„Wie ein Wurm, der auf Holz beißt“ – Die Koans zum Guishan Lingyou

——Beitragsreihe: Die Koans zur Geschichte des Zen-Buddhismus

Die älteste der fünf Schulen des Zen- oder Chan-Buddhismus war die Guiyang-Schule. Die Namen der Schulen sind normalerweise nach dem Namen der Gründer benannt, wie z. B. die Linji- oder Rinzai-Schule. Bei der Guiyang-Schule setzt sich der Name jedoch aus den Namen zweier Personen zusammen, nämlich Guishan Lingyou (771-853) und Yangshan Huiji (807-883). Ersterer ist der Lehrer des Letzteren. In diesem Beitrag widmen wir uns dem Guishan Lingyou, wörtlich „Der Gesegnete vom Berg am Gui-Fluss“. Nennen wir ihn einfach „der Gesegnete“. Er und Huangbo Xiyun, wörtlich „dem Seltenen Glück vom Korkbaumberg“, waren die bekanntesten und einflussreichsten Schüler des Baizhang Huaihai, „dem Großmütigen vom Erhabenen Felsen“. Der Korkbaumberg brachte mit seinem Schüler Linji Yixuan, „dem Tiefsinnigen an der Fähre“, die Linji- oder Rinzai-Schule hervor. Der Gesegnete gründete mit seinem Schüler Yangshan Huiji, „dem Stillen Weisen vom Berg der Ehrfurcht“, die Guiyang-Schule. Zeitlich gesehen ist die Guiyang-Schule daher die erste von allen fünf Schulen des Zen- oder Chan-Buddhismus. Wir haben bereits berichtet, dass der Zen- oder Chan-Buddhismus unter dem Ahnlehrer Ma und dem Erhabenen Felsen eigene Strukturen und Regeln geschaffen und eingeführt worden sind. Der erste, der diese konkret umgesetzt und ein Vorbild geschaffen hat, war dieser Gesegnete.

Der Gesegnete wurde mit 15 Jahren zum Mönch ordiniert und studierte Schriften sowohl vom kleinen (Hinayana) als auch vom großen Fahrzeug (Mahayana). Mit 23 Jahren begab er sich zum Erhabenen Felsen. Der Lehrer erkannte sofort das Talent des jungen Mönchs und machte ihn gleich zum „Schüler des Gemachs“. Das folgende Koan berichtet vom Erwachen des Gesegneten:

Eines Tages stand der Gesegnete an der Seite des Erhabenen Felsens.

Der Lehrer fragte plötzlich: „Wer?“

Der Gesegnete antwortete: „Ich.“

„Kannst du mal schauen, ob im Ofen noch Feuer ist?“, wies ihn der Erhabene Felsen an.

Der Gesegnete stöberte in der Asche und sagte: „Kein Feuer.“

Der Erhabene Felsen stand auf, stöberte tiefer in der Asche und fand einen Funken. Er zeigte diesen dem Gesegneten und sagte: „Und du sagst ‚kein Feuer‘, was ist mit dem?“

Der Gesegnete erwachte und verbeugte sich aus Dankbarkeit. Dann schilderte er seine Erkenntnis.

Der Erhabene Felsen sagte: „Dies ist eine vorläufige Abzweigung. Im Sutra heißt es: ‚Möchte man den Sinn des Buddhawesens erkennen, betrachte die Ursache und Bedingung der Zeit. Ist die Zeit gekommen, erlangt der Verblendete plötzliches Erwachen und der Vergessene seine Erinnerung. Man begreift erst, es ist eigenes Ding und nicht von außen zu erlangen.‘ Daher sagen die Ahnlehrer, dass nach dem Erwachen es gleich wie vorm Erwachen ist. Es ist kein Geist und keine Lehre. Es gibt keine Illusionen und auch nicht den weltlichen oder überweltlichen Sinn. Von Anfang an ist diese Herzlehre vollkommen und gegeben. Du hast diese heute erlangt, dann hüte sie gut.“[1]

Das nächste Koan zeigt, wie der Lehrer den Zustand des Schülers bei jeder Gelegenheit überprüft:

Am nächsten Tag ging der Gesegnete mit dem Erhabenen Felsen in die Berge, um zu arbeiten. Der Lehrer fragte den Schüler: „Hast du Feuer mit?“

Der Gesegnete antwortete: „Ja, habe ich.“

Der Erhabene Felsen fragte weiter: „Wo ist es?“

Der Gesegnete nahm ein Stück Holz, blies zwei Mal darauf und überreichte es dem Erhabenen Felsen.

Der Lehrer sagte: „Wie ein Wurm, der auf Holz beißt.“[2]

Wie immer sind die Rätsel ohne Lösung und blieb eine Geheimnis zwischen Lehrer und Schüler. Das nächste Koan erzählt von seiner Berufung:

Der Wanderasket Sima besuchte den Erhabenen Felsen und schwärmte über die Vorzüge des Berges am Gui-Fluss. Dieser soll ein idealer Ort sein, um Mönche zu versammeln und eine große Dao-Gemeinschaft zu errichten. Der Erhabene Felsen stellte seinen Schülern eine Aufgabe: „Wer dazu vor der Gemeinschaft etwas Herausragendes sagen kann, den werde ich als Abt der neuen Gemeinde einsetzen.“

Er zeigte auf eine Wasserflasche und fragte: „Wenn man sie nicht als eine Wasserflasche nennen darf, wie nennst du sie?“

Zurzeit war der Hualin Jue der Vorsitzende unter den Schülern. Er sagte daraufhin: „Man kann es auch nicht Holzschuh nennen.“

Daraufhin fragte der Erhabene Felsen den Gesegneten. Der Gesegnete trat die Flasche um und ging hinaus.

Der Erhabene Felsen lachte und sagte: „Der Vorsitzende hat gegen den Bergsohn verloren.“

Der Gesegnete begab sich nun auf den Weg nach Guishan, dem Berg am Gui-Fluss.[3]

Von diesem Ort erhielt der Gesegnete seinen Beinamen. Die Gründung der Schule war jedoch alles andere als einfach. Die Quellen berichteten davon:

Der Berg war steil und abgelegen, ohne Spuren menschlichen Lebens. Tiger und Wölfe durchstreiften die Gegend, und niemand wagte es, dort hinzugehen. Der Gesegnete lebte etwa sieben Jahre lang von Eicheln und Kastanien. Eines Tages dachte er: „Der Weg liegt darin, anderen zu helfen. Allein zu leben ist nicht richtig.“ Er ging zum Pass des Berges und traf auf die Tiger und Wölfe. Er sprach zu ihnen: „Wenn ich eine Verbindung zu diesem Berg habe, dann geht alle weg. Wenn ich keine Verbindung habe, dann nehmt mich zur Füllung eurer Bäuche.“ Nachdem er das gesagt hatte, verstreuten sich die wilden Tiere. Der Gesegnete sah dies als Zeichen und kehrte zu seiner Hütte zurück. Kurz darauf kamen der Obere Sitzende Lan’an und einige Mönche vom Erhabenen Felsen, um zu helfen. Nach und nach kamen immer mehr Menschen zusammen. Der Ruf der Lehre des Gesegneten verbreitete sich rasch. Die Gemeinschaft wurde die Guiyang-Schule genannt.[4]

Der Name stammt, wie bereits erwähnt, nicht nur von Guishan Lingyou, sondern auch von seinem Schüler Yangshan Huiji. Im nächsten Beitrag geht es um diesen „Stillen Weisen vom Berg der Ehrfurcht“.

Organigramm zur Genealogie der Gründer der fünf Schulen


<<<„Er wagt es, den Bart des Tigers zu zupfen!“ ——Das Koan zum Linji Yixuan

Das Koan zum Yangshan Huiji>>>


[1] 福州長谿趙氏子。年十五出家。依本郡建善寺法常律師剃髮。於杭州龍興寺。究大小乘教。二十三。遊江西參百丈。丈一見許之入室。遂居參學之首。侍立次。丈問誰。師曰某甲。丈曰。汝撥罏中有火否。師撥之曰。無火。丈躬起深撥得少火。舉以示之曰。汝道無。這個聻。師由是發悟禮謝。陳其所解。丈曰。此乃暫時岐路耳。經云。欲識佛性義。當觀時節因緣。時節既至。如迷忽悟。如忘忽憶。方省己物不從外得。故祖師云。悟了同未悟。無心亦無法。祇是無虗妄。凡聖等心。本來心法元自備足。汝今既爾。善自護持。——《指月錄卷之十二 六祖下第四世 潭州溈山靈祐禪師》

[2] 次日同百丈入山作務。丈曰。將得火來麼。師曰。將得來。丈曰。在甚麼處。師拈一枝柴吹兩吹。度與百丈。丈曰。如蟲禦木。——《指月錄卷之十二 六祖下第四世 潭州溈山靈祐禪師》

[3] 司馬頭陀見百丈。談溈山之勝。宜結集法侶為大道場。丈因語眾曰。若能對眾下得一語出格。當與住持。即指淨瓶問曰。不得喚作淨瓶。汝喚作甚麼。時華林覺為首座。師為典座。林曰。不可喚作木𣔻也。丈乃問師。師踢倒淨瓶便出去。丈笑曰。第一座輸却山子也。師遂往焉。——《指月錄卷之十二 六祖下第四世 潭州溈山靈祐禪師》

[4] 是山峭絕。敻無人烟。虎狼縱橫。莫敢往來。師拾橡栗充食者五七年。一日念。道在接物利生。獨居非是。乃出至山口。語虎狼曰。我若於此山有緣。汝等各自散去。若其無緣。我充爾腹。言訖蟲虎四散。師乃回庵。未幾嬾安上座。同數僧從百丈所來輔佐。曰某與和尚作典座。俟眾至五百乃解務。於是人稍稍集。厥後禪學輻輳。風動天下。稱溈仰宗焉。——《指月錄卷之十二 六祖下第四世 潭州溈山靈祐禪師》




Kategorien:Buddhismus, Chan- (Zen-) Buddhismus, Koan/Gong-An

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