Beitragsreihe: Wie kam der Buddhismus nach China?
Kap. 1: Die Anfänge der chinesischen Philosophien und Religionen
Kap. 2: Die Durchsetzung des Buddhismus in der Wei- und Jin-Zeit (220-420 n. Chr.)
Kap. 3: Die Ausgestaltung des chinesischen Buddhismus in den Nord-Süd-Dynastien (420-589 n. chr.)
Teil 2: Ein Überblick über die chinesischen buddhistischen Schulen

Die Zeit der Nord- und Süddynastien ist eine Zeit der großen Übersetzer und großen buddhistischen Meister, die wesentlich zur Ausgestaltung der chinesischen buddhistischen Schulen beigetragen haben. Ein gängiges Konzept spricht von 13 chinesischen buddhistischen Schulen. Diese sind alles monastische Schulen, deren Gründer und Vertreter ordinierte Mönche waren. Zählt man die Maitreya-Schule, welche von einem nicht-ordinierten Vertreter initiiert wurde und maßgeblich den Laienbuddhismus förderte, dazu, dann sind es die folgenden 14 Schulen:
- Die Parinirvana Schule 涅槃宗 nie pan zong
Diese Parinirvana Schule 涅槃宗 nie pan zong basiert auf der von Dharmaksema 曇無讖 tan wu chen (385-433 n. Chr.) übersetzten Version von Maha Parinirvana Sutra. Sie wird der Tathagatagarbha Strömung des Mahayana-Buddhismus zugeordnet. Der erste wichtige Vertreter war Zhu Daosheng 竺道生 (355-434 n. Chr.). Diese Schule war äußerst populär von den südlichen und nördlichen Dynastien (5. Jh.) bis zur frühen Tang-Dynastie (7. Jh.).
- Die Huayan Schule 华严宗 hua yan zong
Die Huayan-Schule 華嚴宗 hua yan zong basiert hauptsächlich auf dem Huayan-Sutra (Sanskrit: Avataṃsaka Sutra), dem Sutra der Blumengirlanden, welches von der ultimativen Sicht des Buddha Gautamas im Moment seines großen Erwachens berichtet. Der Name Blumengirlande soll die Krönung des tiefen Verständnisses der ultimativen Realität eines Buddha andeuten. Die erste Version der Übersetzung des Huayan-Sutra machte Buddhabhadra zu Beginn der Nord-Süd-Dynastien, sprich zu Beginn des 5. Jh. Das Aufblühen der Schule fand aber erst viel später in der Tang-Dynastie im 7. Jh. unter dem Mönch Fazang 法藏 (643-712 n. Chr.) (auch Xianshou 贤首 genannt) statt, der auch die zweite inhaltlich umfangreichere Version des Huayan Sutras übersetzte.
- Die Schule der „Abhandlung des zehn Stufen Sutras“ 地论宗 di lun zong
Ein Kapitel aus dem Huayan Sutra war als eigenständiges Werk im Umlauf und erlangte hohe Popularität. Das ist das „Zehn Stufen Sutra 十地经 shi di jing“ und wird der Nur-Bewusstsein-Schule zugeordnet. Dies einerseits aus dem Grund, da Vasubandhu (4. Jh. n. Chr.), einer der zwei Gründer der Nur-Bewusstsein-Schule ein Kommentarwerk dazu verfasst hat, andererseits behandelt es wesentliche Konzepte der Nur-Bewusstsein-Schule. Das Kommentarwerk von Vasubandhu, die sog. „Abhandlung des Zehn Stufen Sutras 十地经论 shi di jing lun“ bildete die Grundlage der „Schule der Abhandlung des Zen-Stufen Sutras 地论宗 di lun zong“. Die Schule begann mit der Übersetzung der oben genannten Abhandlung ins Chinesische durch Bodhiruci 菩提流支 und Ratnamati 勒那摩提 im Jahr 508 in Luoyang 洛阳, der Hauptstadt der nördlichen Wei-Dynastie.
- Die Schule des reinen Landes 净土宗 jing tu zong
Eine Schule, die nach der Wiedergeburt im sog. „Reinen Land des Westlichen Paradieses“ des Amitabha Buddhas strebt. Als Urvater der Schule gilt Huiyuan 慧远 (334-416 n. Chr.), der zusammen mit mehr als 100 Gläubigen gemeinsam rituell das Gelübde abgelegte, in das obengenannte Reine Land wiedergeboren zu werden. Der erste Ahnlehrer in der Stammlinie wird aber Tanluan 昙鸾 (476-542 n. Chr.) genannt. Er erklärte und untermauerte diese Lehre des reinen Landes mit seinem Kommentarwerk zur „Abhandlung zur Wiedergeburt 往生论 wang sheng lun “ von Vasubhandu, dem Gründer der Nur-Bewusstsein-Schule aus dem 4. Jh. in Indien. Die Etablierung und das Aufblühen der Schule fand erst unter Shandao 善导 (613-681 n. Chr.) in der Tang-Dynastie statt.
- Die Chan Schule 禅宗 chan zong
Der Urvater dieser Schule ist der südindische Mönch Bodhidharma 菩提达摩 (?-528 od. 536), der in der Zeit der südlichen Liang-Dynastie über den Seeweg nach China kam und sich schließlich auf dem Berg Songshan in der nördlichen Wei-Dynastie niederließ. Er beschrieb seine Lehre als „die Übermittlung jenseits der Schulen und Schriften, welche direkt auf die Herzen der Menschen zeigt, sodass sie ihre eigene Natur erkennen und Buddha werden.“[1] Das Aufblühen der Schule begann erst mit dem 5. Ahnlehrer Hongren 弘忍 (601-675 n. Chr.) und dem 6. Ahnlehrer Huineng 惠能 (638-713 n. Chr.) Unter Huineng entfalteten sich fünf Zweiglinien, welche weitreichende Einflüsse auf die Philosophie, Kunst und Kultur Chinas bis heute ausüben.
- Die Maitreya Schule 弥勒教 mi le jiao
Die Schule stammt aus dem buddhistischen Maitreya-Glauben. Als Gründer wird der buddhistische Laie Fuxi 傅翕 (497-569) aus der südlichen Liang-Dynastie genannt. Er lehrte die Praxis nach dem Vorbild von Bodhisattva Maitreya, dem Buddha der Zukunft, welcher die Güte verkörpert. Es wurde impliziert, dass Fuxi eine Inkarnation von Bodhisattva Maitreya war. Die Schule etablierte sich als Laienpraxis und verbreitete sich unter dem einfachen Volk. Sie nahm im Laufe der Zeit die Elemente von Daoismus, Konfuzianismus und weiteren anderen Schulen an und förderte die Entwicklung diverser Volksreligionen in China.
- Abhidharmakosa Schule 俱舍宗 ju she zong
Die Schule basiert auf die „Abidharmakosa-Abhandlung 具舍论 ju she lun„, ins Chinesische übersetzt „Die Abhandlung über die Klausur der höheren Lehre“. Zur Zeit der südlichen Chen-Dynastie übersetzte der indische Mönch Paramartha 真谛 zhen di (499-569 n. Chr.) 22 Bände der oben genannten Abhandlung in der südchinesischen Stadt Guangzhou. Mönch Huikai 慧凯 stellte basierend auf Vorträgen von Paramartha ein Kommentarwerk zusammen. Danach begannen Daoyue 道悦 und andere Mönche die Lehre dieser Abhandlung zu fördern und gründeten die Abhidharmakosa Schule. Diese Schule wird als eine Hinayana-Schule angesehen.
- Die Mahayanasamgraha Schule 摄论宗 she lun zong
Die Schule basiert auf dem Werk Mahayanasamgraha, sprich: „Die Abhandlung des Mahayana-Kompendiums 摄大乘论 she da sheng lun“, welche von Asanga (4. Jh. n. Chr.), einem der beiden Begründer der Nur-Bewusstsein-Schule in Indien, verfasst wurde. Die Schule begann daher mit der Übersetzung dieser Abhandlung in 546 durch den indischen Mönch Paramartha 真谛 zhen di (499-569 n. Chr.) in der südchinesischen Stadt Guangzhou. Zusätzlich dazu hat Paramartha das Kommentarwerk zu dieser Abhandlung, welches von Vasubandhu (4. Jh. n. Chr.), Asangas Halbbruder und dem zweiten Begründer der Nur-Bewusstsein-Schule, verfasst wurde, übersetzt. Ein weiteres wichtiges Werk dieser Schule, welche Paramartha in 550 übersetzte, ist das Mahayana SraddhotPada Sastra, sprich: Die Abhandlung zum Erwecken des Glaubens im Mahayana 大乘起信论 da sheng qi xin lun.
- Die Schule der drei Abhandlungen 三论宗 san lun zong
Diese Schule begann mit Kumarajivas Übersetzung von Nagarjunas drei Werken:
– Die Abhandlung der mittleren Betrachtung 中论 zhong lun (Sanskrit: Mulamadhyamakakarika)
– Die Abhandlung der 12 Punkte 十二门论 shi er men lun (Sanskrit: Dvadasanikaya Sastra)
– Die Abhandlung der 100 Verse 百论 bai lun (Sanskrit: Satasastra)
Deshalb wird sie „Die Schule der drei Abhandlungen 三论宗 san lun zong“ genannt. Sie vertritt die Mahayana-Lehre der mittleren Betrachtung, auf welche Kumarajiva und sein Schüler Sengzhao großen Wert legten. Danach ist sie von der Buddhaessenz- und Nur-Bewusstsein-Lehre in den Hintergrund gedrängt worden. Erst mit der Ankunft des nordchinesischen Mönchs Senglang 僧朗 in Südchina in den Jahren 494─497 n. Chr. erlangte diese Lehre wieder Aufmerksamkeit. Nachfahren aus dieser Schule wie v. a. die Mönche Falang 法朗 (507-581 n. Chr.) und Ji Zang 吉藏 (549-623 n. Chr.) brachten diese Schule zu einem Aufschwung.
- Die Schule der Wahrheit 成实宗 cheng shi zong
Die Schule begann mit Kumarajivas Übersetzung des Tattvasiddhi, sprich: Die Abhandlung der Wahrheit, ein Werk des indischen Mönchs Harivarman. Deshalb wird sie die „Schule der Wahrheit“ genannt. Die Lehre wurde von Kumarajivas Schüler Sengrui 僧叡 (371-438 n. Chr.) gelehrt und verbreitet. Die späteren Schüler Seng Dao und Dao Liang förderten maßgeblich diese Schule. Die Schule befasste sich im Kern mit der Lehre der Leerheit. Ihre Auffassung der Leerheit wurde aber von Vertretern der Schule der drei Abhandlungen wie Falang und Jizang kritisiert und in den Hintergrund gedrängt. Nach dieser Anfechtung wurde die Schule vermehrt als eine Hinayana-Schule angesehen.
- Die Tiantai Schule 天台宗 tian tai zong
Der Gründer Mönch Zhiyi 智𫖮 (538-597 n. Chr.) lebte und lehrte im Tiantai-Gebirge in der Provinz Zhejiang, daher wurde diese Schule die Tiantai-Schule genannt. Zu jener Zeit achteten die Buddhisten in den Nördlichen Dynastien mehr auf die Meditationspraxis, und die Mönche in den Südlichen Dynastien mehr auf das Studium der Schriften. Die Tiantai-Schule legte auf beides gleichermaßen Wert. Die Stammlinie der Schule führte vor Zhiyi neun Generationen zurück bis zu Nagarjuna in Indien. Als Grundlagenwerk studierte die Tiantai-Schule das Lotussutra, unterstützend dazu „Die Abhandlung der Großen vollkommenen Weisheit“, „Das Mahaparinirvana Sutra“ und „Das Sutra der Großen vollkommenen Weisheit“.
- Die Regelschule 律宗 lü zong
Die Schule legte ihren Schwerpunkt auf das Studium der Vinaya (Mönchsregel) Schriften, auf die Fortführung und auf die ordentliche Einhaltung der Mönchsregeln. Die Grundlage der Schule bildete das von Kumarajiva und dem indischen Mönch Buddhayasas 佛陀耶舍 fo tuo ye she (4.-5. Jh. n. Chr.) übersetzte Regelwerk „Dharmaguptaka-Vinaya 四分律 si fen lü“. Auf Basis von diesem Werk gründete der chinesische Mönch Dao Xuan 道宣 (596-667 n. Chr.) in der Tang-Dynastie die „Schule der Mönchsregeln 律宗 lü zong“. In seinem Kommentarwerk erwähnte er, dass diese Regelsammlung von Vorläufern der Theravada Schule etwa hundert Jahre nach dem Tod Gautama Buddhas durch vier Versammlungen zusammengestellt wurde. Daoxuan verfasste fünf Kommentarwerke dazu, welche die Basiswerke der Schule wurden. Daoxuan teilte den Buddhismus in zwei Richtungen ein, die eine mit dem Schwerpunkt in „Versenkung und Weisheit“, die andere in „Mönchsregeln“. Ersteres sieht er als Werkzeug zur Lehre, Zweiteres als das Ordnungssystem der Mönchsgemeinde. Er errichtete am Berg Zhongnan 终南山 die Regel-Plattform und standardisierte die Rituale zur Mönchsordinierung und Einweihung in die Mönchsregeln.
- Die Dharmaform-Nur-Bewusstsein-Schule 法相唯识宗 fa xiang wei shi zong
Die Schule wurde in der Tang-Dynastie vom Mönch Xuanzang 玄奘 (602-664 n. Chr.) gegründet. Xuanzang unternahm eine 13-jährige Studienreise nach Indien und studierte beim Silabhadra 戒贤 jie xian (529-645 n. Chr.), Vertreter der Dharmaform-Nur-Bewusstsein-Schule im indischen Nalanda Kloster. Nach seiner Rückkehr in China organisierte er eine groß angelegte Übersetzungsarbeit mit kaiserlichen Unterstützung. Mit der Übersetzung von Schriften der Nur-Bewusstsein-Lehre gründete er die chinesische Dharmaform-Nur-Bewusstsein-Schule. Er übersetzte weitere Schriften dieser Schule aus Indien wie z. B.
– Yogacarabhumi-sastra 瑜伽师地论 yu qie shi di lun, sprich: Die Abhandlung über die Stadien des Yogacara, verfasst von Asanga/Maitreya
– Aryavacaprakaraṇa-sastra 显扬圣教论 xian yang sheng jiao lun, sprich: Die Abhandlung zur Kundmachung der edlen Lehre, verfasst von Asanga/Maitreya
– Trimsika-vijnaptimatrata 唯识三十颂 wei shi san shi song, sprich: die dreißig Verse der Nur-Bewusstsein-Lehre, verfasst von Vasubandhu
– Mahayana-satadharma-prakasamukha-sastra 大乘百法明门论 da sheng bai fa ming men lun, sprich: die Abhandlung der hundert Dharmas, verfasst von Vasubandhu
Er verfasste auf Basis der „Dreißig Verse der Nur-Bewusstsein-Lehre“ von Vasubandhu ein Kommentarwerk namens Vijnapti-matrata-siddhi 成唯识论 cheng wie shi lun, sprich: die umfassende Abhandlung der Nur-Bewusstsein-Lehre, welches das Grundlagenwerk seiner Schule wurde.
- Die geheime Schule (Vajrayana) 密宗 mi zong
Die Vajrayana Richtung des Buddhismus erreichte China im 8. Jh. Diese wird auch als die geheime Schule des Buddhismus genannt, da die Lehre vom Lehrer zum Schüler persönlich im Geheimen gegeben wird. Dabei handelt sich i. R. um Initiationen, Mantren und Mudras. Die drei Vertreter Subhakarasimha 善无畏 shan wu wei, Vajrabodhi 金刚智 jin gang zhi und Amoghavajra 不空 bu kong kamen im 8. Jh. in Xi’an, der Hauptstadt der Tang-Dynastie, an. Mit Unterstützung des Kaiserhauses übersetzten sie zahlreiche Vajrayana Schriften und begannen diese zu lehren. Dies markierte den Beginn der geheimen Schule in China.
Diese Schulen gestalteten sich ab der Zeit der Nord-Süd-Dynastien seit dem Beginn des 5. Jh. Manche von diesen ebbten schon bereits nach einer hohen Welle wieder ab, verschwanden oder gingen in anderen Schulen auf, wie z. B. die Parinirvana Schule, die Zehn-Stufen-Schule usw. Manche von ihnen erreichten erst in der Tang-Dynastie ab dem 7. Jh. ihre Hochblüte wie die Chan-Schule, die Schule des reinen Landes, die Regelschule etc. Manche aber wurden erst in der Tang-Dynastie gegründet, wie z. B. die Huayan Schule, die Dharmaform-Nur-Bewusstsein-Schule, die geheime Schule usw. Grundsätzlich aber war die Zeit der Nord-Süd-Dynastien eine prägende Zeit für die Etablierung der buddhistischen Konzepte und Schulen. Vor allem war es eine Zeit, in welcher die Ideen der drei Bestandteile des Mahayana-Buddhismus: die Lehre der mittleren Betrachtung, die Buddhaessenz- und die Nur-Bewusstsein-Lehre aufeinandertrafen, einander beeinflussten, intensiv studiert und rezeptiert wurden. Dieser Prozess begann mit der Übersetzung der Schriften zu diesen Lehren. Zu Ende des vorherigen Kapitels haben wir Zhu Daoshengs Auseinandersetzung mit dem Mahaparinirvana Sutra schon vorweggenommen. Zunächst widmen wir uns dem indischen Mönch Buddhabhadra.
–> Fortsetzung: Teil 3: Buddhabhadra, das Tathagatagarbha Sutra und die Buddhaessenz
[1] 教外别传,不立文字,直指人心,见性成佛。
(Mit Korrekturen von Ursula Presslauer, Birgit Seissl, Jörg Hollenstein und Alexander Maurer)
Kategorien:Buddhismus China
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