Beitragsreihe: Wie kam der Buddhismus nach China?
Kap. 1: Die Anfänge der chinesischen Philosophien und Religionen
Kap. 2: Die Durchsetzung des Buddhismus in der Wei- und Jin-Zeit (220-420 n. Chr.)
Teil 27: Vimalakirti Nirdesa Sutra über die geschickte Weisheit

Die geschickte Weisheit ist die Gabe eines großen Bodhisattvas, flexibel auf die unterschiedlichen Wesen einzugehen und ihnen helfen zu können. Dabei wendet er situationsgerecht geschickte Mittel 方便 fang bian (Sanskrit: upaya kaushalya) an. Vimalakirti wird so vorgestellt:
Er hat die tiefe Lehre verinnerlicht und beherrscht die vollkommene Weisheit. Er handelt geschickt und erfüllt so sein großes Gelübde. Er kennt die Neigungen der Herzen der gewöhnlichen Wesen und kann zwischen scharfen und stumpfen Geistesgrundlagen unterscheiden. […] Er wurde von den Schülern, den Anhängern Buddha Gautamas, den Brahmanen und den weltlichen Herren geehrt. Um den Menschen geschickt helfen zu können, lebt er in [der Großstadt] Vaisali.[1]
Es werden daraufhin unterschiedliche Zielgruppen angeführt, welchen er auf geschickter, maßgeschneiderter Art hilft. Er wandert durch die Straßen und spricht zu den einfachen Bürgern. Er geht in die Schulen und lehrt die Kinder. Er geht zu den Politikern und berät sie. Er geht sogar in die Weinstuben, Spielhäuser und Bordelle, und lehrt die Menschen dort über die Unzulänglichkeit der Begierde und hilft ihnen ihren Geist zu läutern. Überall wird er geehrt:
Von den Laien wird er geehrt, er durchtrennt ihre Anhaftungen.
Von den Kriegern wird er geehrt, er lehrt sie die Duldung.
Von den Brahmanen wird er geehrt, er beseitigt ihre Ich-Dünkel.
Von den hohen Beamten wird er geehrt, er vermittelt ihnen das rechte Gesetz.
Von den Prinzen wird er geehrt, er zeigt ihnen die Treue und Kindespflicht.[2]
Das sind nur einige Beispiele, im Sutra geht die Aufzählung noch weiter. Abschließend heißt es:
Der verehrte alte Vimalakirti kommt mit solchen unermesslichen geschickten Mitteln den gewöhnlichen Wesen zugute.[3]
In diesem Sinn kommen wir zum Anlass des Sutras: Der von allen Seiten verehrte alte Mann ließ eines Tages seine Krankheit bekannt werden, und alle kamen ihn besuchen. Er nutzte die Gelegenheit, um sie alle über die Unbeständigkeit des Körpers zu lehren und zur Praxis der heilsamen Lehre zu motivieren:
Könige, hohe Beamte, Älteste, Laien, Brahmanen, Prinzen und Angehörige der Beamten, unzählige Tausende Menschen kamen zu Besuch und fragten nach seinem Wohl. Vimalakirti vermittelte ihnen anhand seiner Krankheit die tiefe Lehre: „Alle ihr Gütigen! Erkennt das Leiden dieses materiellen Körpers und findet das Glück im Buddhakörper. Das ist der Dharmakörper, welcher aus den unermesslichen Tugendverdiensten und Weisheiten, […], aus der Beseitigung aller unheilsamen Phänomene und aus der Ansammlung aller heilsamen Phänomene entstanden ist. Aus den unermesslichen reinen Phänomenen ist der Körper des Tathagata entstanden. Liebe Gütige! Möchtet ihr den Buddhakörper erlangen und alle Krankheiten eines gewöhnlichen Wesens beenden, so entfaltet den Geist des unübertrefflichen vollständigen Erwachens (Bodhicitta).[4]
Schließlich möchte Vimalakirti die Gelegenheit nutzen, um die Mahayana Lehre zu verkünden. Dazu veranlasste er eine Versammlung aller Buddha-Schüler bei ihm zu Hause. Er führte diese einfach durch einen Gedanken herbei:
Zu jener Zeit hegte der verehrte alte Vimalakirti einen Gedanken: „Ich liege krank im Bett, hat denn der große gütige Weltverehrte nicht Mitleid mit mir?“ [5]
Im Text heißt es weiter, dass Buddha Gautama von seiner Absicht wusste und unter seinen Schülern jemanden suchte, der den kranken alten Mann aufsuchen könnte. Alle große Schüler und Bodhisattvas weigerten sich, diese Aufgabe anzunehmen, da jeder von ihnen einmal von Vimalakirti auf deren Schwächen in der Praxis angesprochen wurde und fühlten sich der Aufgabe nicht gewachsen. Sariputra war der erste, den Buddha gefragt hatte. Sariputra ist für seine hohe Weisheit unter den Schülern Buddhas bekannt. Er erwiderte:
„Weltverehrter! Ich kann diese Aufgabe nicht erfüllen, nach dem Wohl [des Vimalakirti] zu fragen. Warum? Ich erinnere mich, als ich einmal im Wald unter einem Baum meditiert habe, ist Vimalakirti zu mir gekommen und sagte: „Sariputra! So wie du hier sitzest, ist es nicht unbedingt eine Sitzmeditation. Jemand, der Sitzmeditation übt, zeigt keinen Willen in Bezug auf den Körper (bzw. keine Anhaftung an den Körper) in den drei Daseinswelten (formlos begierdelosen, formhaft begierdelosen und begierdehaften Welten). Das heißt Sitzmeditation. Ohne Eintreten der stillen erloschenen Versenkung (灭尽定 mie jin ding; sanskrit: nirodha samapatti) alle Merkmale eines würdevollen Auftrittes (einer still erloschenen Versenkung) aufzuweisen, ist Sitzmeditation. Ohne Verzicht auf die rechte Lehre sich bei den weltlichen Angelegenheiten zu zeigen, ist Sitzmeditation. Der Geist verweilt weder im Innen noch im Außen, das ist Sitzmeditation. Bei allen Ansichten unerschütterlich zu sein und die 37 Qualitäten des Erwachens zu kultivieren, ist Sitzmeditation. Die Geistestrübungen nicht zu beenden aber ins Nirvana einzutreten, ist Sitzmeditation. Wer so die Sitzmeditation übt, kann von Buddha bestätigt werden.“ Zu jener Zeit, Weltverehrter, als ich diese Worte hörte, hielt ich stillschweigend inne und wusste keine Antwort darauf. Daher bin ich nicht in der Lage, nach seinem Wohl zu fragen.“[6]
Buddha Gautama fragte daraufhin noch den Mahamoggalana, Mahakasyapa, Subhuti, Punna Mantaniputta, Mahakatyayana, Anuruddha, Upali, Rahula, Ananda. Laut dem Sutra soll Buddha 500 seiner Schüler gefragt haben. Danach fragte Buddha Gautama die großen Bodhisattvas. Alle nannten Fälle, bei welchen sie sich von Vimalakirti bloßgestellt fühlten, und meinten, sie seien nicht in der Lage , „nach dem Wohl des Alten zu fragen“. Das deutet darauf hin, dass es bei diesem Besuch nicht um die Fürsorge um einen kranken, alten Menschen geht, sondern um die Metapher der „Krankheit“ als eines der drei Merkmale des Daseins im Sinne der Buddhalehre. Im 5. Kapitel spricht Vimalakirti so über seine Krankheit und seine Einstellung dazu:
„Aus Narrheit hege [ich] die Liebe, was mich krank macht. Seitdem alle Wesen krank sind, bin auch ich krank. Sind sie geheilt, bin auch ich geheilt. Und warum? Ein Bodhisattva tritt zum Wohle aller Wesen in das Entstehen und Vergehen ein; wo Geburt und Tod sind, da ist auch Krankheit. Wären alle Wesen frei von Krankheit, wäre auch der Bodhisattva frei davon. Wie wenn das einzige Kind erkrankt ist, dann erkranken auch seine Eltern aus Sorge um ihn. Und wenn es wieder gesund ist, dann werden auch die Eltern wieder gesund. Genauso ist es auch mit einem Bodhisattva – er liebt alle Wesen wie seine Kinder, und solange alle Wesen krank sind, ist auch er krank; wenn sie gesunden, gesundet auch er. […] Die Krankheit eines Bodhisattvas wird einzig und allein durch das große Mitgefühl verursacht.“ [7]
Der Besucher muss daher in der Lage sein, mit Vimalakirti über seine „Krankheit“ sprechen zu können. Letztendlich übernahm Manjushri, der als Bodhisattva des Wissens und des Lernens bekannt ist, diese Aufgabe.[8] Im Vorwort des Kommentarwerkes von Sengzhao wird der Anlass des Treffens von Manjushri und Vimalakirti so beschrieben:
Wie soll man mit formhaften Sprachen und unbeständigem Wissen über den wundersamen Bereich des höchsten absoluten Sinnes sprechen? Jedoch befinden sich die gewöhnlichen Wesen im langen Schlaf und können zu keiner Erkenntnis gelangen, wenn man ihnen nichts sagt. Der absolute Sinn wirkt nicht für sich allein, sondern kommt durch die Menschen zur Verbreitung. Daher weist der Tathagata hier den Manjushri und dort den Vimalakirti an, sich in Vaisali zu versammeln, um den absoluten Sinn zu verkünden.[9]
Sengzhao behauptet also, dass dieses Treffen zwischen Vimalakirti und Manjushri von Buddha Gautama arrangiert war. Der Zweck ist die Übermittlung der Lehre des höchsten absoluten Sinnes. Warum kann er dann nicht selbst diese Lehre verkünden? Sehr wohl hat Buddha selbst zu Genüge über die Mahayana Lehre gesprochen, wenn wir die vielen Mahayana Sutren wie z. B. die Prajna Paramita Sutren, Lotussutra etc. betrachten. Jedoch wird auch z. B. im Lotussutra darüber berichtet, dass viele Schüler diese Lehre nicht akzeptieren und die Versammlung auf Anhieb verlassen, sobald Buddha über die Mahayana Lehre zu sprechen beginnt. Aber Buddha lässt auch keine Gelegenheit aus, um aus unterschiedlichen Perspektiven den Sinn der Lehre zu verdeutlichen. Er wendet somit geschickte Mittel an, um den unterschiedlichen Veranlagungen bzw. Zuständen entgegenzukommen und die tiefe Lehre mit angemessener Methode zu übermitteln: Nachdem die großen Schüler und Bodhisattvas sich nicht in der Lage fühlten, mit Vimalakirti mithalten zu können, dürfte die Neugier allerseits geweckt worden sein, wie das Gespräch zwischen dem alten Laienanhänger und dem Bodhisattva Manjushri verlaufen wird. Alle Schüler und Bodhisattvas gingen gemeinsam mit Manjushri zu Vimalakirti. Eine große Versammlung kam zustande, bei welcher ein Laienanhänger die Mahayana Lehre verkünden wird.
Das Bild, wie Vimalakirti in seinem Bett halb im Liegen, halb im Sitzen, mit Manjushri spricht, ist eines der bekanntesten in der buddhistischen Malerei. Bei diesem Gespräch werden die Sicht und Praxis eines Bodhisattvas abgehandelt. Von den vier zentralen Themen, welche Sengzhao im Vorwort seines Kommentarwerkes aufgezählt hat, vermittelte dieser Beitrag einen ersten Eindruck über „die geschickte Weisheit“. Im nächsten Beitrag geht es um die Lehre der Non-Dualität.
–> Fortsetzung: Teil 28: Vimalakirti Nirdesa Sutra über die Lehre der Non-Dualität
[1] 尔时,毗耶离大城中,有长者名维摩诘,已曾供养无量诸佛,深植善本,得无生忍;辩才无碍,游戏神通,逮诸总持;获无所畏,降魔劳怨;入深法门,善于智度,通达方便,大愿成就;明了众生心之所趣,又能分别诸根利钝,久于佛道,心已纯淑,决定大乘;诸有所作,能善思量;住佛威仪,心大如海,诸佛咨嗟!弟子、释、梵、世主所敬。欲度人故,以善方便,居毗耶离。——《维摩诘经方便品第二》
[2] 资财无量,摄诸贫民;奉戒清净,摄诸毁禁;以忍调行,摄诸恚怒;以大精进,摄诸懈怠;一心禅寂,摄诸乱意;以决定慧,摄诸无智;虽为白衣,奉持沙门清净律行;虽处居家,不著三界;示有妻子,常修梵行;现有眷属,常乐远离;虽服宝饰,而以相好严身;虽复饮食,而以禅悦为味;若至博奕戏处,辄以度人;受诸异道,不毁正信;虽明世典,常乐佛法;一切见敬,为供养中最;执持正法,摄诸长幼;一切治生谐偶,虽获俗利,不以喜悦;游诸四衢,饶益众生;入治政法,救护一切;入讲论处,导以大乘;入诸学堂,诱开童蒙;入诸淫舍,示欲之过;入诸酒肆,能立其志;若在长者,长者中尊,为说胜法;若在居士,居士中尊,断其贪著;若在刹利,刹利中尊,教以忍辱;若在婆罗门,婆罗门中尊,除其我慢;若在大臣,大臣中尊,教以正法;若在王子,王子中尊,示以忠孝;若在内官,内官中尊,化正宫女;若在庶民,庶民中尊,令兴福力;若在梵天,梵天中尊,诲以胜慧;若在帝释,帝释中尊,示现无常;若在护世,护世中尊,护诸众生。——《维摩诘经方便品第二》
[3] 长者维摩诘,以如是等无量方便饶益众生。——《维摩诘经方便品第二》
[4] […] 其以方便,现身有疾。以其疾故,国王大臣、长者居士、婆罗门等,及诸王子,并余官属,无数千人,皆往问疾。其往者,维摩诘因以身疾,广为说法。诸仁者!此可患厌,当乐佛身,所以者何?佛身者即法身也;从无量功德智慧生,从戒、定、慧、解脱、解脱知见生,从慈、悲、喜、舍生,从布施、持戒、忍辱、柔和、勤行精进、禅定、解脱、三昧、多闻、智慧诸波罗蜜生,从方便生,从六通生,从三明生,从三十七道品生,从止观生,从十力、四无所畏、十八不共法生,从断一切不善法集一切善法生,从真实生,从不放逸生;从如是无量清净法,生如来身,诸仁者!欲得佛身,断一切众生病者,当发阿耨多罗三藐三菩提心。’《维摩诘经方便品第二》
[5] 尔时,长者维摩诘,自念:寝疾于床,世尊大慈,宁不垂愍? ——《维摩诘经弟子品第三》
[6] 佛知其意,即告舍利弗:‘汝行诣维摩诘问疾。’舍利弗白佛言:‘世尊!我不堪任诣彼问疾。所以者何?忆念我昔,曾于林中宴坐树下,时维摩诘来谓我言:“唯,舍利弗!不必是坐,为宴坐也;夫宴坐者,不于三界现身意,是为宴坐;不起灭定而现诸威仪,是为宴坐;不舍道法而现凡夫事,是为宴坐;心不住内亦不在外,是为宴坐;于诸见不动,而修行三十七道品,是为宴坐;不断烦恼而入涅槃,是为宴坐;若能如是坐者,佛所印可。”时我,世尊!闻说是语,默然而止,不能加报!故我不任诣彼问疾。’ […] 如是五百大弟子,各各向佛说其本缘,称述维摩诘所言,皆曰:‘不任诣彼问疾。’——《维摩诘经弟子品第三》如是诸菩萨各各向佛说其本缘,称述维摩诘所言,皆曰:‘不任诣彼问疾。’ ——《维摩诘经菩萨品第四》
[7] 维摩诘言:‘从痴有爱,则我病生;以一切众生病,是故我病;若一切众生得不病者,则我病灭。所以者何?菩萨为众生故入生死,有生死则有病;若众生得离病者,则菩萨无复病。譬如长者,唯有一子,其子得病,父母亦病。若子病愈,父母亦愈。菩萨如是,于诸众生,爱之若子;众生病则菩萨病,众生病愈,菩萨亦愈。又言是疾,何所因起?菩萨疾者,以大悲起。——《维摩诘所说经 文殊师利问疾品第五》
[8] 尔时,佛告文殊师利:‘汝行诣维摩诘问疾。’文殊师利白佛言:‘世尊!彼上人者,难为詶对。深达实相,善说法要,辩才无滞,智慧无碍;一切菩萨法式悉知,诸佛秘藏无不得入;降伏众魔,游戏神通,其慧方便,皆已得度。虽然,当承佛圣旨,诣彼问疾。’于是众中诸菩萨大弟子,释梵四天王等,咸作是念:今二大士,文殊师利、维摩诘共谈,必说妙法。即时八千菩萨,五百声闻,百千天人,皆欲随从。于是文殊师利与诸菩萨大弟子众,及诸天人恭敬围绕,入毗耶离大城。—《维摩诘经文殊师利问疾品第五》
[9] 夫道之極者豈可以形言權智而語其神域哉。然群生長寢非言莫曉。道不孤運。弘之由人。是以如來命文殊於異方。召維摩於他土。爰集毘耶共弘斯道。—僧肇《注維摩詰經卷第一并序》
(Mit Korrekturen von Ursula Presslauer, Birgit Seissl und Alexander Maurer)
Kategorien:Buddhismus China, Vimalakirti Nirdesa Sutra 维摩诘经
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