„Alle fünf Ansammlungen sind leer“

Herz Sutra – „Ihm leuchtete auf: Alle fünf Ansammlungen sind leer“

——Begleitlektüre zum Drei Schätze Retreat am 19.11.2020

Von hier an beschreibt der Text eingehend den Zustand der uns umgebenden Welt aus der Sicht der vollkommenen Weisheit:

Ihm leuchtete auf: die fünf Ansammlungen sind alle leer – das löst alles Leiden.

Mit den fünf Ansammlungen stoßen wir hier auf einen zentralen Begriff in der Buddhalehre. Skandha ist das Sanskrit Wort, auf Pali Khandha. [i] Wenn Gautama Buddha mit seinen Schülern über die Existenz (Welt und Ich) sprach, verwendete er also die folgenden fünf Kategorien, um das gesamte Erleben des Menschen zu erklären:

  • Form (Sanskrit: Rupa; Chinesisch: 色 se)
  • Gefühl (Sanskrit: Vedana; 受shou)
  • Wahrnehmung/Gedanken (Sanskrit: Sanna; 想xiang)
  • Gestaltung/Formation (Sanskrit: Sankhara; 行xing)
  • Bewusstsein (Sanskrit: Vinnana; 识shi)

Weder kommt hier ein unabhängig existierendes „Ich“ noch eine unabhängig existierende „Welt“ vor! „Leben ist (nur) Erleben“, so kann man die Grundaussage hinter diesen Belehrungen Buddhas zu den Skandhas vielleicht auf den Punkt bringen. Dies allerdings widerstrebt dem gewöhnlichen menschlichen Bewusstsein, welches (unterschwellig) ständig noch mehr Konzepte aufstellen und Inhalte verdinglichen will. Der unerwachte „gewöhnliche Mensch“ macht allzu leicht aus den fünf Ansammlungen, die als Werkzeuge zur Befreiung des Geistes gelehrt wurden, selbst wiederum ein Gedankengebäude, an dem er anhaftet. Der Bodhisattva Avalokiteshvara hingegen sieht die ganze Existenz aus erwachter Perspektive, in der auch den Skandhas keine wirkliche Eigenexistenz (Svabhava) zukommt – sie sind leer davon. Das ganze Herz Sutra führt uns eindrücklich dieses Leersein (Sanskrit: Shunyata; Chinesisch: 空kong) vor Augen, vor dem der unerwachte Geist unbewusst zurückschreckt. Allzu leicht verfällt man hier beim Lesen und Nachdenken in ein bildhaftes Begreifen und stellt sich die fünf Ansammlungen als feststehende Dinge vor.  

In der buddhistischen Lehre werden die fünf Ansammlungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Die folgende Lehrrede stellt die richtige Ansicht in bildhaften Gleichnissen dar. [ii]  Bezüglich der Form sagt Gautama Buddha hier:

„Es ist, ihr Mönche, wie mit einer großen Schaummasse, die dieser Ganges mit sich führt. Ein scharfsichtiger Mann… der sie erblickt, über sie nachsinnt, sie gründlich untersucht, eben als leer würde sie da erscheinen, eben als hohl würde sie da erscheinen, eben als kernlos würde sie da erscheinen. Wie sollte auch, ihr Mönche, in einer Schaummasse ein Kern sein!“

Und über das Gefühl:

„… wie wenn zur Herbstzeit, wenn Regen in schweren Tropfen fällt, im Wasser Blasen entstehen und wieder verschwinden…“

Zu Wahrnehmung/Gedanken:

„…wie wenn im letzten Monat des Sommers zur Mittagszeit eine Luftspiegelung erscheint…“

Zu Gestaltung/Formation:

„… Wie wenn ein Mann, der Kernholz wünscht … einen Bananenstamm fällt, die Spitzen abschneidet und die Blattscheiden beseitigt …“ (der Bananenstamm ist innen hohl und ohne Holz)

Und schließlich zum Bewusstsein:

„…wie wenn ein Gaukler… sein Gaukelwerk zeigt“

Diese Lehrrede schließt mit einem zusammenfassenden Gedicht:

Dem Schaumball gleicht der Körper
Der Wasserblase das Gefühl
Ein Luftphantom ist Wahrnehmung der Sinne
Gestaltungen sind ohne Kern wie der Bananenstamm
Und Gaukelkünsten ähnelt das Bewusstsein
So hat der Sonnenheld[iii] es aufgezeigt

Allerding ist Leere aber nicht unbedeutend. Für die Zeit des Daseins sind die fünf Ansammlungen ein  Werkzeug, mit dem ein ethisches, edles und weises Dasein gelebt werden kann. Erst nach dem Erkennen der Leerheit ist es möglich und auch wichtig, den Bodhisattvaweg zu beschreiten, um einen Vernichtungsglauben (Nihilismus) zu vermeiden.

Zum Praxisweg des Weges der Einheit ziehen wir wieder ein Zitat des Erhabenen Lehrers heran:

Buddha lehrt, dass die fünf Ansammlungen (Skandhas) leer sind, auch die sechs „Stäube“ (Sinnesobjekte) existieren nicht. Sie existieren durch die Anhaftung der Menschen an ihnen. Es gibt keinen Geist, nur durch die Umstände existiert er. Es gibt keine Buddhalehre, nur durch Buddhas Lehre existiert sie. Unser Urwesen ist im Grunde klar und rein und ohne etwas, wo soll dann noch ein „Staub“ sein? Wenn man aber sich selbst anschaut und sein Urwesen betrachtet, ist es vermutlich nicht mehr dieses ursprüngliches Sein: im Samsara haben wir uns derart verwandelt, ist dieses Ich wirklich das Ich? Betrachte nicht das Formhafte als das wahre Ich. Erkennt man es nicht, erfährt man letztlich selbst das Leiden. Man erlangt keine Befreiung und verleitet womöglich noch andere Menschen auf den falschen Weg. [iv]  

Was für Leiden erfährt man denn und wie befreit man sich davon? Der nächste Satz im Herz Sutra gibt die Antwort: Das löst alles Leiden! Was versteht man hier unter „alles Leiden“? (Fortsetzung folgt)


[i] Hier ein Link dazu im „buddhistischen Wörterbuch“ des deutschen Bhikkhus Nyanatiloka (Anton Gueth). Dieses Wörterbuch stellt die Buddhalehre aus der Theravada Sicht dar und wurde vor über 100 Jahren geschrieben. Es ist aber noch heute empfehlenswert.  Anton Gueth (1878 bis 1957) war der erste deutschsprachige Bhikkhu überhaupt, der 1904 ordiniert wurde.

[ii] Samyutta Nikaya, die Gruppierten Lehrreden, 22. Khandha Saṃyutta – Die Daseinsgruppen, S.22.95. Schaum – 3. Pheṇapiṇḍūpama Sutta Sutta 22, Khandha Samyutta

[iii] Eine poetische Bezeichnung für den Gautama Buddha

[iv]  活佛师尊慈语: 佛说五蕴本空,六尘非有,本来是没有五蕴六尘,是人执着才有,心本无心因境有,法本无法因佛说有,咱们的本性本来是清净,本来无一物,何处惹尘埃。但是现在看看自己,反观自己心性,可能已经不那个本来的面目,人在轮回中改头换面,这个我是我吗?

不要把色身的假我当做真我看,傻傻的分不清楚,若认假为真幸苦的还是自己,不但自己不能解脱,还会误导别人走错路,自己坠落还不太要紧,还带一群人跟着你一起坠落这样的过失谁担当得起,罪莫大渊?

<–Die kontemplative Selbstbetrachtung

–> „Das löst alles Leiden“



Kategorien:Buddhismus, Herzsutra 心经

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