Konzi (Konfuzius) und der Konfuzianismus

Beitragsreihe: Wie kam der Buddhismus nach China?

Obwohl der Buddhismus keine einheimische chinesische Religion ist, hat er die chinesische Kultur stark geprägt. Ursprünglich chinesisch sind der Daoismus und der Konfuzianismus. Die Beitragsreihe soll einen Überblick verschaffen, wie der Buddhismus nach China kam und dort Fuß fasste. Die ersten buddhistischen Mönche kamen laut historischen Quellen etwa im 1. Jh. n. Chr. nach China. Nach Hunderten von Jahren gelang es dem Buddhismus schließlich, sich gegen diese beiden Schulen zu behaupten und sich in China zu etablieren. Dieser Prozess war von gegenseitigen Anpassungen, aber auch heftigen Auseinandersetzungen bis hin zu politischen Unterdrückungen geprägt. Zur Veranschaulichung des kulturellen Hintergrundes schauen wir uns zuerst die Entwicklung der beiden ursprünglichen chinesischen Schulen an. Dabei geht es zunächst nur um einen Überblick, und wir werden daher nicht die ganze chinesische Frühgeschichte, welche laut der Legende in das 4. Jahrtausend v. Chr. reichen soll, abhandeln. Die Reise beginnt daher im 6. Jahrhundert v. Chr., zu Lebzeiten der Urväter des Konfuzianismus und Daoismus: Kongzi und Laozi.

Kap. 1: Die Anfänge der chinesischen Philosophien und Religionen

Teil 1: Konfuzius und Der Konfuzianismus

Konzi 孔子, 552-476 v. Chr.

„Konfuzianismus“ ist ein von westlichen Gelehrten geschaffener Begriff für die Lehre, welche von Kongzi, latinisierter Name Konfuzius, wörtlich Meister Kong (552-476 v. Chr.) gelehrt wurde. Die Chinesen kennen diese unter der Bezeichnung Ru Xue 儒学, was etwa „die Lehre der Gelehrten“ bedeutet. Kongzi selbst sah sich jedoch nicht als Begründer dieser Lehre, sondern als Übermittler. Er fühlte sich verpflichtet, die Lehre der alten Weisen aus der chinesischen Frühgeschichte, welche er zu Lebzeiten gefährdet sah, zu erhalten und zu lehren. Diese Verpflichtung nannten die Konfuzianer das „Himmelsmandat“, welches vom „Himmel“ an jene Menschen verliehen wurde,  welche würdig waren, das Volk zu führen und zu erziehen.

Vor Kongzi waren es die weisen Herrscher, welchen dieses Himmelsmandat zugeschrieben wurde. In den historischen Schriften erwähnte man die „Drei Herrscher und die fünf Kaiser“, die die alten Chinesen als tugendhafte Ahnen, Vorbilder und Wegbereiter der chinesischen Zivilisation ehrten. Sie wurden als die vom „Oberen Herrscher 上帝 shang di“ oder „Himmel 天 tian“ gesandten Heiligen angesehen und durch Rituale und Zeremonien mit Opfergaben in den Ahnentempeln geehrt. Ihnen wurde zugeschrieben, dass sie die chinesische Schrift, die Nutzung von Feuer, den Hochwasserschutz, die Viehzucht, die Landwirtschaft, die Medizin, die Astrologie und Astronomie, das Kalenderwesen, das Staats- und Familiensystem sowie die Sitte und ethischen Werte gegründet und etabliert haben. Auf dieser Basis bauten darauffolgend die Herrscher der sog. „Drei Dynastien“ (Xia-, Shang- und Zhou-Dynastie) seit etwa dem 3. Jt. v. Chr. auf und entwickelten diese ununterbrochen weiter.

Kongzi lebte in der Mitte der Zhou-Dynastie (11. Jh. – 220 v. Chr.), in der Zeit der sog. „Frühlings- und Herbstannalen“. Zu jener Zeit war das Zhou-Reich in viele konkurrierende Fürstentümer gespalten. Diese Fürstentümer waren Lehensstaaten der Zhou-Dynastie. Das Kaiserhaus verlor mit dem Machtzuwachs der Fürstentümer allmählich an Kraft und hielt diese nur noch formell zusammen. Die von den Gründern der Zhou-Dynastie festgelegten Etiketten und die damit verbundene ethische Rangordnung wurden immer weniger beachtet. Größere Fürstentümer begannen kleinere zu bekriegen und einzunehmen. Eine Zeit der großen Unruhe brach aus. Kongzi sah in dieser Unruhe den Untergang des Wertesystems, welches die großen Ahnen über Jahrtausende aufgebaut hatten und machte sich daran diesen Untergang aufzuhalten.

Kongzi stammte aus einer verarmten adeligen Familie und fiel schon in seinen jungen Jahren wegen seinem Lerneifer auf. Er besuchte renommierte Lehrer und wurde einer der bestausgebildeten Gelehrten seiner Zeit. Schon im jungen Alter von 20 Jahren gewann er bereits ein hohes Ansehen durch sein umfassendes Wissen und begann auch bald eine politische Karriere einzuschlagen. Mit über 30 sah er jedoch zunehmend seine Berufung nicht mehr in der Politik und gab seinen Posten auf. Er gründete eine Schule und gab sein Wissen an die breite Masse weiter, unabhängig von Talenten und sozialer Herkunft. Dies war eine Pionierleistung, da es davor nur amtliche Schulen gab, welche nur Menschen höherer sozialer Schichten zugänglich waren. Sein Ruf als großer Lehrer verbreitete sich rasch über alle Fürstentümer. Er versammelte, laut Aufzeichnung, 3000 Schüler um sich, aus welchen wichtige Persönlichkeiten hervorgingen. Dennoch konnte er den Verfall der moralischen Zustände und die instabilen politischen Verhältnisse seiner Zeit nicht aufhalten und verbessern. Mit 51 versuchte er es selbst in der Politik, nachdem der Fürst seines Heimatlandes Lu ihn zu wichtigen Regierungsposten berief. Schon nach einem Jahr verbesserten sich die Zustände des Landes derart markant, so dass die anderen Fürstentümer Botschafter nach Lu sandten, um von ihm zu lernen. Nach drei Jahren gewann das einst kleine, schwache Fürstentum Lu signifikant an Stärke und Ansehen. Im Land herrschte Ordnung und gute Sitte. So heißt es in den Schriften, dass „verlorene Güter auf der Straße von keinem genommen wurden“ und „man nachts nicht die Türe zu schließen brauchte“. In dem konfuzianischen Werk „Gespräche 论语 lun yu“ lobte Kongzi sich selbst:

„Wenn jemand mich einsetzt, reichen einige Monate für die erste Wirkung und drei Jahre für den Erfolg.“  [1]

Dennoch konnte er sein Werk nicht fortführen, da er die Unterstützung des Fürsten von Lu bald verlor. Auf der einen Seite gab der Fürst dem Druck der mächtigen Clans, welche durch Kongzis Politik an Macht einbüßten, nach. Auf der anderen Seite beschäftigte er sich lieber mit seinen Konkubinen und Tänzerinnen, die er vom Fürst des benachbarten Landes Qi geschenkt bekommen hatte, anstatt sich mit der Politik auseinanderzusetzen. Aus Enttäuschung legte Kongzi sein Amt nieder und verließ sein Heimatland. Zusammen mit seinen Schülern reiste er von Fürstentum zu Fürstentum und predigte die Lehre der alten Weisen. Dennoch konnte er keine Erfolge erzielen und kam dabei sogar einige Male beinahe ums Leben. Einmal wurden sie von Truppen zweier Fürstentümer sieben Tage belagert, sodass sie beinahe verhungerten. Während viele Schüler krank wurden und klagten, blieb Kongzi gelassen, motivierte unermüdlich seine Schüler und spielte stets seine Zither. In seinen „Gesprächen“ erklärte er den Sinn der Not und damit den Unterschied zwischen einem edlen und gewöhnlichen Menschen:

„In der Not bleiben edle Menschen unerschüttert, die gewöhnlichen Menschen jedoch verlieren ihren Anstand.“ [2]

Nach 13 Jahren erfolgloser Reise kehrten sie in das Fürstentum Lu zurück. Er lehrte weiter, ordnete und kommentierte die überlieferten Schriften, was die Basis nicht nur für den Konfuzianismus, sondern generell für die chinesische Kultur legte.

Kongzi gelang es zu seiner Lebenszeit nicht, die Fürsten von seiner Lehre zu überzeugen. In der damaligen militärisch angespannten Situation wagte keiner der Fürsten, die von Kongzi vertretenen Werte der Menschlichkeit 仁 ren und der Etikette 礼li umzusetzen. Mit dem Tod Kongzis im Jahr 476 v. Chr. brach die befürchtete Zeit der großen Unruhe aus. Es begann die sog. „Zeit der Streitenden Reiche“ (476-221 v. Chr.). Drei Jahrhunderte ständige Kriege waren die Folge. Aus über 100 Fürstentümer blieben sieben große Staaten über.

Eine Gemeinsamkeit mit Gautama Buddha, der in Indien zur gleichen Zeit lebte, ist, dass auch dieser mit seinen Schülerscharen von Land zu Land zog, um seine Lehre zu verbreiten. Beide lehrten die höchste geistige Vervollkommnung durch Einhaltung ethischer Prinzipien, Gemütswandlung und Weisheit, unabhängig vom sozialen Status. Während Buddha Gautama auch Menschen aus den niederen Kasten in seine Mönchsgemeinschaft aufnahm, lehrte Kongzi den Menschen aus dem einfachen Volk die Werte und Fähigkeiten zum Staatsdienst, welcher den sozialen Aufstieg ermöglichte. Das konfuzianische Werk „Die Große Lehre 大学 da xue“ beschreibt das Ziel der konfuzianischen Praxis so:

„Möchte man Frieden auf die Welt bringen, so hat man zuerst sein Land zu ordnen.  Möchte man sein Land ordnen, so hat man zuerst seine Familie zu regulieren.  Möchte man seine Familie regulieren, so hat man zuerst seinen Körper zu kultivieren, … [3]

Unterschiede zwischen den beiden Schulen wurden jedoch in späterer Folge Hürden für die Buddhisten, um in China Fuß zu fassen, da sie sich gegen die Konfuzianer erst durchsetzen mussten. Grob zusammengefasst ging es vor allem um wesentliche Unterschiede zu folgenden Themen:

  • Familie und Beruf
  • Engagement in der Politik
  • Die Frage um den Tod
  • Götter und Geister
  • Kosmologie
  • Meditationstechnik

Der Verzicht von Buddha Gautama auf Familie, Beruf und seine hohe soziale Stellung widerspricht den konfuzianischen Werten. Der Gedanke über den Tod als Leiden, dass es zu überwinden gilt, war ein Hauptanliegen Gautama Buddhas, während für Kongzi dieses Thema nicht wichtig war. Als in den „Gesprächen“ einer seiner Schüler ihn nach dem Tod fragte, antwortete er nur:

„Hast du den Lebenden noch nicht gedient, wie kannst du dich den Geistern widmen. Ohne über das Leben zu wissen, wie willst du denn den Tod kennen.“

Wenn Buddha immer wieder ganz selbstverständlich von Göttern und Geistern sprach, wurde von Kongzi berichtet, dass er die Rede von übernatürlichen Kräften oder Phänomenen vermied. Ein Spruch von ihm in den „Gesprächen“ lautete:

„Ehre die Götter und Geister, aber haltet euch von diesen fern.“  

Über kosmologische Fragen um die Entstehung des Universums und des menschlichen Daseins ist in den konfuzianischen Schriften wenig Konkretes zu finden. Auch wurden keine bestimmten Techniken zur Meditation erwähnt. Nur der daoistische Gelehrte Zhuangzi berichtete, wie Kongzi und sein Schüler Yanhui sich über Meditationsübungen unterhalten haben. Die konfuzianischen Schriften selbst erwähnen aber kein Wort davon. Mehr wird dort von der Übung der Rituale und Musik, vom Studieren der Schriften und von der Kultivierung der Ethik gesprochen. Kongzi beschrieb seinen eigenen Werdegang in den „Gesprächen“ so:

„Mit 15 war ich fest entschlossen zu lernen, mit 30 war ich etabliert, mit 40 hatte ich keine Zweifel mehr, mit 50 erkannte ich das Himmelsmandat, mit 60 waren meine Ohren geschmeidig, mit 70 folgte ich meinem Herzen ohne Regeln zu brechen.“[4]

Vom „Lernen“ bis zum „dem Herzen folgen“ ist wohl ein Prozess der Gemütsschulung. Dies ist an sich der Zweck einer Meditationsübung. Es wird aber nicht von bestimmten Techniken und Formen der Meditation berichtet. Dies ist mehr das Resultat der Selbstkultivierung, welche in „Der Großen Lehre“ so beschrieben wurde:

„…Möchte man seinen Körper kultivieren, so hat man zuerst sein Herz zu korrigieren. Möchte man sein Herz korrigieren, so hat man zuerst seine Gedanken zu klären. Möchte man seine Gedanken klären, so hat man zuerst Einsicht zu erlangen. Um Einsicht zu erlangen, muss man die Dinge (am Herzen) verarbeiten. [5]

Die Korrektur des Herzens, die Klärung der Gedanken zur Gewinnung von Einsicht können doch auch als Übungsziele der Buddhisten angesehen werden. Der Weg dorthin weist bei beiden jedoch wesentliche Unterschiede auf. Die Buddhisten konnten diese Unterschiede zum Konfuzianismus erst allmählich überwinden. Das Ergebnis war schließlich die Entstehung eines chinesischen Buddhismus. Der Prozess dauerte etwa tausend Jahre. Zu Beginn konnte der Buddhismus nur dank dem Daoismus in China Fuß fassen, da dieser bei den oben angeführten sechs Themen anschlussfähiger war.

—> Fortsetzung folgt: Laozi (Laotse) und der Daoismus


[1] 子曰:“苟有用我者,期月而已可也,三年有成。” ——《论语·子路篇》

[2] 子曰:“君子固穷,小人穷斯滥矣。“——《论语·卫灵公篇》

[3] 古之欲明明德于天下者,先治其国;欲治其国者,先齐其家;欲齐其家者,先修其身 …… (大学 第一章)

[4] “吾十有五而志于学,三十而立,四十而不惑,五十而知天命,六十而耳顺,七十而从心所欲而不逾矩。“ ——论语 为政篇

[5] “欲修其身者,先正其心;欲正其心者,先诚其意;欲诚其意者,先致其知;致知在格物。“ ——《大学 · 第一章》

(Übersetzung der Zitate auf Basis jener von Richard Wilhelm und Wolfgang Kubin mit Änderungen durch den Autor)



Kategorien:Buddhismus China, Konfuzianismus, Philosophie

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