Herz Sutra – „Sariputra! Alle Dharmas sind leere Form, kein Entstehen – kein Vergehen, weder schmutzig noch rein, kein Vermehren – kein Vermindern. “
——Begleitlektüre zum Drei Schätze Retreat am 14.01.2021
Der Titelsatz bringt uns die Aussage des Herz Sutras nochmals nahe: Einerseits ist alles leer = ohne Wesenskern, andererseits wird damit nicht einfach alles verneint. Da ist zwar Leere, aber diese Leere ist eben doch nicht „nichts“ – sie ist identisch mit Form.
Des Weiteren scheint sich der Bodhisattva nun immer mehr hineinzusteigern in gewagte Behauptungen! Wird das nicht langsam extrem? Entstehen und Vergehen kann doch jederzeit in der Welt beobachtet werden? Sind Schmutzig und Rein, Vermehren und Vermindern denn nicht wesentliche Kategorien, ohne die man fast nicht auskommt? Werden hier wichtige spirituelle (und genauer: buddhistische) Begriffe nicht dekonstruiert und verneint? Ja, in gewisser Weise durchaus: Es werden hier oberflächliche Konzepte und Vorstellungen, die „man“ sich vom Buddhismus macht, zerschreddert. Wir sind jetzt mittendrin in der Prajna Paramita – die lässt von gewöhnlichen Vorstellungen nichts mehr übrig. In diesem, so oft rezitierten und abgeschriebenen, Herz Sutra ist nichts „erbaulich“ oder „erhebend“ – hier wird vielmehr wie bei Nietzsche „mit dem Hammer philosophiert“, und ein behaglich zurechtgelegter „Buddhismus“ wird zertrümmert! Es geht so wie bei den Koans und in den bekannten merkwürdigen Chan Geschichten darum, Konzepte loszulassen und eingefahrene Denkgewohnheiten aufzugeben. Dies ist für den Schritt zum Erwachen unerlässlich.ö
Schauen wir wieder, was der Chan-Meister Hanshan Deqing dazu zu sagen hat:
„Weil der Buddha besorgt war, dass Weltlinge mit ihrem menschlichen Samsara-Herzen diesen echten Dharma der wahren Weisheit absoluter Leerheit so interpretieren würden, dass er auch den Dharma von Entstehen und Vergehen, Rein und Schmutzig, Vermehren und Vermindern enthalten würde, sprach er zu Sariputra und erläuterte ihm, dass die Wirklichkeit der absoluten Leere nicht dem Dharma von Entstehen und Vergehen, Rein und Schmutzig, Vermehren und Vermindern entspricht, da letzteres zum Reich von Gefühl und Wahrnehmung der Lebewesen gehöre. Die Essenz der Wirklichkeit des wahren Prajna von Buddhas absoluter Leere ist durch und durch rein und klar wie das All. Es handelt sich um den überweltlichen Dharma. Darum verwendete Buddha das Wort „nicht“, um die Ideen und Irrtümer der anderen zu negieren und nacheinander auszuräumen…“ [i]
Die folgenden zwei Gleichnisse werden traditionell gerne zur Veranschaulichung der Einheit von Leere und Form verwendet:
1. Die Wellen am See sind bedingt durch den Wind entstanden und im Grunde nur Wasser. Beruhigt sich der Wind, gibt es keine Wellen. Symbolisch kann man sagen, sie kehren zur Reinheit und Klarheit zurück. Rein und Klar, das sind die Eigenschaften der Leerheit. Allerdings sind diese Eigenschaften ja genauso bei den Wellen vorhanden. Dieses Wasser ist nicht mehr oder weniger, reiner oder schmutziger, und damit ist auch nichts Neues entstanden oder vergangen.
2. Der Goldring ist eine Form, die von einem Schmied und aus einem bestimmten Anlass (z. B. einer Hochzeit) hergestellt wurde, sich in der Essenz aber nicht vom rohen Gold unterscheidet. Wenn der Goldring wieder eingeschmolzen wird, ist er wieder ununterscheidbar von anderem rohen Gold. Mit dem Ring ist kein neues Gold entstanden, mit seiner Einschmelzung kein Gold vergangen. Der Ring ist nicht mehr oder weniger Gold und nicht goldiger oder weniger goldig als zuvor.
Genauso ist es mit der Form und der Leerheit. Die Form ist bedingt entstanden und vergeht bei Wegfall dieser Bedingungen. Es scheint etwas entstanden oder vergangen zu sein, aber im Grunde ist die Form von Anfang an leer, und kann daher auch nicht vergehen. Mit der Form kann es daher auch nicht mehr oder weniger Leerheit geben, die Leerheit dabei kann auch nicht reiner oder schmutziger sein. Entstehen und Vergehen, Schmutzig und Rein, Vermehren und Vermindern werden nur von den Sinnesgrundlagen und vom Bewusstsein als solche aufgefasst. Erkennt man die Leerheit dahinter, so sind diese wie Illusionen.
Wer nach Auslöschung oder Reinheit strebt, hat sich nicht von der Anhaftung an die Formen gelöst: Will man von den Formen weglaufen, hegt man die Vorstellung von Formen im Geiste. Diese dualistische Ansicht bringt einen von einem Extrem zum anderen. Die Befreiung kann nur gelingen, wenn man erkennt, dass die Form eben schon die Leerheit ist. In der Tiefe des Prajna Paramita, der vollkommenen Weisheit, erkennt der Bodhisattva unmittelbar das non-duale Wesen aller Phänomene. Dieser Zustand ist nicht einfach ein gedankliches Konzept. So wie es Hongren, der Lehrer von Huineng, im Podiumsutra gesagt hat:
„Beim vollkommenen Erwachen hat man unmittelbar den ursprünglichen (natürlichen) Sinn zu erkennen und das ursprüngliche (natürliche) Wesen zu erblicken: es ist weder geboren noch erloschen.“ [ii]
Als Schlussfolgerung dient das Zitat von Huineng aus dem Podium Sutra:
„Erleuchtung und Verblendung – der gewöhnliche Mensch betrachtet sie als zwei Dinge. Ein Weiser jedoch betrachtet diese ohne Differenzierung. Der undifferenzierte Sinn ist der wahre Sinn. Dieser ist nicht vermindert bei den Verblendeten, aber auch nicht vermehrt bei den Weisen. Er ist nicht verwirrt bei belastenden Umständen, aber kommt nicht zur Stille bei meditativer Ruhe. Es bricht nicht ab, ist aber auch nicht stetig. Es gibt kein Kommen, aber auch kein Gehen. Es ist nicht in der Mitte, aber auch nicht im Außen oder Innen. Es ist nicht entstanden und vergeht nicht. Es ist immerwährend und wandelt nicht.“
Einen Bezug zur alltäglichen Praxis könnte das folgende Zitat vom Erhabenen Lehrer herstellen:
„Das Dao ist das Urwesen und von Natur aus rein, klar und unbefleckt. Daher brauchst du das Dao nicht adaptieren, aber du sollst es auch nicht beflecken. Bei allen Angelegenheiten den falschen Sinn und die falschen Gedanken auflösen, sodass Ruhe und Klarheit wieder herrscht. Hafte aber auch nicht an der Ruhe und Klarheit an. So erst geht das Falsche zu Ende, und das Wahre manifestiert sich.[iii]
Die Dao-Praxis erfordert nicht den gänzlichen Verzicht auf die leeren Dinge. Würdest du denn behaupten: „Die Familie ist leer, dann brauche ich sie nicht mehr zu lieben?“ Oder würdest du denn sagen: „Das Geld ist leer, dann brauch ich nicht mehr arbeiten gehen?“ Nur wenn du die Verpflichtungen deiner Rollen erfüllst, kannst du das Wahre vervollkommnen. Dann erst kannst du erkennen, was nicht wahr ist. Wenn du das vollkommen begriffen hast, dann hegst du im Geiste nicht mehr [die Differenzierung zwischen] wahr und unwahr.“ [iv]
[i] Übersetzung von Guido Kellar, Angkor Verlag, mit gerinfügiger Veränderung von der Redaktion ; Chinesisch original: 此又恐世人以生滅心。錯認真空實相般若之法。而作生滅垢淨增減之解。故召尊者以曉之曰。所言真空之實相者。不是生滅垢淨增減之法也。且生滅垢淨增減者。乃眾生情見之法耳。而我般若真空實相之體。湛然清淨。猶若虛空。乃出情之法也。豈然之哉。故以不字不之。謂五蘊諸法。即是真空實相。一一皆離此諸過也。http://taolibrary.com/category/category14/c14023.htm
[ii] 无上菩提,须得言下识自本心,见自本性不生不灭。(六祖坛经 行由品)
[iii] 『道是性体,本自清净无染,故『道』不用修,但不可污染』面对因缘把妄心妄念修去『清净了』连清净『亦』不住,方能妄尽真显 […](活佛师尊慈语)
[iv] 修道并不是要你们完全把假得丢掉,你说父母是假的,你就不孝顺吗?你说钱财是假的,你就不工作吗?你的本分尽了,才能成就真的。有真才会看到假,当你悟透时,心中便无真假了。(活佛师尊慈语)
<– „… Empfindung, Wahrnehmung, Gestaltung, Bewusstsein sind ebenso.“
„Daher ist in der Leerheit keine „Form“, kein „Empfindung, Wahrnehmung, Gestaltung, Bewusstsein“, …“ –>
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Wer geistig absolut nichts mehr Festem hält, so ist er frei. So sind auch alle Doktrine reine Dogmen und Hindernisse, wenn sie nicht in Nirvikalpa-Samadhi verwirklicht werden.
Theorie ist bloßer Bleistaub, wenn nicht gewaschen wird vom Wasser der Erkenntnis.
Hallo muktananda13, Hindernisse zu erkennen, heißt schon auf dem Weg zu sein, ja womöglich schon kurz vorm Durchbruch. Den Weg nicht zu gehen, kommt man gar nicht zu den Hindernissen. So gesehen, müssen Hindernisse nicht schlecht heißen. LG Mingqing
Richtig. Hindernisse sind immer da, damit man sie meistert.
Nirvikalpa-Samadhi… Yoga? Siehst du diese dem Erwachen im Buddhismus gleich? LG Mingqing
Ja, absolut. Auch Sakyamuni hat viele Jahre Yoga geübt. Letzendlich sehe ich den Buddhismus als zur Religion gewordener Yoga. Das Meiste ist gleich.
Ja, Begriffe spalten die Geister, da sie leicht an ihnen anhaften. Sharkamuni hat nicht „Buddhismus“ gelehrt, und im Kern gibt es auch kein „Yoga“.
Ha, ha… Doch als es Yoga auf der Welt gab, gab`s keinen Buddhismus. 🙂
Ich meinte nur, im absoluten Wesen gibt es keine Unterscheidung zwischen “Yoga” und “Buddhismus”.
Ja, das ist wahr.