Das Lächeln zur Blüte – Das Koan über Buddha Gautama und Mahakasyapa

——Beitragsreihe: Die Koans zur Geschichte des Zen-Buddhismus

Was verbirgt sich hinter dem Zen- oder Chan-Buddhismus? Die Anhänger dieser Schule beschreiben sie als die Lehre des plötzlichen Erwachens, während sie im Westen oft als die Schule der Versenkung bekannt ist. Aber wie kommt es zu dieser Bezeichnung? Einerseits basiert sie auf der verbreiteten Annahme, dass Zen-Buddhisten sich strikt der Sitzmeditation widmen. Andererseits resultiert sie aus der Mehrdeutigkeit des Schriftzeichens Zen oder Chan 禪. Dieses Zeichen dient zur Übersetzung des indischen Begriffs Dhyana oder Jhana, der die Versenkungszustände während der stillen Meditation beschreibt. Doch wenn die Meister des Zen-Buddhismus von Zen oder Chan sprechen, geht es ihnen meist nicht um die bloße Meditation, sondern um die geistige Transformation, die unabhängig von Zeit, Ort und äußeren Umständen stattfindet – ein Prozess oder ein Zustand, der ein plötzliches Erwachen ermöglicht. Die Art und Weise, wie die Lehrer ihre Schüler zu diesem Durchbruch führen, ist nicht an eine bestimmte Methode gebunden, noch geht es um verschiedene Stufen der Versenkung.

Wo beginnt die Geschichte des Zen- oder Chan-Buddhismus? Sie findet sich in den Überlieferungen der Zen-Tradition, die aus Koans oder Gong-An besteht. Diese sind Aufzeichnungen von Praxisfällen der Meister dieser Schulen, die oft rätselhaft und ohne klare Antworten sind, was der Schule einen mysteriösen Charakter verleiht. Ich werde diese Koans, teilweise frei erzählt und teilweise wörtlich übersetzt, in chronologischer Reihenfolge präsentieren, um sowohl einen Einblick in die historische Entwicklung der Zen-Tradition als auch in die Lehre des plötzlichen Erwachens zu geben. Obwohl die Schule ihre Wurzeln in China hat und sich als eigenständige buddhistische Strömung etablierte, kann eine solche Tradition wohl kaum ohne den Buddha Gautama entstanden sein. Das erste Koan, das den Beginn der Zen-Lehre beschreibt, handelt von Buddha Gautama und seinem Schüler Mahakasyapa. Diese Legende entführt uns in eine Versammlung im alten Indien zur Zeit Buddhas.

Anwesend bei der Versammlung waren nicht nur menschliche Wesen, sondern auch Fabel- und Himmelswesen, wie es typisch in einem Sutra des Mahayana-Buddhismus ist. Als Buddha Gautama sich an die abertausenden Zuhörer wandte, um zu verkünden: „Ich werde bald das Parinirvana (Erlöschen) erreichen. Wenn ihr noch Fragen habt, sollt ihr sie jetzt stellen“, herrschte Stille. Doch plötzlich erschien der Brahma-Gott und reichte dem Buddha zur Ehrung eine Lotusblume, während er demütig sprach: „Der Erhabene hat nahezu 50 Jahre lang geschickt auf allerlei Weise gelehrt, um Wesen mit unterschiedlichen Anlagen zu erreichen und zu erlösen. Falls es jedoch noch eine höchste Lehre geben sollte, die Sie nicht verkündet haben, bitte ich Sie, sie uns noch zu übermitteln.“ Dabei bot er seinen Körper demütig als Sitz für den Buddha für die große Lehrrede an. Doch Buddha schwieg und nahm lediglich die Lotusblume in die Hand, während er sie den Zuhörern zeigte. Im Allgemeinen wird oft erzählt, dass er die Blume betrachtete und lächelte, aber diese Handlung ist in der hierzu verwendeten schriftlichen Quelle nicht dokumentiert. Eine weitere schriftliche Quelle berichtet noch davon, dass er dabei blinzelte und die Augenbrauen hob. Inmitten der Stille reagierte nur einer: Mahakasyapa. Er lächelte, erhob sich und faltete die Hände. Daraufhin sprach Buddha: „

„Ich habe den Wahren-Dharma-Auge-Schatz, der wunderbare Geist des Nirvana, die wahre Form ohne Form, das wundersame Tor der Lehre, das nicht in Worten erfasst ist und außerhalb der Schule übermittelt wird. Mit oder ohne Weisheit, unter gegebenen Ursachen und Bedingungen kann es bezeugt werden. Dieses übergebe ich heute den Mahakasyapa.“[1]

In einer anderen Überlieferung heißt es, dass Buddha Gautama Mahakasyapa zu sich vor einen Stupa rief, seinen Sitzplatz mit ihm teilte, ihn mit seiner Robe umhüllte und dann zu ihm sprach: „

„Ich übergebe dir vertraulich den Wahren-Dharma-Auge-Schatz. Du sollst ihn hüten und dann Ananda anweisen, dieses als nächster weiter zu vermitteln, damit die Überlieferung nicht unterbrochen wird. „[2]

So betrachten die Zen-Buddhisten den Ursprung ihrer Lehre. Doch was genau dabei übermittelt wurde, bleibt in keiner Schrift festgehalten. Es heißt, dass diese Essenz sich jenseits der Worte befindet und außerhalb der traditionellen Überlieferung weitergegeben wird. Der „Wahre-Dharma-Auge-Schatz“ wurde persönlich und vertraulich 28 Generationen lang von einem Lehrer zum anderen in Indien überliefert. Dann brachte ihn der 28. Nachfolger, Bodhidharma, nach China. Dort wurde er noch weitere 6 Generationen lang übermittelt, bis der 6. Ahnlehrer Huineng die Schule zur Blüte brachte und keinen weiteren Nachfolger für die Bewahrung des „Wahren-Dharma-Auge-Schatzes“ ernannte. Die Schule entwickelte sich in fünf Linien weiter. Jede Linie beansprucht, die direkte Nachfolge des „Wahren-Dharma-Auge-Schatzes“ zu sein, während das Geheimnis dieses Schatzes ungelöst bleibt. Jeder wird ermutigt, aus den Koans seine eigene Antwort darauf zu finden. Das nächste Koan erzählt von Bodhidharma, dem 28. Nachfolger in Indien und dem ersten Ahnlehrer in China, wie er seinen Nachfolger auf chinesischem Boden fand und ihm die geheime Lehre übermittelte.

„Ich kann meinen Geist nicht finden“ – Das Koan über Bodhidharma und Huike >>>


[1]…我不久当般涅槃。诸大众意有欲问法,自恣为问。诸大众默然而坐,一切无声。……尔时娑婆世界主大梵王名曰:…以三千大千世界成就之根妙法莲会光明大婆罗花捧之上佛。退以作礼,而白佛言:「世尊,今佛已成正觉,五十年来种种说法,种种教示,化度一切机类众生。若有未说最上大法,为我及末世行菩萨人欲行佛道,凡夫众生,布演宣说。」作是言已。舍身成座。庄严天衣令坐如来,……尔时世尊着坐其座。廓然拈花。时众会中百万人天及诸比丘,悉皆默然。时於会中,唯有尊者摩诃迦叶即见其示。破颜微笑,从座而起,合掌立正,有气无言。尔时佛告摩诃迦叶言:「吾有正法眼藏,涅槃妙心,实相无相,微妙法门,不立文字,教外别传。有智无智,得因缘证。今日付嘱摩诃迦叶。」《大梵天王问佛决疑经 拈華品第二》

[2] 世尊在灵山会上拈花示众。是时众皆默然。唯迦叶尊者破颜微笑。世尊曰:「我有正法眼藏,涅槃妙心,实相无相,微妙法门,不立文字,教外别传付嘱摩诃迦叶。」世尊至多子塔前,命摩诃迦叶分座令坐。以僧迦黎围之,遂千曰:「吾以正法眼藏密会于汝,汝当护持。并敕阿难副贰传化,无令断绝。」——《指月录卷一 七佛 釋迦牟尼佛》



Kategorien:Buddhismus, Chan- (Zen-) Buddhismus, Koan/Gong-An

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