Beitragsreihe: Wie kam der Buddhismus nach China?
Kap. 1: Die Anfänge der chinesischen Philosophien und Religionen
Teil 1: Konzi (Konfuzius) und der Konfuzianismus
Teil 2: Laozi (Laotse) und der Daoismus
Teil 3: Mengzi (Mencius) im „Streit der Hundert Schulen“
Teil 4: Zhuangzi, der Wahrhaftige vom Südlichen Blütenbland
Teil 5: Das Wechselspiel zwischen Legalismus, Konfuzianismus und Daoismus
Teil 7: Huainanzi, das Lebenselixier und die „Unsterblichkeit“
Durch die Etablierung des reformierten, monarchistischen Konfuzianismus wurden alle anderen Schulen zunächst an die Peripherie gedrängt. Im Privaten jedoch pflegten das Kaiserhaus und die höhere soziale Schicht des Han-Reiches vermehrt die Praktiken des esoterischen Daoismus zur Erlangung eines gesunden, langen Lebens, ja sogar der Unsterblichkeit. Der Daoismus konnte sich somit weiterentwickeln. Ein wichtiger Vertreter war der Vetter des Kaisers, Liu An 刘安 (179-122 v. Chr.). Das von ihm herausgegebene Sammelwerk Huainanzi 淮南子 umfasste Kommentare zu nahezu allen damals gegebenen Schulen Chinas. Die Grundlage bildete die daoistische Kosmologie. Damit vereinte er die Ideen aller Schulen auf daoistischer Grundlage. Das Werk ist eine Sammlung von Beiträgen einer Gruppe von Gelehrten, welche Liu An als Gäste bei sich daheim betreute und finanzierte.
Das Werk führte die daoistische Kosmologie, dass alles aus dem Dao entstand und aus dem Qi besteht, weiter aus. Es ging näher auf die Wirkung des Qi als Wechselspiel von Yin und Yang ein. Demnach bildet das Yang-Qi, welches „dünn und durchlässig“ ist, den Himmel. Das Yin-Qi ist „zusammenziehend und stagnierend“ und entfaltet die Erde.[1] Übertragen auf den Mensch kommt der materielle Körper vom Yin-Qi und der Geist vom Yang-Qi. Der Körper ist daher schwer und trüb, der Geist leicht und klar. Nach dem Tod kehrt das Qi des Yin-Körpers zur Erde und das Qi des Yang-Geistes zum Himmel zurück. [2]
Der Legende zufolge kultivierte Liu An den daoistischen Weg des Lebenselixiers, welches die Unsterblichkeit des Körpers bewirken soll. Von Liu An wird die folgende Legende erzählt: Nachdem er Opfer eines politischen Machtkampfes wurde, stieg er durch die Einnahme des Lebenselixiers in den Himmel empor und entkam so der Gefangennahme durch die kaiserliche Armee. Sogar die Hühner und Hunde, welche den Rest des Elixiers gegessen haben, sind mit ihm aufgestiegen. Das Streben nach der Unsterblichkeit war eine gängige Praxis der daoistischen Esoterik. Viele Machthaber gaben sich dieser Praxis hin. Diese Vorstellung der Unsterblichkeit wurde gegen Ende der Han-Zeit von einer Reihe von Gelehrten frontal angegriffen:
Huan Tan 桓谭 (23 v. Chr. – 50 n. Chr.) beschrieb in seinem Buch Xinlun 新论, wörtlich „Die neue Abhandlung“, das Leben wie eine Kerze:
Der Geist [verhält sich] zum Körper wie das Feuer zur Kerze. Ohne die Kerze kann wohl das Feuer nicht selbständig in der Leere existieren. Geht das Qi (der Atem/die Lebensenergie) aus, dann sind Feuer und Kerze am Ende.“[3]
Yang Xiong 扬雄 (53 v. Chr. – 18 n. Chr.) antwortete in seinem Buch Fayan 法言, wörtlich „Die Lehrgespräche“, auf die Frage, ob es unsterbliche heilige Menschen geben könnte:
„Gibt es Leben, dann gibt es sicher den Tod. Gibt es einen Beginn, dann gibt es bestimmt ein Ende. Das ist der Weg der Natur.“[4]
Kosmologische Erkenntnisse aus astronomischen Beobachtungen von Forschern wie Zhang Heng 张衡 (78 – 139 n. Chr.) verstärkten diese rationale Ansicht. Er beschrieb den Kosmos wie ein Ei:
„Der Himmel ist wie die Schale des Ei, die Erde wie das Eigelb […]“[5]
Die alte Vorstellung einer flachen Erde war also damit hinfällig. Er beschrieb die Erde als eine schwebende Kugel. Er erkannte bereits, dass die Gestirne am Himmel in Relation zur Erde einer regelrechten Kreisbewegung unterworfen waren, und hat diese gemessen und mathematisch berechnet. Obwohl er den Himmel mit der Eierschale verglich, sah er diesen als grenzenlos an:
„Was drüber ist, ist unbekannt. Das Unbekannte ist das Universum. Es ist unbegrenzt und endlos.“ [6]
Eines der bedeutendsten Werke dieser rationalen Ansicht stellte das Lun Heng 论衡, wörtlich „Die Abhandlung des Konstanten“, von Wang Cong 王充 (27-97 n. Chr.) dar. Er wehrte sich vehement gegen den von den Han-Konfuzianern gepredigten „Himmel 天tian“ mit einem Willen, der belohnend oder bestrafend auf das weltliche Geschehen eingreifen kann. (Die Konfuzianer nannten diesen Himmel „Shangdi 上帝“, wörtlich der „Obere Herrscher“, welchen später von den Christen bei der Bibelübersetzung übernommen wurde.) Stattdessen betonte Wang Cong die Wirkung des Qi als den Ursprung und die gemeinsame Grundlage alles Seins:
„Das ursprüngliche Qi, ist die feine Essenz des Himmels und der Erde.“ [7]
„Durch die Vereinigung des Qi von Himmel und Erde entstanden Menschen. Durch die Vereinigung des Qi von Mann und Frau entwickeln sich Embryos.“ [8]
„Der Mensch ist jenes unter den zehntausenden Dingen, welches Wissen und Weisheit aufweist. Sein Leben erhielt er vom Himmel (von der Natur) und ist vom anfänglichen Qi durchdrungen, ohne Unterschied zu den [anderen] Dingen.“ [9]
„Der Mensch ist aus dem Qi des Yin und Yang geboren. Das Yin-Qi beherrscht Knochen und Fleisch, das Yang-Qi bestimmt den Geist.“ [10]
Auch griff er den Unsterblichkeitsglauben des esoterischen Daoismus mit seinen Aussagen zum Tod an:
„Nach dem Tod des Menschen ist das Blut erschöpft. Das essenzielle Qi kommt dann zu einem Ende. Der Körper geht damit zugrunde und wird zu Asche. Wo soll es noch einen Geist geben?“ [11]
„Die Geister sind nicht vom Geist des Menschen nach dem Tode, sondern von den Gedanken der Menschen gekommen. Wie kommt es dazu? Durch Krankheit. Die Menschen sind krank und verfallen in Sorgen und Ängste. Aus Sorgen und Ängsten kommen die Geister.“ [12]
„Stark oder schwach, lang- oder kurzlebig, hundert (Jahre) ist die Richtzahl. Reicht das Qi nicht aus, erreicht man keine hundert (Jahre). Ist das Qi kräftig, wird der Körper stark und das Leben lang. Ist das Qi dünn, wird der Körper schwach und das Leben kurz.“ [13]
Wangs Kritik an sämtlichen fatalistischen und abergläubischen Ideen hatte weitreichende Wirkung auf die Entwicklung der chinesischen Philosophie. Er brachte seinen Ansatz so auf den Punkt:
„Eine Sache wird klar durch ihre Wirkung (Erfahrung), eine Behauptung wird fest durch Beweise.“ [14]
Zu jener Zeit gewannen die Themen „Kosmologie“ und „Tod“ immer mehr Bedeutung bei den philosophischen Diskussionen in China. Diese Auseinandersetzungen bekamen einen neuen Input durch den Buddhismus, der inzwischen schon in China angekommen ist.
–> Fortsetzung folgt: „Die Anfänge des Buddhismus in China“
[1] 淮南子《天文训》
[2] 淮南子《精神训》
[3] “精神居形体,犹火之然(燃)烛矣,烛无,火亦不能独行于虚空。……气索而死,为火烛之俱尽矣”。——汉·桓谭 《新论·形神》
[4] 有生者必有死,有始者必有終,自然之道也。——杨雄 《法言 问君子》
[5] 《张衡浑仪注》中说:“浑天如鸡子。天体圆如弹丸,地如鸡子中黄,……“
[6] “过此而往者,未之或知也。未之或知者,宇宙之谓也。宇之表无极,宙之端无穷。”《灵宪》
[7] 《四讳篇》云:“元气,天地之精微也。”
[8] 《自然篇》云: “夫天地合气,人偶自生也;犹夫妇合气,子则自生也。”
[9] 《辨祟篇》云:“人,物也,万物之中有知慧者也。其受命于天,禀气于元,与物无异。”
[10] “夫人所以生者,阴、阳气也。阴气主为骨肉,阳气主为精神。”
[11] “人死血脉竭,竭而精气灭,灭而形体朽,朽而成灰土,何用为鬼?”
[12] “凡天地之间有鬼,非人死精神为之也,皆人思念存想之所致也。致之何由?由于疾病。人病则忧惧,忧惧见鬼出。”
[13] 若夫强弱夭寿,以百为数,不至百者,气自不足也。夫禀气渥则其体强,体强则其命长;气薄则其体弱,体弱则命短。
[14] “事莫明于有效,论莫定于有证。”
(Die Übersetzung der Zitate erfolgte durch Mingqing Xu mit Unterstützung von Alexander Maurer, Ursula Presslauer, Birgit Seissl und Roland Parth)
Kategorien:Buddhismus China, Daoismus / Taoismus
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