Podiumsutra – Kap. 10 (2): Das wahre natürliche Urwesen

Dharmaschatz Podiumsutra d. 6. Ahnlehrers

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Kap. 10 (2) – Das wahre natürliche Urwesen

— Begleitlektüre zum wöchentlichen Drei Schätze Retreat

Im letzten Beitrag sprachen wir darüber, dass Huineng seinen Tod in einem Monat angekündigt hat. Einige Tage später brach er in seine Heimat auf. Wo sein Weg begonnen hat, dort möchte er ihn nun vollenden. Ähnlich dem Spruch „Der Apfel fällt unweit vom Stamm“ heißt es im Chinesischen „Die Blätter fallen, um zur Wurzel zurückzukehren“. Auf seinem alten Wohnsitz ist inzwischen das vom Kaiser angeordnete Staatskloster fertig gebaut. Ein erstes und letztes Mal wird er in seinem neuen Anwesen wohnen. Von seiner Mutter wurde nichts mehr berichtet. Sie dürfte inzwischen schon verstorben sein. Er verließ seine Heimat mit 24, inzwischen sind 52 Jahre vergangen. Ein Monat ist schnell vergangen. Am 03.08. (nach chinesischem Mondkalender) des Jahres 713 machte sich Huineng bereit, um sich von den Schülern zu verabschieden.

Der Schüler Fahai fragte den Lehrer:

„Was lehren Sie jenen verblendeten Menschen der Nachwelt, damit sie das Buddhawesen erkennen können?“

Huineng antwortete:

„Hört gut zu! Wenn die verblendeten Menschen der Nachwelt das (verblendete) Lebewesen [im Geiste] erkennen, dann ist es eben das Buddhawesen. Erkennen sie dieses nicht, dann können sie zehntausenden Äonen lang danach suchen, und sie werden nicht den Buddha (das Buddhawesen) finden. Ich lehre euch, wie ihr das Lebewesen im eigenen Geist erkennt und das eigene Buddhawesen seht. Wer danach sucht, den Buddha (das Buddhawesen) zu sehen, soll eben das (verblendete) Lebewesen kennen.

Denn das Lebewesen verblendet den Buddha (das Buddhawesen), nicht aber der Buddha (das Buddhawesen) das Lebewesen. Ist das eigene [Ur]wesen erwacht, ist das Lebewesen der Buddha. Ist das eigene [Ur]wesen verblendet, ist der Buddha das Lebewesen. Ist das eigene [Ur]wesen gleichmütig, dann ist das Lebewesen der Buddha. Ist das eigene [Ur]wesen hinterhältig, dann ist der Buddha das Lebewesen. Ist euer Geist hinterhältig, dann ist der Buddha im Lebewesen. Ist euer Geist geradsinnig, dann ist das Lebewesen der Buddha. Der eigene Geist hat Buddha in sich. Der eigene Buddha ist der wahre Buddha.

Wenn man nicht den Geist des Buddhas hegt, wo ist denn der wahre Buddha zu finden? Zweifle daher nicht: Euer Geist ist der Buddha. Im Außen ist kein Ding dauerhaft. Der Geist ist es, der die zehntausend Dinge hervorgebracht hat. Daher heißt es in den Schriften: Entsteht der Geist, entstehen allerlei Phänomene. Erlischt der Geist, erlöschen allerlei Phänomene. [1]

Nach der letzten Belehrung verweilte der Lehrer in einer aufrechten Sitzhaltung bis Mitternacht. Da sprach er plötzlich zu den Schülern: „Ich gehe jetzt.“. Daraufhin schied er still dahin. Ein spezieller Duft füllte den Raum. Durch die Bergwälder zogen Schreie von Tieren, als würden sie den Abgang des Meisters betrauern. Der Körper des Meisters ist bis heute nicht verwest und sitzt seit über tausend Jahren unentwegt auf dem Altar des Baolin Klosters (heute: Nanhua Kloster). Etwa 20 Jahre nach seinem Tod setzten sich seine Schüler bei offiziellen Diskussionen in der Hauptstadt gegen die Schüler von Shenxiu durch. In der Folge wurde die Stellung Huinengs als der 6. Ahnlehrer der Chan-Linie von allen anerkannt. Die Lehre Huinengs verbreitete sich rasch im ganzen Land. Die fünf Schulen aus seiner Linie prägten die kulturelle Landschaft in China und in Ostasien tiefgründig. Seine Lehre ist nicht nur ein wichtiger Meilenstein für den Buddhismus, sondern auch ein unermesslich wertvolle Kulturerbe der Menschheit.

Abschließend eine Anekdote:

Ein Reisender traf an einem Fluss eine alte verzweifelte Frau. Sie war nicht imstande, den Fluss zu überqueren. Der Reisende war selbst eigentlich schon sehr erschöpft. Trotzdem trug er die Frau über den Fluss. Als sie dann am Ufer ankamen, sagte die Frau kein Wort und ging einfach davon. Der Reisende war über die Undankbarkeit enttäuscht und bereute, dass er seine letzte Kraft für sie eingesetzt hatte. Er ging seinen Weg mühselig weiter. Er war derart erschöpft, sodass er kaum noch einen Schritt setzen konnte. Als er total verzweifelt und hilflos war, holte ihn ein junger Mann auf einem Pferd reitend ein. Der Junge übergab ihm Trinkwasser und Essen und sogar sein Pferd. Er sagte zu ihm: „Danke, dass Sie meiner taub-stummen Großmutter über den Fluss geholfen haben. Dies sind Geschenke von ihr als Dankeschön!“

Das Leben gibt einem nicht alle Antworten auf einmal. Oft hat man geduldig darauf zu warten. Der Weg der Selbstkultivierung ist ein langer Weg, auf welchem man immer wieder Erkenntnisse über sich und die Welt erlangen wird. Man kann womöglich nicht alles gleich verstehen, aber wenn man nicht aufhört, den Weg zu gehen, könnte die Antwort jederzeit auftauchen. Habe es daher nicht eilig, sofort die Antwort zu all deinen Fragen zu bekommen. Einen guten Tee muss man langsam über die Zunge zergehen lassen, um den guten Geschmack genießen zu können. Ein gutes Gedicht muss man oft wiederholen und rezitieren, um den tiefen Sinn zu begreifen. Einen weisen Text muss man immer wieder lesen und darüber nachdenken, um die Weisheit zu begreifen. Wir sind fertig mit dem Podiumsutra und haben einiges begriffen, einiges wohl noch nicht. Es ist daher ratsam, immer wieder mal die Texte zu lesen und darüber nachzudenken. Meister Huineng wartet womöglich darauf, uns die Antwort in unserem Geiste zu „wecken“, wenn die Zeit reif ist!

<– Podiumsutra – Kap. 10 (1): Die Geistesstabilität der Einen Gestaltung


[1] 法海白言。和尚留何教法。令后代迷人得见佛性。

师言。汝等谛听。后代迷人。若识众生。即是佛性。若不识众生。万劫觅佛难逢。吾今教汝识自心众生。见自心佛性。欲求见佛。但识众生。只为众生迷佛。非是佛迷众生。自性若悟。众生是佛。自性若迷。佛是众生。自性平等。众生是佛。自性邪险。佛是众生。汝等心若险曲。即佛在众生中。一念平直。即是众生成佛。我心自有佛。自佛是真佛。自若无佛心。何处求真佛。汝等自心是佛。更莫狐疑。外无一物而能建立。皆是本心生万种法。故经云。心生种种法生。心灭种种法灭。吾今留一偈。与汝等别。名自性真佛偈。后代之人。识此偈意。自见本心。自成佛道。

Autoren: Mingqing Xu, Alexander Maurer
Übersetzung der Zitate: Mingqing Xu, Alexander Maurer
Lektoren: Pascal Hauser, Birgit Seissl, Ursula Presslauer



Kategorien:Buddhismus, Chan- (Zen-) Buddhismus, Podiumsutra

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