Dharmaschatz Podiumsutra d. 6. Ahnlehrers Kap. 1 (11): Weder Wind noch Fahne bewegen sich
— Begleitlektüre zum wöchentlichen Drei Schätze Retreat am 28.11.2019
Im letzten Beitrag sind wir dort stehen geblieben, wo Huiming die Verfolger abgelenkt und dem Ahnlehrer Huineng zur Flucht verholfen hat. Im 7. Kapitel des Sutras berichtet Huineng von den folgendenen Erlebnissen:
Huineng versteckte sich dann im Dorf Caozhou, wo niemand ihn kannte. Da war ein konfuzianischer Gelehrter namens Liu Zhilue, der ihn respektvoll und vorzüglich behandelte. Zhilue hatte eine Tante, eine ordinierte Nonne, namens Wujinzang. Sie rezitierte ständig das „Große Nirvana Sutra“ (大般涅槃經; Maha Parinirvana Sutra). Huineng verstand den Text gleich beim Hören und erklärte ihn ihr. Als sie ihn nach den Zeichen fragte, sagte er: „Die Schriftzeichen kenne ich nicht, frage einfach nach dem Sinn.“
Die Nonne sagte: „(Wenn Sie) die Schriftzeichen nicht kennen, woher kennen (Sie) den Sinn?“
Huineng sagte: „Der wundersame Sinn aller Buddhas hat nichts zu tun mit den Schriftzeichen.“
Rasch verbreitete sich Huinengs Ruf als ein erwachter Meister, und viele Interessenten strömten zu ihm, darunter auch Menschen nobler Herkunft, die bereit waren, ihm seinen Lebensunterhalt zu bestreiten:
Zu der Zeit war die alte Klosteranlage Baolin eine verfallene Ruine, seit der Kriegszeit am Ende der Sui-Dynastie (581-618 n. Chr.). Sie bauten diese nun wieder auf und boten Sie dem Lehrer (Huineng) als Residenz an. Bald schon wurde das Kloster zur (vielbesuchten) heiligen Stätte.
Es machte den Anschein, als würde er erfolgreich seine Lehre verbreiten. Die befürchteten Schwierigkeiten jedoch waren noch nicht vorbei:
Der Lehrer (Huineng) wohnte dort mehr als neun Monate, aber er wurde wieder von böswilligen Parteien gefunden und verfolgt. Er versteckte sich am nächsten Berg (vor dem Kloster). Die Verfolger setzten die Wälder und Büsche (des Berges) in Brand. Der Lehrer (Huineng) konnte sich in einem Fels versteckt halten, sodass er (vom Brand) verschont wurde. An diesem Fels sind noch heute Spuren vom Knie des Lehrers durch den Sitz mit gekreuzten Beinen zu sehen, auch sind Flecken von der Abfärbung vom Stoff der Robe noch heute ersichtlich. Deshalb nennt man diesen den „Stein zum Schutz vor Unheil“.[i]
Dieses Versteck im Fels war eine kleine Grotte, deren Größe gerade nur Platz für eine Person im Sitzen bot. Wenn Gebüsche und Wälder brannten, war davon auszugehen, dass starke und lang andauernde Rauchbildung herrschte. Wie lange er, im Schneidersitz verharrend, in dieser Grotte diese ungemein belastende Situation aushalten musste? Sein Überleben war somit wie ein Wunder zu sehen, und für Huineng musste dieses Ereignis eine ungeheure Prüfung gewesen sein. Er erinnerte sich an die mahnenden Worte seines Lehrers und beschloss, sich vorerst versteckt zu halten:
Am Ort Sihui mischte er sich unter die Jäger und fand so Schutz bei ihnen. So vergingen fünfzehn Jahre. Bei Gelegenheit lehrte er die Jäger, in passenden Situationen. Immer wenn die Jäger ihn über das Fangnetz wachen ließen, ließ er die gefangenen Lebewesen wieder frei. Bei den Mahlzeiten legte er immer Pflanzliches in den (gemeinsamen) Fleischtopf. Wenn man ihn dazu fragte, dann antwortete er: „Ich esse das Gemüse nebst dem Fleisch.“
Die Lebensbedingungen in Abgeschiedenheit, in den Bergen, sind durchaus hart gewesen. Er nutzte jedoch auch die Gelegenheit, die Jäger in die buddhistische Lehre einzuweisen. Die Jäger, eher ungebildete Bergmenschen, sind aus buddhistischer Sicht Menschen die eher unheilsame karmische Handlungen ausführen, da sie vom Töten von Tieren leben. Das erste buddhistische ethische Prinzip von „Nicht-Töten“ ist daher auch für Huineng in diesem Fall eine große Prüfung. Fraglich ist wohl, was die Jäger davon gehalten haben, dass er ständig die gefangenen Tiere frei ließ! Huineng sieht offensichtlich im „Nicht-Töten“ auch die vegetarische Ernährung enthalten, welche erst im chinesischen Buddhismus zur bindenden Regel für Mönche wurde. Obwohl Huineng nicht als Mönch ordiniert war, befolgte er freiwillig die Mönchsregel. Man sieht, wie seriös Huineng selbst bei strengen Bedingungen praktizierte. Dabei legte er diese doch flexibel aus, indem er Gemüse aus dem Fleischtopf aß. Fünfzehn Jahre unter solchen ungünstigen Bedingungen zu leben, ist wohl eine harte Übung für Huineng gewesen, welche ihn allmählich zu einem Großmeister heranreifen ließ:
Eines Tages kam es ihm in den Sinn, dass er nun das Dharma zu verbreiten hat und sich nicht immer zurückgezogen halten sollte. Er kam dann zum Kloster Faxing in der Stadt Guangzhou, wo der Mönch Yinzong gerade das „Nirvana Sutra“ (涅槃經; Parinirvana Sutra) vortrug. Es war windig, und eine Fahne flatterte. Ein Mönch sagte: „Der Wind bewegt sich.“ Ein anderer Mönch meinte: „Die Fahne bewegt sich.“ Sie gerieten in eine endlose Diskussion. Huineng trat vor und sagte: „Weder Wind noch Fahne bewegen sich. Es ist Euer Geist, der sich regt.“ Alle waren verblüfft (über diese Aussage).[ii]
Es war zwar der Wind, der die Fahne zum Bewegen gebracht hat, aber es die Fahne, die flatterte und nicht der Wind. Von daher sollte man diese beiden nicht dualistisch voneinander trennen. Sie bildeten eine Einheit. Lassen wir vorerst die philosophischen und kosmologischen Aspekte beiseite, und beziehen wir uns bei der Erläuterung des Koans auf die praktische Sicht. Dazu gehen wir davon aus, dass die Mönche gleichnishaft vom Verhältnis der inneren Sinne und äußeren Reize sprachen.
In diesem Kontext wollen wir jetzt über die Denkweise des Yogacara, der Nur-Geist (唯识) Schule des Buddhismus, über die acht Bewusstseinsebenen sprechen. Beginnen wir mit den sechs Sinnesgrundlagen (六根 liugen), die allen buddhistischen Richtungen gemeinsam sind. Es gibt: die Augen-, Ohren-, Nasen-, Zungen-, Körper- und Geistgrundlagen im Inneren und ihre äußere Entsprechungen (六尘 liuchen): Form-, Klang-, Geruchs-, Geschmacks-, Berührungsobjekts- und Geistesobjektsgrundlagen. Im Chinesischen spricht man hier metaphorisch vom Staub, der sich ansetzt. Ihr Zusammentreffen ergibt (六识 liushi): Seh-, Hör-, Riech-, Geschmacks-, Berührungs- und Geistbewusstsein. In der Streitfrage von „Wind und Fahne“ ging es um diese Grundlagen und den „Staub“. Dies erinnert uns wieder einmal an die Verse von Shenxiu:
„Ständig hat man es (das Herz) zu putzen, damit kein Staub dran haftet.“
Wenn es so ist, dass der „Wind“ die „Fahne“ bewegt, dann muss man die äußeren Entsprechungen meiden, um die inneren Grundlagen rein zu halten. Wenn es aber die „Fahne“ selbst ist, die sich regt, dann sollte man die inneren Grundlagen zähmen – unabhängig von den äußeren Umständen. Im ersten Fall wäre es naheliegend sich zurückzuziehen, am besten in der Einsiedelei zu leben und üben. Im zweiten Fall übt man die Kultivierung am besten in der reizenden Umgebung. Das wäre das ständige Putzen des Herzens wie einen Spiegel.
Nun kommt aber Huineng und sagt, es sind weder „Wind“ noch „Fahne“, die sich bewegen, sondern der Geist. Um das zu verstehen, muss man den Begriff „Geist“ (心 xin) im buddhistischem Sinn näher erläutern. Die Psychologie der Yogacara Schule kennt acht Bewusstseinsebenen, die den „Geist“ ausmachen. Die sechs Sinne entsprechen die ersten sechs Bewusstseinsebenen, also:
- der Sehsinn ergibt mit dem „Sehstaub“ das „Augen-Bewusstsein“,
- der Gehörsinn mit dem „Gehörstaub“ das „Ohrbewusstsein“,
- der Geruchsinn mit dem „Geruchstaub“ das „Nasenbewusstsein“,
- der Geschmacksinn mit dem „Geschmackstaub“ das „Zungenbewusstsein“,
- der Tastsinn mit dem „Taststaub“ das „Körperbewusstsein“,
- der Gedankensinn mit dem „Gedankenstaub“ das „Gedankenbewusstsein“.
Diese sechs Bewusstseinsebenen bestehen nicht selbstständig, sondern sie führen nur Anweisungen der siebten Bewusstseinsebene aus, die wie ein im Hintergrund agierender Geschäftsführer das Geschick des Gesamtbetriebes lenkt. Sie tut es aber so subtil, dass die anderen sechs sie kaum bemerken. Dieser Geschäftsführer ist das Ego, das Neigungen und Urteile zu den Phänomene hinzufügt, sodass es den sechs Sinnen ständig einsagt, was sie zu mögen und nicht zu mögen haben und das entsprechende Handlungen setzen will. Der Gedankensinn, (die 6. Bewusstseinsebene) ist ein scharfer Wächter, der alles kontrolliert und kategorisiert, was die fünf Sinne vom Umfeld aufnehmen. Er selbst aber hat keine Präferenzen und keine Neigungen, die kommen über die siebente Bewusstseinsebene. Woher weiß diese siebente eigentlich was sie mag oder nicht? Die Impulse kommen von der achten Bewusstseinsebene, diese wirkt wie eine Datenbank mit unbegrenztem Speicherplatz und speichert alles, was über die sieben Bewusstseinsbereiche je darauf übertragen wurde. Es gibt dazu ein Gleichnis:
Acht Gebrüder betreiben gemeinsam einen Laden. Fünf führen draußen den Verkauf und Einkauf, der Sechste macht die Buchhaltung und klassifiziert Waren, im Hintergrund führen zwei das Geschäft, der eine gescheit, der andere töricht. „Gescheit“ nimmt sich als der Geschäftsführer wahr und gibt ständig Anweisungen. „Töricht“ fungiert als Logistiker, er trifft keine Entscheidungen und sammelt einfach alle Waren ein, die auf Basis der Präferenzen vom „Geschäftsführer“ eingelagert werden. Er präsentiert wiederum permanent die Vorräte dem „Gescheiten“ und zettelt ihn zu weiteren Einkaufs- und Verkaufsentscheidungen an. Nachts soll der Betrieb nun zur Ruhe kommen. Der Geschäftsführer ist aber so versessen, dass er nicht aufhören kann zu arbeiten. Der Logistiker macht auch kein Ende mit seinen Präsentationen an den Geschäftsführer. Dadurch gibt der Geschäftsführer ständig Anweisungen, und Buchhalter und Außendienst können nicht zur Ruhe kommen. Wie kann man daher den Laden zur Betriebsruhe bringen? Wer von den Acht ist ausschlaggebend dafür? Der Geschäftsführer muss aufhören sich als Chef wahrzunehmen und der Logistiker alle Vorräte verschrotten. Eine „Verschrottung“ findet statt, wenn der Geschäftsführer dem präsentierten Vorrat keine Beachtung mehr schenkt. Der Schlüssel liegt beim Geschäftsführer, der die 7. Bewusstseinsebene darstellt, also das Ego und das „Ich“. Wenn man das „Ich“ loslässt, dann werden die Impulse aus dem 8., also dem Speicherbewusstsein, nicht beachtet und verarbeitet. Wenn alle gespeicherten Daten aufgearbeitet sind, erlangt man den Zustand der Leere.
Zurück zum Koan mit dem „Wind“ und der„Fahne“. Es sind weder der „Wind“, also die Außenreize, noch die „Fahne“, also die 6 Sinne, die sich bewegen, sondern das „Ich“, dass nicht aufhören kann, sich als „Ich“ zu betrachten. Ist die Ich-Anhaftung durchbrochen und losgelassen, kommt es Innen und Außen zu Ruhe und Klarheit. Zwei Verse aus einem chan-buddhistischen Gedicht verdeutlichen dies:
Der Geist ist die Grundlage, die Phänomene der Staub,
die beiden sind wie Verschmutzungen auf dem Spiegel.
Sind die Verschmutzungen vollständig entfernt, glänzt erst der Spiegel;
Sind Geist und Phänomene beide vergessen, ist es nun das wahre Wesen.
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[i] 機緣品第七:师自黄梅得法,回至韶州曹侯村,人无知者。时有儒士刘志略,礼遇甚厚。志略有姑为尼,名无尽藏,常诵《大涅槃经》。师暂听即知妙义,遂为解说。尼乃执卷问字,师曰:“字即不识,义即请问。”尼曰:“字尚不识,焉能会义?”师曰:“诸佛妙理,非关文字。”尼惊异之,遍告里中耆德云,此是有道之士,宜请供养。有魏武侯玄孙曹叔良及居民,竞来瞻礼。时宝林古寺自隋末兵火已废,遂于故基重建梵宇,延师居之,俄成宝坊。师住九月馀日,又为恶党寻逐,师乃遁于前山,被其纵火焚草木,师隐身挨入石中得免。石今有师趺坐膝痕,及衣布之纹,因名避难石。
jī yuán pǐn dì qī :shī zì huáng méi dé fǎ ,huí zhì sháo zhōu cáo hóu cūn ,rén wú zhī zhě 。shí yǒu rú shì liú zhì luè ,lǐ yù shèn hòu 。zhì luè yǒu gū wéi ní ,míng wú jìn cáng ,cháng sòng 《dà niè pán jīng 》。shī zàn tīng jí zhī miào yì ,suí wéi jiě shuō 。ní nǎi zhí juàn wèn zì ,shī yuē :“zì jí bù shí ,yì jí qǐng wèn 。”ní yuē :“zì shàng bù shí ,yān néng huì yì ?”shī yuē :“zhū fó miào lǐ ,fēi guān wén zì 。”ní jīng yì zhī ,biàn gào lǐ zhōng qí dé yún ,cǐ shì yǒu dào zhī shì ,yí qǐng gòng yǎng 。yǒu wèi wǔ hóu xuán sūn cáo shū liáng jí jū mín ,jìng lái zhān lǐ 。shí bǎo lín gǔ sì zì suí mò bīng huǒ yǐ fèi ,suí yú gù jī zhòng jiàn fàn yǔ ,yán shī jū zhī ,é chéng bǎo fāng 。shī zhù jiǔ yuè yú rì ,yòu wéi è dǎng xún zhú ,shī nǎi dùn yú qián shān ,bèi qí zòng huǒ fén cǎo mù ,shī yǐn shēn āi rù shí zhōng dé miǎn 。shí jīn yǒu shī fū zuò xī hén ,jí yī bù zhī wén ,yīn míng bì nán shí 。
[ii] 慧能后至曹溪,又被恶人寻逐,乃于四会,避难猎人队中,凡经一十五载,时与猎人随宜说法。猎人常令守网,每见生命,尽放之。每至饭时,以菜寄煮肉锅。或问,则对曰:“但吃肉边菜。”一日思惟,时当弘法,不可终遁,遂出至广州法性寺,值印宗法师讲《涅槃经》。时有风吹幡动,一僧曰风动,一僧曰幡动,议论不已。慧能进曰:“不是风动,不是幡动,仁者心动。”一众骇然。
huì néng hòu zhì cáo xī ,yòu bèi è rén xún zhú ,nǎi yú sì huì ,bì nán liè rén duì zhōng ,fán jīng yī shí wǔ zǎi ,shí yǔ liè rén suí yí shuō fǎ 。liè rén cháng lìng shǒu wǎng ,měi jiàn shēng mìng ,jìn fàng zhī 。měi zhì fàn shí ,yǐ cài jì zhǔ ròu guō 。huò wèn ,zé duì yuē :“dàn chī ròu biān cài 。”yī rì sī wéi ,shí dāng hóng fǎ ,bù kě zhōng dùn ,suí chū zhì guǎng zhōu fǎ xìng sì ,zhí yìn zōng fǎ shī jiǎng 《niè pán jīng 》。shí yǒu fēng chuī fān dòng ,yī sēng yuē fēng dòng ,yī sēng yuē fān dòng ,yì lùn bù yǐ 。huì néng jìn yuē :“bù shì fēng dòng ,bù shì fān dòng ,rén zhě xīn dòng 。”yī zhòng hài rán 。
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