Beitragsreihe: Wie kam der Buddhismus nach China?
Kap. 1: Die Anfänge der chinesischen Philosophien und Religionen
Kap. 2: Die Durchsetzung des Buddhismus in der Wei- und Jin-Zeit (220-420 n. Chr.)
Teil 28: Das Vimalakirti Nirdesa Sutra über die Lehre der Non-Dualität

Das Szenario dieses Gesprächs ist so, dass es im Zimmer des kranken Vimalakirti stattfindet, daher die vielen Bezüge zum Thema Krankheit. Aber es geht, wie in der „ärztlichen Diagnose“ der vier edlen Wahrheiten, um den existentiellen Ist-Zustand der Wesen im Daseinskreislauf. Ab dem 4. Kapitel „Manjushri fragt nach dem Wohl“ beginnt das Gespräch zwischen Manjushri und Vimalakirti. Manjushri stellte die Frage an Vimalakirti: „Wie soll ein Bodhisattva einen anderen Bodhisattva, dem nicht wohl ist, trösten?“ Vimalakirti antwortete diese ganz im Sinne der mittleren Betrachtung, der alle Einseitigkeiten und Extreme meidet:
„Rede mit ihm über die Vergänglichkeit des Körpers, aber nicht über das widerwillige Aufgeben des Körpers; rede mit ihm über die Leiden des Körpers, aber nicht über das Verlangen nach dem Nirvana; rede mit ihm über das Nicht-Ich des Körpers, aber auch über das Lehren und Führen aller Wesen; rede mit ihm über die Leerheit des Körpers, aber nicht über die Vernichtung; sage ihm, dass er die begangenen Verfehlungen bereuen soll, aber beunruhige ihn nicht wegen der Vergangenheit; in seiner Krankheit soll er Erbarmen mit all denen haben, die ebenfalls krank sind. Er soll der Leiden der unzähligen Existenzen gedenken und danach verlangen, allen Wesen Hilfe und Vorteile zu bringen. Lasse ihn an vergangene gute Werke und an ein reines Leben denken. Im Herzen soll er keine Bedrängnisse fühlen, sondern stets mit edler Motivation fortschreiten. Er soll ein König der Ärzte zur Rettung und Heilung aller Krankheiten werden. So soll ein Bodhisattva einen anderen Bodhisattva, der krank ist, ermutigen und mit Freuden erfüllen.“ [1]
Aus der non-dualistischen Sicht verfällt der Bodhisattva nicht in Extreme und Irrwege. Es ist für den Bodhisattvaweg daher von großer Bedeutung, diese rechte Sicht zu erlangen. Güte und Barmherzigkeit allein helfen dem Bodhisattva nicht, den anderen Wesen helfen zu können. Allerdings ist unerschütterliche Güte die Bedingung zur Entfaltung des Bodhicitta. Aus diesem Geist des Erwachens entfaltet sich die vollkommene Weisheit. Die non-duale Sicht entspringt der vollkommenen Weisheit:
Zu jener Zeit sagte Vimalakirti zu allen Bodhisattvas: „Ihr Gütigen! Was bedeutet der Eintritt in die Lehre der Non-Dualität? Jeder spreche mal frei über seine Ansicht dazu.“ [2]
Mit dieser Frage des alten Vimalakirti beginnt das 9. Kapitel: „Über den Eintritt in die Lehre der Non-Dualität“. Die Bodhisattvas gaben einer nach dem anderen ihre Antwort dazu. Hier einige Beispiele:
„Mit Ausfluss, ohne Ausfluss* sind dual. Verinnerlicht man die Lehren, dann kommen keine Gedanken über Ausfluss oder Nicht-Ausfluss hoch. Man haftet nicht an Erscheinungsformen, verweilt aber auch nicht bei der Formlosigkeit. Dies heißt der Eintritt in die Lehre der Non-Dualität.“[3]
*Ausfluss (有漏 you lou; sasrava; asava) bezeichnet Geistestrübungen bzw. Trieben, welche zum Karma und Daseinskreislauf (Samsara) führen. Ohne Ausfluss (无漏wu lou; asasrava; anasava) ist der Zustand jener, welche sich von allen Fesselungen befreit und den Daseinskreislauf überwunden haben.
„Bedingtes, nicht bedingtes Sein* sind dual. Fern von allen Daseinsfaktoren ist der Geist wie das leere All. Mit klarer, reiner Weisheit ist man frei von Fesselungen. Dies heißt der Eintritt in die Lehre der Non-Dualität.“ [4]
*Bedingte Phänomene (有为法 you wei fa; samskrta-dharma) sind alle Objekte, welche aufgrund gegebener Bedingungen entstehen und mit dem Verfall dieser Bedingungen vergehen. Man spricht auch von Phänomenen, welche durch die Ansammlung von Faktoren entstehen, wie z. B. das menschliche Dasein die Ansammlung der fünf Faktoren „Form, Empfindung, Wahrnehmung, Gestaltung, Bewusstsein“ (Skandhas) darstellt. Nicht bedingt (无为法 wu wei fa; a-samskrta-dharma) sind Phänomene, welche nicht durch Bedingungen entstehen und vergehen, und bezeichnet das Nirvana, die Buddhanatur etc.
„Weltliches Leben, weltentsagendes Leben sind dual. Begreift man das leere Wesen im weltlichen Leben, dann ist es die Weltentsagung. Kein Eintritt, kein Austritt, kein Ausfluss, keine Zerstreuung, dies heißt der Eintritt in die Lehre der Non-Dualität.“ [5]
Sengzhaos Kommentarwerk macht folgende Ergänzung zu dieser Aussage:
Kumarajiva sagte: „Austritt entspringt dem Eintritt. Gibt es keinen Eintritt in den [Kreislauf von] Leben und Tod, dann gibt es keinen Austritt aus dem Weltlichen.“ [6]
Sengzhao sagte: „Gibt es den Eintritt, dann gibt es bestimmt den Austritt. Gibt es den Austritt, dann gibt es bestimmt den Ausfluss. Gibt es den Ausfluss, dann gibt es bestimmt die Zerstreuung. Das sind die gängigen Faktoren des weltlichen Daseins.“ [7]
Gehen wir weiter zu den Antworten der Bodhisattvas zur non-dualen Lehre:
„Samsara (Daseinskreislauf), Nirvana (Erlöschung) sind dual. Erkennt man das Wesen des Daseinskreislaufes, dann gibt es keinen Daseinskreislauf. Es gibt keine Fesselung und keine Befreiung, kein Brennen und kein Erlöschen. Wer dies erkennt, dies heißt der Eintritt in die Lehre der Non-Dualität.“ [8]
„Erlöschen, Nicht-Erlöschen sind dual. Im endgültigen Sein ist das Erlöschen gleich dem Nicht-Erlöschen. Alles ist die Erscheinungsform des Nicht-Erloschenen. Die Erscheinungsform des Nicht-Erloschenen ist eben die Leerheit. Die Leerheit hat weder die Form des Erlöschens noch die Form des Nicht-Erlöschens. Dies zu begreifen heißt der Eintritt in die Lehre der Non-Dualität.“ [9]
„Ich, Nicht-Ich sind dual. Wenn schon das Ich nicht erfasst werden kann, wie kann man das Nicht-Ich ergreifen? Etwa durch das Erkennen des wahren Wesens vom Ich? Kommt keine Dualität mehr hoch, so heißt es der Eintritt in die Lehre der Non-Dualität. [10]
„Erleuchtung, Verblendung sind dual. Das wahre Wesen der Verblendung ist eben die Erleuchtung. Auch die Erleuchtung kann nicht ergriffen werden. Fern von allen Faktoren, mitten in diesen gleichmütig non-dual zu sein, heißt der Eintritt in die Lehre der Non-Dualität.“ [11]
Nachdem die Bodhisattvas ihre Ansichten gesagt hatten, fragte Vimalakirti Manjushri:
„Was bedeutet des Bodhisattvas Eintritt in die Lehre der Non-Dualität?“ Manjushri sagte: „Aus meiner Ansicht ist es so: Bei allen Phänomenen ohne Sprache, ohne Darstellung und fern von Fragen und Antworten zu sein heißt der Eintritt in die Lehre der Non-Dualität.“ [12]
Danach forderte Manjushri Vimalakirti auf, über seine Ansicht zu sprechen. Die Szene lief wie folgt ab:
Dann fragt Manjushri Vimalakirti: „Wir haben jeweils über unsere Ansichten gesprochen, der Gütige möge uns sagen, was bedeutet des Bodhisattvas Eintritt in die Lehre der Non-Dualität?“ Zu jenem Moment verweilte Vimalakirti stillschweigend. Manjushri sprach beeindruckt: „Gut, gut! Sogar gar keine Worte und Sprache, dies ist wahrlich der Eintritt in die Lehre der Non-Dualität.“ [13]
Vimalakirtis unkonventionelle Art die Lehre auf den Punkt zu bringen, erinnert an die Koans im späteren Zen-Buddhismus. Die Lehre des Zen wird gerne als die Schule ohne Worte und Schriften dargestellt, da die Zen-Meister anstatt mit Worten oft mit ungewöhnlichen Mitteln wie z. B. Stockschlägen, Geschrei, Fingerzeig usw. die Schüler lehren. Das erinnert auch an den ersten Vers des daoistischen Werkes „Dao De Jing (Das Buch vom Sinn und Leben)“: „Der Sinn, der sich aussprechen lässt, ist nicht der ewige Sinn.“
Im 11. Kapitel „Die Praxis der Bodhisattvas“ wechselt die Szene zurück zu Buddha Gautama und Ananda. Manjushri und Vimalakirti sind gemeinsam mit den Hörern und Bodhisattvas zum Buddha Gautama gekommen. Es erfolgte ein Gespräch zwischen Buddha Gautama und Ananda. Im Zuge dessen erläuterte Buddha Gautama Merkmale der Praxis eines Bodhisattvas:
Buddha sprach zu den Bodhisattvas: „Lernt die Erlösungslehre des Erlöschens und Nicht-Erlöschens. Was heißt Erlöschen? Das heißt „die bedingten Phänomene“. Was heißt Nicht-Erlöschen? Das heißt „die nicht bedingten Phänomene“. Die Bodhisattvas beenden nicht „die bedingten“ und verweilen nicht bei den „nicht bedingten Phänomenen“.
Was heißt „die bedingten Phänomene“ nicht zu beenden? Das heißt nicht fern von der großen Güte und Barmherzigkeit zu sein. Tiefgründig den Geist aller Weisheiten entfalten und keines Momentes diese vernachlässigen. Die gewöhnlichen Wesen unermüdlich lehren und verwandeln. […] Daher treten sie ohne Furcht in den Kreislauf des Lebens und des Todes ein und sind im Herzen von all der Ehre und Schande nicht beeinträchtigt. […] Derart praktizierend, heißt es das Nicht-Beenden der bedingten Phänomene. [14]
Was heißt nicht bei den „nicht bedingten Phänomenen“ zu verweilen? […] Die Unbeständigkeit betrachtend, aber nicht die heilsame Grundlage verabscheuen. Die weltlichen Leiden betrachtend, aber nicht den Kreislauf von Leben und Tod verabscheuen. Das Nicht-Ich betrachtend, aber unermüdlich andere belehren. Die Erlöschung betrachtend, aber niemals [in die] Erlöschung [eintreten]. Die Abgeschiedenheit betrachtend, aber den Körper und Geist kultivieren. […] Die Leerheit betrachtend, aber nicht die große Barmherzigkeit verlassen. Derart praktizierend, heißt es das Nicht-Verweilen bei den „nicht bedingten Phänomenen“. [15]
„Der glücksbringenden Verdienste wegen nicht bei den nicht-bedingten Phänomenen zu verweilen; der Weisheit wegen die bedingten Phänomene nicht zu beenden. Der großen Güte und Barmherzigkeit wegen nicht bei den nicht-bedingten Phänomenen zu verweilen. […] Die bedingten Phänomene nicht zu beenden und [auch] nicht bei den nicht-bedingten Phänomenen zu verweilen: Dies heißt die Erlösungslehre des Erlöschens und Nicht-Erlöschens.“ [16]
Schließlich geht es stets um die mittlere Betrachtung der konventionellen und ultimativen Wahrheit, um die Nicht-Anhaftung an Existenz und Nicht-Existenz. Dies ist kein Wissen oder Gedanke, sondern die rechte Sicht, die der innewohnenden Weisheit entspringt. Dies ist möglich, da es heißt, alle Wesen und Phänomene haben die gleiche Natur. Durch diese Natur ist es möglich, dass jedes Wesen erwachen und die Buddhaschaft erlangen kann. Es gibt unterschiedliche Begriffe im Mahayana Buddhismus, welche diese gemeinsame Natur bezeichnen, am bekanntesten wohl: die Buddhanatur 佛性 fo xing. Das Sutra, das ausführlich die Buddhanatur abhandelt, ist das Mahaparinirvana Sutra. Dieses Sutra gewann zu jener Zeit in China eine große Bedeutung und übte einen großen Einfluss auf die buddhistischen Schulen Chinas aus. Aber jener, der dieses Sutra als erster in China gelehrt hat, gewann zunächst kein Vertrauen bei den Buddhisten in China. Dieser war Zhu Daosheng, neben Sengzhao einer der wichtigsten Schüler und Helfer Kumarajivas. Um sein Wirken im Zusammenhang mit dem Mahaparinirvana Sutra und der Buddhanatur geht es nun im nächsten Beitrag.
–> Fortsetzung: Teil 29: Zhu Daosheng über die Buddhanatur und das Mahaparinirvana Sutra
[1] 尔时,文殊师利问维摩诘言:‘菩萨应云何慰喻有疾菩萨?’维摩诘言:‘说身无常,不说厌离于身;说身有苦,不说乐于涅槃;说身无我,而说教导众生;说身空寂,不说毕竟寂灭;说悔先罪,而不说入于过去;以己之疾,愍于彼疾;当识宿世无数劫苦,当念饶益一切众生;忆所修福,念于净命,勿生忧恼,常起精进;当作医王,疗治众病。菩萨应如是慰喻有疾菩萨,令其欢喜。——《维摩诘所说经 文殊师利问疾品第五》
[2] 尔时,维摩诘谓众菩萨言:‘诸仁者!云何菩萨入不二法门?各随所乐说之。’ ——《维摩诘经入不二法门品第九》
[3] […] 师子意菩萨曰:‘有漏、无漏为二。若得诸法等,则不起漏不漏想,不著于相,亦不住无相,是为入不二法门。’——《维摩诘经入不二法门品第九》
[4] 净解菩萨曰:‘有为、无为为二。若离一切数,则心如虚空,以清净慧无所碍者,是为入不二法门。’——《维摩诘经入不二法门品第九》
[5] 那罗延菩萨曰:‘世间、出世间为二。世间性空,即是出世间。于其中不入、不出、不溢、不散,是为入不二法门。’ ——《维摩诘经入不二法门品第九》
[6] 什曰。出義生於入也。無入生死故。無出世間也。——《注維摩詰經 僧肇》
[7] 肇曰。夫有入則有出。有出必有溢。有溢必有散。此俗中之常數。——《注維摩詰經 僧肇》
[8] 善意菩萨曰:‘生死、涅槃为二。若见生死性,则无生死,无缚无解,不然不灭,如是解者,是为入不二法门。’
[9] 现见菩萨曰:‘尽、不尽为二。法若究竟,尽若不尽,皆是无尽相;无尽相即是空,空则无有尽不尽相。如是入者,是为入不二法门。’ ——《维摩诘经入不二法门品第九》
[10] 普守菩萨曰:‘我、无我为二。我尚不可得,非我何可得?见我实性者?不复起二,是为入不二法门。’ ——《维摩诘经入不二法门品第九》
[11] 电天菩萨曰:‘明、无明为二。无明实性即是明,明亦不可取,离一切数,于其中平等无二者,是为入不二法门。’ ——《维摩诘经入不二法门品第九》
[12] 如是诸菩萨各各说已。问文殊师利:‘何等是菩萨入不二法门?’文殊师利曰:‘如我意者,于一切法,无言无说,无示无识,离诸问答是为入不二法门。’
[13] 于是文殊师利问维摩诘:‘我等各自说已,仁者当说何等是菩萨入不二法门?’时维摩诘默然无言。文殊师利叹曰:‘善哉!善哉!乃至无有文字语言,是真入不二法门。’《维摩诘经入不二法门品第九》
[14] 佛告诸菩萨:‘有尽无尽解脱法门,汝等当学。何谓为尽?谓有为法;何谓无尽?谓无为法。如菩萨者,不尽有为,不住无为。何谓不尽有为?谓不离大慈,不舍大悲;深发一切智心,而不忽忘;教化众生,终不厌倦;[…] 故入生死而无所畏;于诸荣辱,心无忧喜;[…] 行如此法,是名菩萨不尽有为。—《维摩诘经菩萨行品第十一》
[15] ’何谓菩萨不住无为?谓修学空,不以空为证;修学无相无作,不以无相无作为证;修学无起,不以无起为证。观于无常,而不厌善本;观世间苦,而不恶生死;观于无我,而诲人不倦;观于寂灭,而不永寂灭;观于远离,而身心修善;[…] 观于空无,而不舍大悲;[…] 修如此法,是名菩萨不住无为。’ —《维摩诘经菩萨行品第十一》
[16] ‘又具福德故,不住无为;具智慧故,不尽有为;大慈悲故,不住无为;[…] 不尽有为,不住无为,是名尽无尽解脱法门,汝等当学。’ —《维摩诘经菩萨行品第十一》
(Mit Korrekturen von Ursula Presslauer, Birgit Seissl und Alexander Maurer)
Kategorien:Buddhismus China, Vimalakirti Nirdesa Sutra 维摩诘经
Schöne Darlegung. Herzlichen Dank für alle Deine Weisheiten.
Viel Erfolg und Glück im kommenden Jahr aber auch
Wohlstand und Erfolg und Friede und Freude.
Xīnnián kuàilè! (新年快乐)
Chris
Danke, dir auch alles Gute! 新年快乐!Mingqing