Laozi (Laotse) und der Daoismus

Beitragsreihe: Wie kam der Buddhismus nach China?

Kap. 1: Die Anfänge der chinesischen Philosophien und Religionen

Teil 1: Konzi (Konfuzius) und der Konfuzianismus

Teil 2: Laozi (Laotse) und der Daoismus

Laozi (Laotse), ~7.-5. Jh. v. Chr., Urvater des Daoismus

Der Urvater des Daoismus, Laozi oder Laotse 老子, war historischer Überlieferungen zufolge ein Zeitgenosse Kongzis und Buddha Gautamas. Seine Geburts- und Sterbedaten sind nicht genau definiert, auch ist von ihm  keine organisierte Lehrtätigkeit bekannt. Manche Gelehrte heutzutage bezweifeln sogar seine Existenz, da so wenig über sein Leben in den historischen Aufzeichnungen zu finden ist. Das Werk Shiji 史记, „Aufzeichnungen des großen Historikers“ von Sima Qian 司马迁 (145-1 v. Chr.) berichtet, wie Kongzi etwa im Jahr 518 v. Chr. Laozi mit seinem Besuch beehrte und um Belehrung bat. Laozi müsste deutlich älter als der damals etwa 35-jähriger Kongzi gewesen sein, der im Auge des Alten offensichtlich heißblütig und scharfkantig wirkte:

„Ich hörte, ein wohlhabender Kaufmann verbirgt sein Reichtum, als würde er nichts besitzen, und ein Edler verfügt über hohe Tugend, aber er sieht aus Bescheidenheit wie töricht aus. Der Meister möge seine überheblichen Züge und seine viele Bestrebungen sowie seine oberflächige und ungezügelte Art beschwichtigen, denn diese tun ihm nicht gut. Mehr habe ich dem Meister nicht zu erzählen.“ [1]

Nach dem Abschied beschrieb Kongzi seinen Schülern den Alten Meister so:

„Von den Vögeln weiß ich, dass sie fliegen können, von den Fischen weiß ich, dass sie schwimmen können, von den Raubtieren weiß ich, dass sie rennen können; Jene, die rennen, kann man mit dem Netz fangen. Jene, die schwimmen, kann man mit der Angel fischen. Jene, die fliegen, kann man mit dem Pfeil abschießen. Aber ich weiß nicht, wie der Drache, der mit dem Wind und den Wolken in den Himmel emporsteigt, zu erfassen wäre. Heute habe ich Laozi gesehen: Er ist wie ein Drache!“ [2]

Der chinesische Drache ist das Totem der Ahnen der Chinesen. Dieser galt als heilig, mächtig und unerreichbar. Damit drückte Kongzi seine Bewunderung für den alten Meister aus. Obwohl die konfuzianischen Schriften kein Wort davon erwähnen, wird jedoch in den daoistischen Schriften davon berichtet, dass Kongzi mehrmals im Leben Laozi besucht hat. Die Schüler von Kongzi, die die Reden ihres Lehrers niedergeschrieben haben, dürften keine Freude damit gehabt haben, dass ihr heiliger Lehrer als „überheblich“, „oberflächlich“ und „ungezügelt“ beschrieben wurde.

Über die Identität des Laozi gibt es mehrere Versionen. Die Gängigste davon ist, dass er amtlicher Bibliothekar der Staatsbibliothek in der Hauptstadt des Zhou-Reichs war. Er hat also nicht öffentlich gelehrt und lebte zurückgezogen mit seiner einfachen Funktion. Des Weiteren heißt es, dass er in hohem Alter auf einem Ochsen reitend nach Westen aus dem Lande ausgereist sei, weil die Sitten im Verfall begriffen waren. Seine Enttäuschung drückte er etwas zynisch in dem nach ihm benannten Werk so aus:

Die Menschen der Menge leben alle im Überfluss. Ich allein bin wie verlassen! Wahrlich, ich habe das Herz eines Toren! Die Menschen der Welt sind hell, so hell. Ich allein bin wie trübe! Die Menschen der Welt sind so schlau. Ich allein bin stumpf, so stumpf! Ach, weit wie das Meer! Frei, ach, als einer der nirgends weilt! Die Menschen haben alle etwas zu tun. Ich allein bin töricht und tauge zu nichts! Ich allein bin anders als die Menschen, denn ich halte wert, mich von der Mutter (vom Dao) zu nähren.[3]

Bevor er die Grenze passierte, bat ihn der Grenzwächter, Yinxi 尹喜, seine Lehre niederzuschreiben. Das Ergebnis war das berühmte daoistische Hauptwerk, welches nach ihm benannt wurde und später den weiteren Namen „Daodejing 道德经“ erhielt, was etwa „Das Buch des Weges und der Kraft“ bedeutet. Dieses Werk ist heutzutage nach der christlichen Bibel das meistübersetzte Buch, welches mit dem folgenden Satz beginnt:

Der Weg , der gesagt werden kann, ist nicht der ewige Weg.
Der Name, der benannt werden kann, ist nicht der ewige Name.
Nichts, so nennt man den Anfang von Himmel und Erde.
Sein, so nennt man die Mutter der zehntausend Wesen.[4]  

Was hier als der „Weg“ übersetzt wurde, ist das Wort „Dao 道“, der zentrale Begriff der chinesischen Philosophie. Das Werk behandelt mit etwa 5000 Schriftzeichen die Bedeutung des Dao 道 und des De 德. Aus dem Kap. 25 sei hier etwa kurz zum Dao zitiert:

„Da war etwas, im Chaos vollendet, bevor Himmel und Erde entstanden. So still und leer! Eigenständig und nicht wandelbar! Stets kreisend und doch unerschöpflich! Als aller Welten Mutter kann es gelten. Ich kenne seinen Namen nicht und stelle es mit dem Zeichen „道 Dao“ dar.“ [5] 

Das Dao bezeichnet also den Beginn oder die Grundlage alles Seins. Das Kapitel 51 beschreibt den Zusammenhang zwischen Dao und De:

Vom Dao erzeugt, vom De kultiviert, die Geschöpfe formen sich, die Umstände vollenden sie. [6]

Das De vollzieht also die Auswirkung des Dao. Das De wird auch als Tugend verstanden, welche einen weisen oder edlen Menschen ausmachen soll. Demgemäß soll der Fürst eines Landes sein. Laozis Vorstellung eines idealen Staatswesens ist das Nicht-Handeln, das sog. „Wuwei 无为“. Der Fürst soll sich also nicht bemerkbar machen und dem natürlichen Lauf der Dinge folgen. Die Qualität eines Führers stuft er im Kap. 17 so ein:

Der Höchste, von dem weiß man nicht, dass es ihn gibt.
Der danach wird geliebt und gelobt.
Der danach wird gefürchtet.
Der danach wird missachtet.
Vertraut man nicht genug, erhält man kein Vertrauen dann.
Besonnen, ach, seine geschätzten Worte!
Sind die Verdienste vollbracht und die Angelegenheiten erledigt,
sagt jeder im Volk: „Das ist für mich selbstverständlich!“ [7]

Statt allzu sehr in das Leben des Volkes einzugreifen, rät der alte Meister den Fürsten sich im „Nicht-Handeln“ zu kultivieren. So heißt es im Kap. 2.:

Der Weise handelt ohne zu tun und lehrt ohne zu sprechen. Er entzieht sich nicht den zehntausenden Dingen, erschaffend ohne zu besitzen, wirkend ohne haften zu bleiben. Die vollbrachten Verdienste beansprucht er nicht für sich. [8]

Er vergleicht dies im Kap. 8 mit dem Wasser:

Die höchste Güte gleicht dem Wasser: es nützt den zehntausend Dingen, doch ohne Streit. Es weilt an Orten, welche die Menschen verabscheuen, darum ist es nahe dem Dao. [9]

Grabfunde beweisen, dass Texte aus diesem Buch spätestens zur Zeit der Streitenden Reiche (476-221 v. Chr.) schon existierte.[10] Es bleibt ein Rätsel, wohin Laozi nach seiner Auswanderung ging. Als etwa ein halbes Jahrtausend später der Buddhismus nach China kam, behaupteten die Daoisten aufgrund der Gemeinsamkeiten der Lehren, dass Laozi nach Indien gegangen wäre und den Buddhismus gelehrt hätte. Diese Idee wurde natürlich von den Buddhisten heftig bestritten und widerlegt. Darauf werden wir in einem späteren Kapitel noch genauer eingehen.

Zunächst wurden weder Kongzis „Menschlichkeit“ noch Laozis „Nicht-Handeln“ von den Fürsten zur kriegerischen Zeit der Streitenden Reiche umgesetzt. Es entwickelte sich zahlreiche weitere Schulen, welche um die Gunst der Fürsten rangen. Konzis Schüler und die Nachfolger der daoistischen Ideen sowie die Vertreter der anderen Schulen führten heftige Debatten gegeneinander. Es folgte die Zeit des sog. „Streites der Hundert Schulen“.

> Fortsetzung folgt: Teil 3: „Mengzi (Mencius) im Streit der Hundert Schulen“


[1] “吾闻之,良贾深藏若虚,君子盛德,容貌若愚。去子之骄气与多欲、态色与淫态,是皆无益于子之身。吾所以告子者,若是而已。“ ——《史记卷六十三·老子韩非列传第三》

[2]  „鸟,吾知其能飞;鱼,吾知其能游兽,吾知其能走;走者可以为罔,游者可以为纶,飞者可以为矢曾。至于龙,吾不能知其乘风云而上天。吾今日见老子,其犹龙邪!“ ——《史记卷六十三·老子韩非列传第三》

[3] 众人皆有余,而我独若遗。我愚人之心也哉!俗人昭昭,我独昏昏。俗人察察,我独闷闷。澹兮,其若海;飂兮,若无止。众人皆有以,而我独顽且鄙。我独异于人,而贵食母。——《老子·道德经·第20章》

[4] 道可道,非常道。名可名,非常名。无名天地之始,有名万物之母。——《老子· 道德经·第一章》

[5] 有物混成 先天地生。寂兮寥兮,独立而不改,周行而不殆,可以为天下母。吾不知其名,字之曰道。——《老子·道德经·第25章》

[6] 道生之,德蓄之,物形之,势成之。——《老子·道德经·第51章》

[7] 太上,不知有之;其次,親而譽之;其次,畏之;其次,侮之。——《老子·道德经·第17章》

[8] 是以圣人处无为之事,行不言之教。万物作焉而不辞,生而不有,为而不恃,功成而弗居。——《老子·道德经·第2章》

[9] 上善若水,水善利万物而不争,处众人之所恶,故几于道。——《老子·道德经·第8章》

[10] 郭店楚簡 Guōdiàn Chǔjiǎn wurden 1993 im Grab Nr. 1 der Guodian Gräber in Jingmen, Provinz Hubei, China, ausgegraben

(Übersetzung der Zitate auf Basis jener von Richard Wilhelm, Günther Debon und Klaus Hilmar mit Änderungen durch den Autor)



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