Das Srimala Sutra über die Weisheit und Wirkung der Buddhaessenz

Beitragsreihe: Wie kam der Buddhismus nach China?

Kap. 1: Die Anfänge der chinesischen Philosophien und Religionen

Kap. 2: Die Durchsetzung des Buddhismus in der Wei- und Jin-Zeit (220-420 n. Chr.)

Kap. 3: Die Ausgestaltung des chinesischen Buddhismus in den Nord-Süd-Dynastien (420-589 n. chr.)

Link zu vorherigen Beiträgen

Teil 6: Das Srimala Sutra über die Weisheit und Wirkung der Buddhaessenz

Maßgeblich für die rechte Sicht im Buddhismus ist die Weisheit (Prajna). Es wird von unterschiedlichen Arten der Weisheit gesprochen, welche den Zustand der Hörer, Einzelerwachten, Bodhisattvas und Buddhas ausmachen. Die Buddhaessenz-Lehre deklariert die Buddhaessenz als die höchste Weisheit. Diese Weisheit in Bezug auf die Buddhaessenz wird im Srimala Sutra wie folgt beschrieben:

Die Buddhaessenz hat zweierlei Weisheit der Leerheit, [und zwar die leere und die nicht-leere Buddhaessenz]. Die leere Buddhaessenz scheint sich von allen angesammelten Trübungen zu entfernen, zu befreien und zu unterscheiden. Die nicht-leere Buddhaessenz entfernt sich nicht, befreit sich nicht und unterscheidet sich nicht von allen Phänomenen bei Kontakt mit ihnen. Sie ist die unvorstellbare Buddhalehre.[1]

Dies weist auf die mittlere Betrachtung hin: Aus konventioneller Sicht gibt es Trübungen des Geistes, aus der ultimativen Sicht jedoch nicht. Daraus leitet sich der Bodhisattvaweg ab: Aus der undifferenzierten Sicht sucht der Bodhisattva nicht danach, das Samsara, sprich: den karmischen Kreislauf von Geburt und Tod zu verlassen, und entfaltet und bewahrt das Bodhicitta, sprich: den Geist des Erwachens, an allen Orten, zu jedem Moment und bei allen Phänomenen. Geburt und Tod im Sinn der Buddhaessenz wird wie folgt dargelegt:

Geburt und Tod hängen von der Buddhaessenz ab. Wegen der Buddhaessenz eben kann ihr Beginn nicht erkundet werden. [2]

Es geht hier wieder um die mittlere Betrachtung: Aus der Sicht der konventionellen Wahrheit gibt es Geburt und Tod, diese sind bedingte Phänomene. Aus der Sicht der ultimativen Wahrheit gibt es kein Geburt und Tod. Die Buddhaessenz ist die ultimative Wahrheit, daher kann ihr Beginn nicht erkundet werden. Diese ist das unbedingte Phänomen, kann aber alle bedingte Phänomene hervorbringen. Zu dieser abhängigen bedingten Hervorbringung wird folgendes gesagt:

Es ist gut, von Geburt und Tod im Zusammenhang mit der Buddhaessenz zu sprechen. Was Geburt und Tod bewirkt: Ohne die Sinnesgrundlagen erfolgt kein Entstehen und [Vergehen]. Das bedeutet Geburt und Tod.[3] Tod und Geburt, diese zwei sind Phänomene der Buddhaessenz. Im konventionellen Sinn wird gesagt: Es gibt Geburt, es gibt Tod. Tod bedeutet der Verfall aller Sinnesgrundlagen, Geburt heißt die neuerliche Entstehung aller Sinnesgrundlagen. Die Buddhaessenz hat jedoch keine Geburt und keinen Tod.[4]

Geburt und Tod sind also von Bedingungen abhängig, welche auf die Sinnesgrundlagen zurückzuführen sind. Sind die Sinnesgrundlagen vergangen, kommen auch keine Bedingungen mehr zustande. Die Sinnesgrundlagen können also wieder erneut entstehen. Die Ursache und den Prozess der neuerlichen Entstehung führen auf die Bedingungen in den tiefen Bewusstseinsebenen zurück. Im Buddhismus geht es um geistige Prozesse, die heilsame oder unheilsame geistige Zustände bewirken. Detaillierte Erklärungen zu diesen Prozessen betreffen die tiefen Ebenen des Bewusstseins. Im Sutra wird die Wirkung der Buddhaessenz auf diesen tiefen Bewusstseinsebenen unter anderem so beschrieben:

Ohne die Buddhaessenz würde man nicht die Leidenschaften verabscheuen und das Nirvana suchen. Warum ist das so? Weil die sechs Sinnesbewusstseine und das Wissen der mentalen Phänomene für keinen Moment anhalten. Diese Sieben entstehen und vergehen augenblicklich. Daher kann bei diesen kein Leiden gesät werden. Dann kann man auch keine Leidenschaften verabscheuen und das Nirvana suchen. Die Buddhaessenz ist ohne Beginn, ohne Entstehen und Vergehen, daher können allerlei Leiden gesät werden. Dann kann man auch die Leidenschaften verabscheuen und das Nirvana suchen.[5]

Hier wurde zu den sechs Sinnesbewusstseinen, sprich: Augen-, Ohren-, Nase-, Zunge-, Körper- und Gedankenbewusstsein, noch zusätzlich das Wissen der mentalen Phänomene erwähnt. So eine Unterscheidung zwischen dem Gedankenbewusstsein und einem weiteren Bereich der mentalen Prozesse ist ein Schwerpunkt der Nur-Bewusstsein-Schule. Mit der Buddhaessenz als die beständige Grundlage stellen diese sieben Bereiche die unbeständigen Phänomene des Geistes dar. Dass diese Sieben „kein Leiden säen“, weist auf das Konzept des Speicherbewusstseins, welches die Samen aller Leidenschaften enthält, hin. Dieses achte Bewusstsein, das einer der Hauptthemen der Nur-Bewusstsein-Schule darstellt, wird aber in diesem Sutra noch nicht erwähnt. Ob die Buddhaessenz gleich dem Speicherbewusstsein ist, gibt es unterschiedliche Schulmeinungen. Dazu mehr dann in Beiträgen zu anderen Sutren. Das Srimala Sutra hat zwar wesentlich zur Entwicklung der Buddhaessenz-Lehre und der Nur-Bewusstsein-Schule beigetragen, inhaltlich jedoch bleiben einige Themen nicht klar genug behandelt. Hier geht es in erster Linie um grundlegende Ansichten zur Buddhaessenz. Ein weiteres Zitat beschreibt die Wirkung des Geistes folgendermaßen:

Die Buddhaessenz ist die Essenz des Dharmafeldes (Dharmadhatu), die Essenz des Dharmakörpers (Dharmakaya), die Essenz der höchsten nicht-weltlichen Ebene und die Essenz der klaren, reinen Selbstnatur. Die Essenz der Selbstnatur des Tathagata ist klar und rein, dennoch gibt es Befleckungen durch den Sinnesstaub und durch Unwissen. Dieser Zustand des Tathagata ist unvorstellbar. Warum ist das so? Ein Augenblick der heilsamen [Regung des] Herz-Geistes ist nicht von den Trübungen verfärbt, und ein Augenblick der unheilsamen [Regung des] Herz-Geistes ist auch nicht von den Trübungen verfärbt. Die Trübungen berühren nicht den Herz-Geist, und der Herz-Geist berührt nicht die Trübungen. Wie kann der Herz-Geist aber befleckt sein, ohne die Phänomene zu berühren? Doch es gibt die Befleckungen und den befleckten Herz-Geist. Dass es bei der klaren, reinen Selbstnatur noch Befleckungen geben kann, dies ist schwer zu begreifen. Nur der Buddha, der Weltverehrte, kann mit wahrer Sicht und Weisheit den Urgrund, die Durchdringung und die Zuflucht der rechten Lehre wahrheitsgemäß wissen und sehen.[6]

Eine klare Antwort auf die Frage „Warum es bei der klaren, reinen Selbstnatur noch Befleckungen geben kann“ wird im Sutra nicht gegeben. Was im obigen Zitat bezüglich der Berührung oder Nicht-Berührung des Herz-Geistes oder der Selbstnatur gemeint ist, betrifft den Prozess der Wirkung des Geistes oder der Buddhaessenz, welche in diesem Sutra ebenfalls nicht detailliert ausgeführt wird. Zwei weitere Übersetzungen Gunabhadras führen diesen Prozess detaillierter aus: das Lankavatara Sutra und das Samdhi-Nirmocana-Sutra. Mit diesen Sutren tauchen neue Begriffe und Konzepte auf, allen voran das Konzept der acht Bewusstseinsebenen, der drei Naturen (oder Merkmale) der Phänomene und der Begriff Alaya-Bewusstsein. Diese sind Bestandteile der Nur-Bewusstsein-Schule. Das Lankavatara Sutra und das Samdhi-Nirmocana-Sutra werden daher auch als Werke der Nur-Bewusstsein-Schule gesehen. Historisch gesehen fungierten diese Werke auch als Wegbereitung für die Nur-Bewusstsein-Schule in China. Die Buddhaessenz-Schule hat selbst kaum Kommentarwerke und stützte sich bei ihrer Auslegung sehr stark auf die Werke der Nur-Bewusstsein-Schule. Aus diesem Grund wird die Buddhaessenz-Schule auch immer als ein Teil der Nur-Bewusstsein-Schule angesehen. Zunächst widmen wir uns dem Samdhi-Nirmocana-Sutra und dem Lankavatara Sutra, um die Bedeutung und die Wirkweise der Buddhaessenz aus der tiefen philosophischen und psychologischen Ebene näher kennenzulernen.

–> Fortsetzung: Teil 7: Bodhiruci, das Samdhi-Nirmocana-Sutra und die Nur-Bewusstsein-Schule


[1]世尊!有二種如來藏空智。世尊!空如來藏,若離、若脫、若異一切煩惱藏。世尊!不空如來藏,過於恒沙不離、不脫、不異、不思議佛法。——《胜鬘狮子吼一乘大方便方广经∙空義隱覆真實章第九》

[2] 世尊,生死者依如来藏,以如来藏故说本际不可知。——《胜鬘狮子吼一乘大方便方广经∙自性清淨章第十三》

[3] 世尊,有如来藏故说生死,是名善说。世尊,生死、生死者,诸受根没,次第不受根起,是名生死。——《胜鬘狮子吼一乘大方便方广经∙自性清淨章第十三》

[4] 世尊,死、生者,此二法是如来藏。世间言说故,有死有生。死者谓根坏,生者新诸根起,非如来藏有生有死。——《胜鬘狮子吼一乘大方便方广经∙自性清淨章第十三》

[5]世尊,若无如来藏者,不得厌苦乐求涅槃。何以故?于此六识及心法智,此七法刹那不住,不种众苦,不得厌苦乐求涅槃。世尊,如来藏者,无前际不起不灭法,种诸苦得厌苦乐求涅槃。——《胜鬘狮子吼一乘大方便方广经∙自性清淨章第十三》

[6] 世尊,如来藏者,是法界藏、法身藏、出世间上上藏、自性清净藏。此性清净如来藏,而客尘烦恼、上烦恼所染,不思议如来境界。何以故?刹那善心非烦恼所染,刹那不善心亦非烦恼所染。烦恼不触心,心不触烦恼。云何不触法而能得染心?世尊,然有烦恼、有烦恼染心,自性清净心而有染者,难可了知。唯佛世尊,实眼实智,为法根本,为通达法,为正法依,如实知见。”——《胜鬘狮子吼一乘大方便方广经∙自性清淨章第十三》


(Mit Korrekturen von Ursula Presslauer, Birgit Seissl, Jörg Hollenstein und Alexander Maurer)




Kategorien:Buddhismus China, Srimala Sutra 胜鬘经

Schlagwörter:, , , , , , , , , ,

1 Antwort

Trackbacks

  1. Das Srimala Sutra über die Buddhaessenz als ein unbedingtes Phänomen – DER WEG DER EINHEIT

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: