in der Welt existiert), den Inder Gautama Siddhartha, sehen wir uns jetzt genauer an.
Unsere Quellen sollen vor allem seine eigenen Worte sein, überliefert im Sutta Pitaka des Palikanon, des tradierten Schrifttums der Theravada Schule. Das Pali gehört zu den mittelindischen Prakrit Sprachen und war wahrscheinlich die Handels- und Verkehrssprache des damaligen Nordindien. Siddhartha und seine Schüler (wie Ananda und Sariputra) haben wohl Maghadha gesprochen, doch all diese indischen Sprachen sind so eng verwandt, dass man sie sich eher als Dialekte vorstellen muss. Sanskrit, die Sprache des späteren Buddhismus, hat Siddhartha als gebildeter Katthiya gewiss perfekt beherrscht, aber aufgrund der Verbindung dieser Sakralsprache mit seinen großen Antagonisten, der Priesterkaste der Brahmanen, selbst nicht verwendet. Das zeigt übrigens einen wichtigen Charakterzug der Buddhalehre: Sie ist für alle da, die „Augen zum Sehen und Ohren zum Hören“ haben, das heißt: es kommt nur auf den Willen des einzelnen an, nicht auf weltlichen Status, Wissen, Bildung etc. Es wird auch immer wieder so ausgedrückt, dass der Erwachte „die Hand offen hält, nicht zur Faust geballt.“ Es gibt beim Buddha also nichts „nur für Eingeweihte“, keine Mysterien, nichts Esoterisches. Übrigens ist dies die Bedeutung des Handmudras der Lehrverkündung, die man von unzähligen Buddhastatuen kennt, wo die Figur dem Betrachter die Handinnenfläche zeigt.
Versetzen wir uns also in das nördliche Indien vor etwa 2500 Jahren, um 500 v. Chr.: in das Gebiet, das im Norden von den Ausläufern des Himalaya begrenzt und maßgeblich vom gewaltigen Ganges Strom geprägt wird. Eine agrarisch geprägte, eisenzeitliche Kultur im Umbruch: neue gesellschaftliche Strukturen und vielfältige geistige Strömungen drängen heran, Handel und Handwerk sind im Aufschwung; unterschiedliche politische Gebilde leben auf engem Raum beieinander, mächtige, aggressive Königreiche wie Maghadha und Kosala dehnen sich auf Kosten der kleinen Stadtstaaten und Stammesrepubliken mit Waffengewalt und/oder Diplomatie immer mehr aus.
Eine dieser kleinen Stammesrepubliken ist der Staat der Sakhya, mit der an den Hängen des Himalaya gelegenen Hauptstadt Kapilavatthu. Die führenden Männer der Sakhya wurden von der Volksversammlung aus der Kaste der Kriegeradeligen ausgewählt, es handelte sich also um eine Mischung aus Demokratie und Aristokratie. Das indische Kastenwesen befand sich damals erst am Anfang seiner Entwicklung, die Kasten waren noch durchlässig und nicht so streng geschieden, und die erwähnten Katthiya und die Brahmanen (die Priesterkaste) stritten erbittert um die Vorherrschaft (Welche die Brahmanen später, im Hinduismus, für sich entscheiden konnten). Eine hervorragende Position bei den Sakhya hatte der Kriegeradelige Suddhodana inne. Ihm widerfuhr eines Tages ein erfreuliches Ereignis: Sein erster Sohn wurde geboren, dem der Eigenname Siddhartha gegeben wurde. Gautama ist der Familien- oder Sippenname, mit dem sich die Inder außerhalb des engsten Freundes- und Verwandtenkreises üblicherweise anredeten. Als Angehöriger der Kriegerkaste, zumal als Sohn eines einflussreichen und wichtigen Katthiya, war sein Lebenslauf vorgezeichnet: eine gründliche und umfassende Erziehung in allen altindischen Wissensgebieten und im Kriegshandwerk, und anschließend – nach erfolgreicher Bewährung in diversen Schlachten – eine wichtige Rolle in der Leitung des Sakhya-Staates, in den Fußstapfen seines Vaters.
Sicher kennen viele diese Geschichte in der vereinfachten Form der Erzählung vom unermesslich reichen und verwöhnten indischen Prinzen, der streng abgeschirmt von der wirklichen Welt in seinem Palast aufwächst und erst auf seinen berühmten vier Ausfahrten mit der harten Realität konfrontiert wird. Was hat es nun damit auf sich?
Einige Gedanken dazu von mir: im weiteren Verlauf der indischen Geschichte wurden die oben erwähnten Stadtstaaten und Stammesrepubliken von den (militärisch viel stärkeren) expandierenden Monarchien so gründlich hinweggefegt, dass schon die bloße Kenntnis dieser Regierungsformen verloren ging, so dass man das oben dargestellte fast zwangsläufig „ins Monarchische übersetzen“ musste. Womöglich galt das später für ein so straff organisiertes Kaiserreich wie China umso mehr? Die späteren populären Buddha Legenden haben außerdem nicht (nur) eine rein biografische Absicht, sie wollen vielmehr eine belehrende und anschauliche Geschichte erzählen, und mit den vier Ausfahrten kann man die vier edlen Wahrheiten schön darstellen.
Dem gegenüber ist es wirklich bemerkenswert, wie sehr die in den Lehrreden verstreuten, beiläufigen Aussagen Gautama Buddhas über seine eigene Biografie sowohl mit nichtbuddhistischen altindischen Quellen als auch mit der modernen Altertumskunde (Archäologische Funde in Nordindien und Nepal) übereinstimmen!
Kurz einige Schlaglichter auf die Kindheit und Jugend Siddharthas: Zwar trifft die Vorstellung von Reichtum und Wohlstand bei einem Katthiya-Adeligen wohl zu, aber von den später sprichwörtlich gewordenen indischen Maharajas[1] sind wir noch weit entfernt. Einmal erwähnt Siddhartha beiläufig eine Kindheitserinnerung, wie er mit seinem Papa die Felder pflügte! Weiters bringt er auffallend gerne Gleichnisse aus dem Waffenhandwerk (Bogenschießen, Schwertkampf, Umgang mit Elefanten und Pferden), und aus der Medizin (Wundpflege), was offensichtlich die Erziehung eines Kriegeradeligen reflektiert. Ständig fällt einem in den Lehrreden auch eine generell breite Bildung und ein sehr souveränes, diplomatisches Umgehen mit mächtigen indischen Zeitgenossen auf, was ebenfalls gut zu der wirklichen Herkunft passt, weniger aber zu einem weltfremden, verwöhnten Prinzen.
Eines ist aber jedenfalls sicher: Mit 29, inzwischen verheiratet und kurz nach der Geburt eines Sohnes (der später übrigens seinem Vater nacheiferte und Mönch unter ihm wurde), hatte Siddhartha genug von seinem bisherigen Leben und „stieg aus“. Im wahrsten Sinne des Wortes: heimlich mitten in der Nacht aus dem Fenster nämlich. Das ist das Phänomen des braven Ehemanns und Arbeitnehmers, der „mal eben schnell Zigaretten holen will“ und nie mehr gesehen wurde… Oder man könnte sagen „der Hippie, der im Offizier und Gentleman steckte“.
Eine Lehrrede erwähnt das Detail, dass noch über 20 Jahre später, als der da bereits hochberühmte Buddha auf seinen Wanderungen mit zahlreichen Mönchen in seine alte Heimat kam, die verlassene Gattin immer noch sauer war und sich standhaft weigerte ihn zu treffen.
Was bringt einen Menschen zu so einem Entschluss?
In der Ariyapariyesana Sutta „Die edle Suche“[2] berichtet Siddhartha:
„ … damals [in seinem alten Leben] war auch ich der Geburt unterworfen und suchte, was ebenfalls der Geburt unterworfen war; war ich dem Altern, der Krankheit, dem Tode, dem Kummer, der Befleckung unterworfen und suchte, was ebenfalls dem Altern der Krankheit, dem Tode, dem Kummer, der Befleckung unterworfen war. Warum eigentlich? Angenommen, ich suche [jetzt] die ungeborene (unbefleckte) höchste Sicherheit vor dem Gefesseltsein, Nirwana? … Dies ist edle Suche!“
Gesagt, getan. „Auf der Suche nach dem heilsamen, auf der Suche nach dem höchsten Zustand erhabenen Friedens“, als damals übliches Zeichen für den „Auszug in die Hauslosigkeit“ mit abrasierten Haaren und Bart und in gelber Robe, suchte Siddhartha nacheinander berühmte spirituelle Lehrer und Einsiedler auf. Alara Kalama und Uddaka Ramaputta waren die Wichtigsten, bei denen er Meditationsmethoden meisterte und Zustände erreichte, die bis heute bei den meisten buddhistischen Schulen große Bedeutung beigemessen werden. Doch war das alles noch unzulänglich, sein Ziel war noch nicht erreicht. Er erzählt seinen Mönchen: „ … immer noch auf der Suche nach dem Heilsamen, nach dem höchsten Zustand erhabenen Friedens, wanderte ich etappenweise durch das Land Maghadha, bis ich schließlich bei Senanigama nahe Uruvela ankam“.
Am Ufer des Flusses Neranjara bildeten Pappel-Feigen (Ficus Religiosa; auch bekannt als „Bodhibaum“) einen lieblichen Hain, und dieser Anblick löste in Siddhartha einen festen Entschluss aus: er würde sich jetzt, genau jetzt unverzüglich, unter einem dieser Bäume niedersetzen und entweder erst vollkommen erwacht wieder aufstehen oder an Ort und Stelle sterben.
In der ersten Morgendämmerung geschah es:
„Dann, ihr Bhikkhus … erlangte ich die ungeborene (unbefleckte) höchste Sicherheit vor dem Gefesseltsein, Nirwana. Das Wissen und die Schauung (Sicht) erwuchs mir: Meine Befreiung ist unerschütterlich – dies ist meine letzte Geburt – jetzt gibt es kein erneutes Werden mehr.“
Siddhartha erwog:
„Dieser Dharma ist tiefgründig, schwer, friedvoll und erhaben, durch bloßes Nachdenken nicht zu erlangen, subtil, von den Weisen zu erfahren. Aber die Leute ergötzen und erfreuen sich am Verlangen. Wie sollen sie den Dharma, wie sollen sie das Prinzip der bedingten Entstehung verstehen können? Indem ich dies erwog, neigte mein Herz eher zur Untätigkeit als zum Lehren“.
Aber Siddharta erzählt weiter, dass sodann eine indische Gottheit, der Brahma Sahampati, vor ihm erschien und ihn eindringlich bat, den Dharma zu lehren:
„Da schenkte ich der Fürsprache des Brahma Gehör und aus Mitgefühl begutachtete ich die Welt mit dem Auge eines Buddha. Da sah ich Wesen mit wenig Staub auf den Augen und mit viel Staub auf den Augen, scharfem und stumpfem Verstand, mit guten und mit schlechten Eigenschaften, leicht und schwer zu Belehrende …“
Nun stand für Siddhartha fest: ja, er würde den Dharma aus Mitgefühl für die Mitwesen verbreiten. Aber wo anfangen? Seine beiden früheren Lehrer waren kurz zuvor gestorben, aber fünf frühere Gefährten aus seiner Asketenzeit boten sich an.
Siddhartha machte sich auf den Weg zu ihnen. Unterwegs traf er den ersten Menschen nach seinem Erwachen: den Ajivaka (das ist eine altindische Glaubensgemeinschaft) Upaka, der ihn gleich fragte, wer denn sein Lehrer sei, welcher Lehre er folge. Siddhartha antwortete, er folge keiner Lehre mehr, er habe alles transzendiert, alles erreicht, keinen Lehrer mehr nötig.
Ajivaka Upakas Reaktion?
„Möge es so sein, mein Freund.“ Und kopfschüttelnd nahm er einen Seitenweg und ging davon…
Das fängt ja schon mal gut an, nicht?
Schließlich erreichte er Varanasi, den Hirschpark bei Isipatana, den momentanen Aufenthaltsort der fünf Asketen, und traf zuerst auch hier auf erheblichen Widerstand. Doch mit der Zeit schenkten sie ihm doch Gehör, und schließlich geschah, was die „Lehrrede vom in Gang setzen des Rades der Lehre“[3], schildert: Kondanna, einer der fünf, erwachte beim Zuhören. Damit war es vollbracht: der Dharma, die edle Lehre vom Erwachen, war wieder in die Welt zurückgekehrt!
Wie man so schön sagt: „ der Rest ist Geschichte“…
Nun ging es los, über 40 Jahre lang wanderte der jetzige Buddha durch das Ganges Becken und lehrte seinen Dharma. Als er schließlich starb, hinterließ er eine stabile Sangha, darunter zahlreiche erwachte Arhats, und eine exakte, vollständige, zuverlässig überlieferte Lehre zum Erwachen.
Bei der Ortschaft Kusinara ging das Leben des 80-jährigen zu Ende.
Inmitten der Mönchsgemeinschaft ruhend, richtete sich der sterbende Siddhartha noch einmal an seine Schüler: gebe es noch irgendwelche Unklarheiten, Zweifel, Fragen? Die Antwort war völlige Stille. Ananda ergriff daraufhin das Wort und stellte das Offensichtliche fest: in dieser zahlreichen Mönchsschar gebe es keinen Einzigen, der noch irgendeine Unsicherheit bezüglich der Lehre habe.
Siddhartha sprach seine allerletzten Worte: „Vergänglich sind alle Gestaltungen (Sankhara), strebet ohne Unterlass!“
Gibt es ein schöneres Happy End für ein Unterfangen, das mit dem Aufbruch in die Hauslosigkeit, damals in jener Nacht begann?
[1] Hinduistischer indischer Herrschertitel, „großer Herrscher/Fürst/König“
[2] Ariyapariyesana Sutta, „Die edle Suche“, Majjhima Nikaya 26
[3] Dhammacakkappavattana Sutta, Saṃyutta Nikāya („Die Gruppierte Sammlung“) 56.11
Kategorien:Buddhismus, Chan- (Zen-) Buddhismus
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