Zhu Daosheng über die Buddhanatur und das Mahaparinirvana Sutra

Beitragsreihe: Wie kam der Buddhismus nach China?

Kap. 1: Die Anfänge der chinesischen Philosophien und Religionen

Kap. 2: Die Durchsetzung des Buddhismus in der Wei- und Jin-Zeit (220-420 n. Chr.)

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Teil 29: Zhu Daosheng über die Buddhanatur und das Mahaparinirvana Sutra

Das intensive Auseinandersetzen mit den Mahayana Schriften führte zu vielen Diskursen. Ein wichtige Diskussionsfrage war: Was ist die Buddhanatur 佛性 fo xing? Dabei spielt ein anderer Schüler Kumarajivas eine wichtige Rolle, nämlich Zhu Daosheng 竺道生 (355-434 n. Chr.). Das Konzept, dass alle Wesen die Buddhanatur besitzen, hat den chinesischen Buddhismus tiefgründig geprägt. Zhu Daosheng war einer der ersten, der dieses Konzept in China vortrug. Er wurde wie Sengzhao als einer der vier bedeutendsten Schüler Kumarajivas bezeichnet. Ebenfalls wie Sengzhao war er schon in jungen Jahren als gelehrt und begabt bekannt. Schon früh ließ er sich zum Mönch ordinieren und hielt Lehrvorträge. Er wurde von seinen Debattengegnern für seine klare, scharfsinnige Ausdrucksweise und seine Argumente bewundert. Er zog sich zunächst 7 Jahre lang auf dem Berg Lushan in Südchina zurück und studierte dort die Schriften. Danach begab er sich zusammen mit anderen Weggefährten zum Studium zu Kumarajiva in Nordchina. Nach dem Tod Kumarajivas kehrte er wieder nach Südchina zurück und wirkte bei der buddhistischen Gemeinschaft in der Hauptstadt Jian Kang 建康. In der „Biografie der großen Mönche“ findet man seine Kritik zum Verständnis der Buddhalehre zu seiner Zeit so:

„Die Zeichen vermitteln den Sinn, ist der Sinn erfasst, können die Zeichen verschwinden. Die Worte verdeutlichen das Prinzip, ist das Prinzip begriffen, können die Worte ruhen. Seitdem die Schriften nach Osten gebracht worden sind, gibt es viele Schwierigkeiten bei deren Übersetzung. Die Übersetzer haften sich oft an den Wortbedeutungen an, sodass der vollkommene Sinn nicht zum Ausdruck kommt. Nur wer die Angel loslässt und direkt den Fisch packt, kann über den wahren Sinn sprechen.“[1]

In diesem Sinne schrieb er seine Erkenntnisse nieder und betonte einige Konzepte, welche in der damaligen buddhistischen Welt in China noch keine breite Akzeptanz gefunden hatten. Vor allem setzte er sich für die Idee ein, dass alle Wesen die Buddhanatur 佛性 fo xing besitzen und daher plötzlich oder augenblicklich zum Erwachen kommen können. Mit dieser Natur haben alle Wesen das Potential Buddha zu werden. Er erntete dafür aber viel Kritik und wurde von jenen, welche sich an „alten Schriften“ festklammerten, missachtet.[2]

Daosheng stützte seine Ideen auf das Mahaparinirvana Sutra. Zu jener Zeit gab es nur eine unvollständig übersetzte Version in China, welche von den Mönchen Faxian 法显 (337-422 n. Chr.) und Buddhabhadra佛陀跋陀罗 fo tuo bo tuo luo (359-429 n. Chr.) stammte. Daosheng behauptete darauf basierend, dass die Buddhanatur „das wahre Ich“, „beständig“, „glückselig“ und „rein“ sei.

Diese Aussage widersprach den drei Daseinsmerkmalen aller Phänomene laut der Buddhalehre, welche alle Dharmas als ichlos, unbeständig und leidhaft bezeichnete. Er zog sich dann endgültig die Ungunst seiner Kritiker zu, als er behauptete, dass es jedem Wesen dank der Buddhanatur möglich ist, plötzlich zu erwachen. Demgemäß könne auch ein sogenannter „Icchantika 一阐提“ potenziell ein Buddha werden. Das Nirvana Sutra beschreibt einen Icchantika so:

Ein Icchantika hat die heilsame Grundlage zunichte gemacht. Sein Geist hegt keines der guten Phänomene und entfaltet keinen einzigen guten Gedanken.[3]

Zur Verdeutlichung des Begriffes machen wir einen Exkurs: Es werden in buddhistischen Schriften bei den Menschen fünf grundsätzliche Tendenzen oder Veranlagungen unterschieden: 1. Der „Hörer“ (Sravaka), den ein starker Wunsch nach Befreiung vom Leiden zu ethischem Handeln und zum Üben antreibt. 2. Der „Einzelerwachende“, der sowohl wenig Geistestrübungen als auch wenig Mitgefühl aufweist, sodass er Geschäftigkeit ablehnt und Einsamkeit sucht. 3. Derjenige mit Mahayana- oder Bodhisattva-Veranlagung hat zwar viele Geistestrübungen, aber auch viel Empathie und Mitgefühl. Er strebt wie der Hörer nach Befreiung, aber aus Verantwortungsgefühl für alle Wesen, nicht „für sich“. 4. Die Menschen mit „unbestimmter Veranlagung“ sind sozusagen noch völlig ergebnisoffen, sie können sich zu jeder der vier anderen Tendenzen entwickeln 5. Schließlich gibt es in diesem Modell die „beschädigte“ oder „zunichtegemachte“ Tendenz (Icchantika): Diese sind in extrem destruktives Handeln verwickelt oder hängen an extrem verwirrten und falschen Ansichten an. Wir finden bei ihnen sehr wenig Verdienst, viel Negativität, mangelnde Integrität und kein Verständnis dafür, wie ihre Handlungen andere beeinträchtigen. Sie haben keinen Wunsch danach, unethisches Verhalten aufzugeben und sind völlig unfähig, Leiden überhaupt wahrzunehmen.

Diese Begriffe „Buddhanatur“ und „Icchantika“ waren wie gesagt für den damaligen chinesischen buddhistischen Kreis neu. Daoshengs Aussage, dass der Icchantika dank seiner Buddhanatur aber doch wieder gutes Karma erwirken, ja sogar erwachen und Buddha werden kann, war aber darin nicht zu finden gewesen. Sein Ansatz wurde daher als Irrlehre gesehen, und er wurde gemäß der Mönchsregel aus dem Kloster der Stadt Jiangkang ausgeschlossen. Daosheng hinterließ, bevor er die Stadt verließ, einen Schwur:

„Wenn meine Behauptungen den Sinn der Sutren widersprechen, möge ich mit diesem Körper schwere Erkrankungen erleiden. Wenn sie aber den wahren Sinn nicht widerspricht, dann werde ich beim Ableben auf dem Sitz des Löwen dahinscheiden!“

Der Sitz des Löwen bezeichnet den Sitzplatz eines vortragenden Lehrermeisters. Damit meinte er, dass er bereit ist, bis zum Tode die rechte Lehre vorzutragen, wenn die Buddhisten seine Ideen anerkennen und ihn wieder auf den Lehrerplatz steigen lassen. Danach machte er sich auf eine Rundreise und zog sich schließlich auf dem Berg Lushan in Südchina zurück. Die Legende erzählte, wie er zu Steinen sprach, da niemand seine Ideen akzeptierte. Auf seine Frage, ob seine Behauptungen wahr waren, sollten die Steine genickt haben. Auf diese Legende bezieht sich ein berühmtes chinesisches Sprichwort „Sogar die Steine nicken顽石点头 wan shi dian tou“, welches die Fähigkeit eines Redners beschreibt, sogar Steine zur Zustimmung bewegen zu können.[4]

Es kam zu einer Wendung der Sache, als dann die vollständig übersetzte Version vom Mahaparinirvana Sutra in der südchinesischen Hauptstadt ankam. Die Texte bestätigten Daoshengs Aussage, dass auch ein Icchantika die Buddhanatur aufweist und Buddha werden kann. Als Daosheng dieses Sutra bekam, begann er auf dem Berg Lushan diese Texte vorzutragen. Die Teilnehmer der Versammlung waren alle begeistert und bewunderten seine brilliante, einleuchtende Rede. Als der Vortrag zu Ende kam, blieb Daosheng auf dem Lehrplatz still sitzen und schied dahin. Diese Bestätigung seines Schwurs schlug hohe Wellen in den buddhistischen Kreisen Chinas. Daosheng erntete hohes Ansehen. Man widmete ihm ein neues Sprichwort 孤明先发gu ming xian fa, was „das einsam vorangehend aufleuchtende Licht“ bedeutet. Die Lehre des Mahaparinirvana Sutra erlangte seitdem einen hohen Einfluss auf den chinesischen Buddhismus.[5]

Die vollständige Übersetzung des Mahaparinirvana Sutra war dem indischen Mönch Dharmaksema 昙无谶Tan Wuchen (385-433 n. Chr.) zu verdanken. Als junger Mönch bekam er vom einem Meister eine auf Baumrinde geschriebene Abschrift des Mahaparinirvana Sutra geschenkt, welche jedoch nicht vollständig war. Er war derartig von diesem Sutra beeindruckt, sodass er sich sein Leben lang der Sammlung und Übersetzung dieses Sutra gewidmet hat. Seiner Biografie zufolge soll die ursprüngliche Sanskritversion 35000 Versen umfasst haben, aber seine Version nur etwas mehr als 10000.[6] Diese Übersetzung kam zuerst in Nordchina an und wurde dort in 40 Bände eingeteilt und verlegt. Später fand eine Neuauflage des Werkes in 36 Bänden in Südchina statt.

In den folgenden Beiträgen soll durch die Erläuterung auserwählter Zitate einen Einblick in wesentliche Themen des Mahaparinirvana Sutras wie Buddhanatur, Dharmakaya, Tathagatagarba, Icchantika etc. verschafft werden.

–> Fortsetzung: Teil 30: Das Mahaparinirvana Sutra über die verkehrte Lehren und das wahre Ich


[1] 生既潛思日久,徹悟言外,迺喟然歎曰:「夫象以盡意,得意則象忘;言以詮理,入理則言息。自經典東流,譯人重阻,多守滯文,鮮見圓義。若忘筌取魚,始可與言道矣。」——《梁高僧传 卷七 宋京師龍光寺竺道生》慧皎

[2] 於是校閱真、俗,研思因果,迺言「善不受報」,「頓悟成佛」。又著〈二諦論〉、〈佛性當有論〉、〈法身無色論〉、〈佛無淨土論〉、〈應有緣論〉等,籠罩舊說,妙有淵旨。而守文之徒,多生嫌嫉,與奪之聲,紛然競起。——《梁高僧传 卷七 宋京師龍光寺竺道生》慧皎

[3] 一闡提者,斷滅一切諸善根本、心不攀緣一切善法,乃至不生一念之善。——《大般涅槃经 刘宋慧严南本 卷五 四相品之餘》

[4] 又六卷《泥洹》先至京都,生剖析經理,洞入幽微,迺說「一闡提人皆得成佛」。于時大本未傳,孤明先發,獨見忤眾。於是舊學以為邪說,譏憤滋甚,遂顯大眾,擯而遣之。生於大眾中正容誓曰:「若我所說反於經義者,請於現身即表癘疾;若與實相不相違背者,願捨壽之時,據師子座。」言竟拂衣而遊。初投吳之虎丘山,旬日之中,學徒數百。其年夏,雷震青園佛殿,龍昇于天,光影西壁,因改寺名號曰「龍光」。時人歎曰:「龍既已去,生必行矣。」俄而投迹廬山,銷影巖岫,山中僧眾咸共敬服。——《梁高僧传 卷七 宋京師龍光寺竺道生》慧皎

[5] 後《涅槃》大本至于南京,果稱闡提悉有佛性,與前所說合若符契。生既獲斯經,尋即講說,以宋元嘉十一年冬十一月庚子,于廬山精舍升于法座。神色開朗,德音俊發,論議數番,窮理盡妙。觀聽之眾,莫不悟悅。法席將畢,忽見麈尾紛然而墜,端坐正容,隱几而卒。顏色不異,似若入定。道俗嗟駭,遠近悲泣。于是京邑諸僧內慙自疚,追而信服。其神鑒之至徵瑞如此。仍葬廬山之阜。——《梁高僧传 卷七 宋京師龍光寺竺道生》慧皎

[6] 昙无谶。或云昙摩忏。或云昙无忏。盖取梵音不同也。其本中天竺人。六岁遭父丧。隨母傭織毾㲪為業。见沙门达摩耶舍。此云法明。道俗所崇丰于利养。其母美之。故以谶为其弟子。十岁同学数人读咒聪敏出群。诵经日得万余言。初学小乘兼览五明诸论。讲说精辩莫能酬抗。后遇白头禅师。共谶论议。习业既异。交诤十旬。谶虽攻难锋起。而禅师终不肯屈。谶伏其精理。乃谓禅师曰。颇有经典可得见不。禅师即授以树皮涅盘经本。谶寻读惊悟方自惭恨。以为坎井之识久迷大方。于是集众悔过。遂专大乘。至年二十诵大小乘经二百余万言。[…]  谶以涅盘经本品数未足。还外国究寻。值其母亡遂留岁余。后于于阗更得经本中分。复还姑臧译之。后又遣使于阗寻得后分。于是续译为三十三卷。以伪玄始三年初就翻译。至玄始十年十月二十三日三帙方竟。即宋武永初二年也。谶云。此经梵本本三万五千偈。于此方减百万言。今所出者止一万余偈。——《高僧传 卷二 晋河西昙无谶》


(Mit Korrekturen von Ursula Presslauer, Birgit Seissl und Alexander Maurer)




Kategorien:Buddhismus China, Maha Parinirvana Sutra 大般涅槃经

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