Anekdote: Im Schatten der Spuren

In den Falten der Berge und den verborgenen Tälern wanderte ein Reisender. Eines jener Tage, da die Sonne sich sanft hinter den Baumkronen verabschiedete und die Welt in das Gewand der Dämmerung hüllte, umfing ihn eine merkwürdige Furcht. Er erschrak vor dem Anblick seines eigenen Schattens und nährte ein trübes Missfallen gegen die Spuren, die seine eiligen Schritte hinterließen. Verwirrt und von einer unsichtbaren Bürde niedergedrückt, fasste er den Entschluss, seinen Schatten und den Spuren seines Weges zu entfliehen. Doch je flinker er lief, desto hartnäckiger schien sein Schatten ihm zu folgen. Seine Schritte wurden fester, die Konturen seiner Spuren tiefer und deutlicher. Als er schließlich völlig erschöpft und ausgezehrt unter einem mächtigen Baum verweilte, durchdrang ihn plötzlich eine Erkenntnis: Innehalten würde keine Fußabdrücke hinterlassen, und im Schatten des Baumes würde sein eigener Schatten entschwinden. Von jenem Augenblick an öffnete er sein Herz für die Stille und das Innehalten. Er erkannte, dass es nicht darum ging, seinem Schatten zu entfliehen, sondern ihn als untrennbaren Teil seiner selbst zu akzeptieren. In der Stille fand er die Kraft, seinen Ängsten entgegenzutreten und sie zu umarmen. Während er dem Fluss seines Lebens folgte, begannen die Spuren seiner Eile langsam zu verblassen, wie vergessene Gedanken im Laufe der Zeit. So lebte er fortan in Harmonie mit seinem Schatten und den verblassten Abdrücken seiner Vergangenheit. Er erkannte, dass die Dunkelheit das Licht erst recht erstrahlen ließ und sein Schatten nichts weiter als ein Wegweiser auf seiner Reise zur Selbsterkenntnis war.



Kategorien:Anekdoten

1 Antwort

  1. Wunderschön geschrieben, da meint man, man würde sein Wort gerade erleben. Danke dafür!

    Liebe Grüße aus Tirol,
    Christin von https://wanderschoen.at

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