Beitragsreihe: Wie kam der Buddhismus nach China?
Kap. 1: Die Anfänge der chinesischen Philosophien und Religionen
Teil 1: Konzi (Konfuzius) und der Konfuzianismus
Teil 2: Laozi (Laotse) und der Daoismus
Teil 3: Mengzi (Mencius) im „Streit der Hundert Schulen“
Teil 4: Zhuangzi, der Wahrhaftige vom Südlichen Blütenbland
Teil 5: Das Wechselspiel zwischen Legalismus, Konfuzianismus und Daoismus
Teil 6: Die Etablierung des monarchistischen Konfuzianismus als Staatsideologie ab der 2. Jh. v. Chr.
Der reformierte, monarchistische Konfuzianismus der Han-Zeit ab. 2. Jh. v. Chr. weist neue Züge auf, welche in Kongzis Worten nicht eindeutig zu finden waren. Die Han-Konfuzianer legten Kongzis Lehre neu aus und entwickelten ein neues Ideengebäude. Dies diente einerseits zur absolutistischen Führung des monarchistischen Systems, andererseits dazu, sich gegen die anderen Schulen, allen voran den Daoismus, durchzusetzen. Um sich gegen den Daoismus zu behaupten, assimilierte der neue Konfuzianismus kosmologische Ideen wie Yin-Yang 阴阳 und Wu Xing 五行 (die fünf Wandlungsphasen) [1] usw. und ergänzte damit sein Welt- und Menschenbild. Dieses neue kosmologische Konzept basierte auf dem Yijing 易经, dem Buch der Wandlung. Dieses Buch wurde sowohl von den Konfuzianern als auch von den Daoisten geehrt. Kongzi hat sich historischer Überlieferungen zufolge in seinen späteren Jahren intensiv mit diesem Werk auseinandergesetzt. Er soll die Abhandlungen und Kommentare dazu verfasst haben, welche später fixer Bestandteil des Buches wurden. Zur Han-Zeit setzte man sich umfassend mit diesem Werk auseinander. Daoisten wie auch Konfuzianer untermauerten beide ihre Ideen mit den Prinzipien dieses Werkes.
Dies ergab eine gemeinsame Kosmologie: Alle Geschehnisse des Kosmos seien Manifestationen des Qi, was man oft als die „Lebensenergie“ übersetzte oder als „Feinstoff“ beschrieb. Die Deutungen dieses Konzeptes fielen unterschiedlich aus. Der esoterische Daoismus bildete damit auf der einen Seite eine Grundlage für die Meditation, auf der anderen Seite auch einen Nährboden für Zauberei und Wahrsagerei. Auf der philosophischen Ebene sahen die Daoisten das Qi als ein natürliches Phänomen, das seine Ordnung selbst fand. Im Unterschied zum Daoismus ließen die Konfuzianer nicht alles selbst seine Ordnung finden: Man hatte aktive Verdienste gemäß den natürlichen Ordnungsprinzipien leisten, um die gute Qi-Struktur aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen. Laut den Konfuzianern verfügten unter allen Lebewesen nur die Menschen über die vollkommene Qi-Qualität und somit über die vollkommene Tugend. Der Mensch fungierte somit als Säule zwischen Himmel und Erde: Die Tugenden des Himmels und der Erde wurden durch die Menschen zum Ausdruck gebracht. Die Menschen hatten daher diese Tugenden zu kultivieren, um die kosmische Ordnung zu bewahren. Tauchten z. B. Naturkatastrophen auf, deutete dies auf die Verschlechterung der Qi-Qualität und somit den moralischen Verfall der Menschen hin.
Durch schlechtes Qi würden die Menschen in ihrer Tugendhaftigkeit beeinträchtigt. Man unterschied daher die Heiligen, die von Geburt aus weise und tugendhaft waren, die edlen Menschen, welche durch eifriges Lernen und disziplinierte Selbstkultivierung die Tugenden pflegten und bewahrten, und jene gewöhnlichen Menschen, welche sich nicht um die Tugendhaftigkeit bemühten. Den Extremfall stellten die vollkommen der schlechten Qi-Energie erlegenen Bösewichte dar. Die Heiligen waren mit dem Himmelsmandat ausgestattet und hatten die Aufgabe die Tugenden zu lehren. Die Edlen hatten als Vorbilder zu dienen, um die gewöhnlichen oder „kleinen“ Menschen zu führen und zu erziehen, und um sie vor Bösewichten zu schützen. Dieser Sinn des Lebens begann mit der Erfüllung von Familienpflichten im eigenen Hause und vollendete sich durch Verdienste an den Staat. Der Staat war als die gemeinsame Familie aller Familien zu sehen. Die Führung dieser „Familie“ hatte der Kaiser inne, daher hatten alle tugendhaften und fähigen Menschen den Kaiser zu unterstützen. Wer Kaiser wurde, der trug das Mandat des Himmels.
Nach dem Vorbild der legendären Herrscher [2] aus dem Altertum wurden die Träger des Himmelsmandats als Heiligen angesehen. Ihre Tugendhaftigkeit wurde daran gemessen, ob es dem Reich und dem Volk wohlergehe. Man sprach von der „Resonanz zwischen Himmel und Mensch 天人感应 tian ren gan ying“. Zum Beispiel wurden große Naturkatastrophen als himmlische Warnung und Vergeltung für die moralische und oder politische Verfehlung des Kaisers gesehen. Hingegen wurden gute Phänomene als Preisung und Bestätigung seiner Tugenden und Verdienste gedeutet. Die Interpretation von „Phänomenen“ lag in den Händen der speziell dafür berufenen Beamten. Darunter am bekanntesten war Jingfang 京房 (77-37 v. Chr.), der auf Basis der Hexagramme des Buchs der Wandlung ein komplexes System zur Prophezeiung und Deutung von Geschehnissen geschaffen hat. Den philosophischen Kommentaren und der rationalen Logik der Hexagramme von Kongzi wurde dabei wenig Beachtung geschenkt. Diese Wertlegung auf die Esoterik führte im Laufe der Han-Zeit zum Überhandnehmen von Wahrsagerei und Aberglauben.
Zunächst musste die Legitimität des neuen Herrschers vom „Himmel“ bestätigt werden. Dafür muss der neue Kaiser eine spezielle Zeremonie zur Himmelehrung und Verleihung des Himmelsmandats durchführen. Diese sog. Feng-Shan 封禅Zeremonie am heiligen Berg Taishan 泰山 ist eine alte Tradition seit dem legendären Gelben Kaiser 黄帝 huang di (~3000 v. Chr.) [3]. Aber nur wenige Kaiser wagten es, diese durchzuführen. Dafür mussten sie zuerst die Eliten des Landes von ihrer Tugend oder ihren Verdiensten am Volk überzeugen. Während dieser Zeremonie leistete der Kaiser sein Gelübde zur Vertretung des Himmels und zur gewissenhaften Führung des Volkes. Dadurch erlang er das Himmelsmandat. Der Kaiser setzte sich somit mit den heiligen Ahnen des Altertums gleich und wurde zum „Sohn des Himmels“ (天子 tianzi). Der Kaiser vereinte dadurch die Rolle des politischen und religiösen Oberhauptes in einem. Der Kaiser Han-Wu führte diese Zeremonie im Jahr 110 v. Chr. am Berg Taishan durch.

Zur Etablierung des konfuzianischen Systems wurde zur Verwaltung des Landes die im konfuzianischen Sinn Tugendhaften als Beamten eingesetzt. Die lokalen Beamten schlugen aus jenen Menschen, die einen guten Ruf in ihrem Heimatgebiet besaßen, Kandidaten für die Beamtenschaft vor. Dieser Ruf resultierte aus den sog. „Reinen Diskussionen 清议 qing yi“ unter den Gelehrten der einzelnen Regionen. Die Kriterien eines solchen guten Rufes waren ab der Etablierung von Konfuzianismus als Staatsideologie immer mehr von konfuzianischen Werten wie Kindespietät, Loyalität etc. geprägt. Später wurde zur weiteren Selektion die Beamtenprüfung eingeführt, durch welche das Wissen über die konfuzianische Lehre gefestigt und verbreitet wurde. Zusätzlich wurde eine staatliche Akademie zur Ausbildung von Beamten eingerichtet, welche ausschließlich die konfuzianischen Werke lehrte und erforschte. Zur Festigung der Gesinnung wurde Kongzi als der heilige Lehrer aller Gelehrten dem Titel eines „Herzoges“ posthum verliehen. Dazu ernannte der Kaiser einen Vertreter aus Kongzis Nachfahren zum erblichen Herzog, um die symbolische Fortführung der Heiligkeit Kongzis zu gewährleisten.[4] Durch die politische Macht wurden alle anderen Schulen zunächst an die Peripherie gedrängt. Im Privaten jedoch pflegte das Kaiserhaus und die höhere soziale Schicht vermehrt die Praktiken des esoterischen Daoismus zur Erlangung eines gesunden, langen Lebens, ja sogar der Unsterblichkeit…
–> Fortsetzung folgt: „Huainanzi, das Lebenselixier und die „Unsterblichkeit““
[1] Die fünf Wandlungszustände oder -phasen: Holz-Feuer-Erde-Metall-Wasser
[2] Man sprach dabei von den „drei Herschern und fünf Kaisern“ 三皇五帝 san huang wu di aus dem chinesischen Altertum, die zugleich als die Ahnen der Chinesen angesehen und verehrt wurden. Huang und Di bedeuten beides Kaiser. Im konfuzianischen Sinn haben die Huang eine höhere Bedeutung und daher einen höheren Rang als die Di.
[3] Von den Han-Chinesen als der gemeinsame Ahne angesehen. Tatsächlich führten die Stammbücher der meisten Han-Chinesen auf ihn zurück. Auch heutzutage strömen Chinesen weltweit zum Grab vom Gelben Kaiser zur gemeinsamen Ahnenverehrung.
[4] Dieses System wurde seitdem von allen Kaiserdynastien Chinas fortgeführt, bis die Monarchie 1911 durch die Revolution der Republikaner beendet wurde. Der Beamtentitel „Der Herzog zur Fortführung der Heiligkeit (von Kongzi)“ wurde jedoch noch von der 76. Generation der Nachfahren Kongzis fortgeführt. In 1935 wurde der Titel von der republikanischen Regierung zum „Zeremonienhalter zur Verehrung des großen heiligen Lehrers Kongzi“ umbenannt. Der letzte Träger des Titels war Decheng Kong 孔德成 (1920-2008), 77. Generation der Nachfahren Kongzis. Dieser wurde nach der Niederlage der republikanischen Regierung gegen die Kommunistische Partei dazu aufgefordert, – symbolträchtig für die chinesische Zivilisation -, nach Taiwan zu flüchten. Die kommunistische Regierung unterbrach diese Tradition der Titelverleihung. Auch in Taiwan wurde keinen neuen Nachfolger des Titels ernannt.
Kategorien:Buddhismus China, Konfuzianismus
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