Beitragsreihe: Wie kam der Buddhismus nach China?
Kap. 1: Die Anfänge der chinesischen Philosophien und Religionen
Kap. 2: Die Durchsetzung des Buddhismus in der Wei- und Jin-Zeit (220-420 n. Chr.)
Kap. 3: Die Ausgestaltung des chinesischen Buddhismus in den Nord-Süd-Dynastien (420-589 n. chr.)
Teil 1: Auf und Ab – der Buddhismus zwischen politischen Unterdrückungen und Förderungen

Das östliche Jin-Reich konnte sich im Süden bis 420 n. Chr. halten, bis das Kaiserhaus vom Militär gestürzt wurde. Die darauffolgende Zeit nennen die Historiker die Zeit der Nord-Süd-Dynastien (420-589 n. Chr.). Im Nordchina teilten sich kurzlebige Dynastien seit dem Ende der westlichen Jin-Dynastie in 311 n. Chr. das Gebiet unter sich auf. Die Historiker sprechen von den „5 Nomadenvölkern und 16 Reichen“. Von den 16 Reichen konnte sich schließlich das Wei-Reich des Xian-Bei-Volkes behaupten und nach mehr als 100 Jahren kriegerischen Unruhe ab 439 n. Chr. Nordchina in das nördliche Wei-Reich vereinigen. Der Kaiser Xiaowen 孝文 (467-499 n. Chr.) führte die Sinisierung des Reiches durch: Er reformierte das Reich nach dem konfuzianischen System, verwendete chinesische Schriften und änderte seinen Xianbei-Familiennamen Tuoba 拓跋 in das han-chinesische Yuan 元. Er ordnete auch an, dass das ganze Xianbei-Volk han-chinesische Familiennamen annahmen, und vermischte beide Völker durch Verehelichungen. Das Xian-Bei-Volk ist seitdem vollkommen in die Han-Nationalität integriert. Durch diese Reformen konnte das Reich etwa weitere 100 Jahre bis 535 fortgeführt werden. Dann kam es durch Militärputsche zu einer Abfolge von weiteren vier Dynastien. Die fünf Nord-Dynastien sind:
- Nördliche Wei-Dynastie (439-535 n. Chr.)
- Östliche Wei-Dynastie (535-556 n. Chr.)
- Westliche Wei-Dynastie (535-550 n. Chr.)
- Nördliche Qi-Dynastie (550-577 n. Chr.)
- Nördliche Zhou-Dynastie (556-581 n. Chr.)
In Südchina wurde die östliche Jin-Dynastie vom Militärführer Liu Yu 刘裕 in 420 n. Chr. gestürzt und die südliche Song-Dynastie ausgerufen. Bis zum Ende der Nord-Süd-Dynastien in 589 n. Chr. wechselten sich in Südchina vier Dynastien ab:
- Song-Dynastie (420-479 n. Chr.)
- Qi-Dynastie (479-502 n. Chr.)
- Liang-Dynastie (502-557 n. Chr.)
- Chen-Dynastie (557-589 n. Chr.)
Trotz des regen Machtwechsels waren die meisten Fürsten Anhänger und Förderer des Buddhismus. Dennoch fand der Buddhismus nicht immer die Gunst der Machthaber. Es kam zu zwei politischen Unterdrückungen des Buddhismus, wo buddhistische Klöster, Statuen und Schriften zerstört und buddhistische Mönche verfolgt wurden. Diese führten auf der ideologischen Ebene auf den Konflikt zwischen den Konfuzianern, den Daoisten und den Buddhisten zurück. Daoistisch oder konfuzianisch orientierte Machthaber sahen im Buddhismus eine Bedrohung der systemerhaltenden Tradition. Ständige Streitigkeiten zwischen den Vertretern der drei Schulen fanden statt. Auf der wirtschaftlichen und sozialen Ebene war die Lebensweise der Mönche manchen Machthabern ein Dorn im Auge. Sie erbringen keine wirtschaftliche Leistungen und zeugen auch keinen Nachwuchs, sammeln aber Reichtümer in den Klöstern und besaßen Grund und Boden. Die erste politische Verfolgung fand in der nördlichen Wei-Dynastie von 446-452 n. Chr. statt. Der Fürst Tai-Wu der nördlichen Wei-Dynastie 北魏太武帝 beiwei taiwudi bekannte sich zum Daoismus und verbot den Buddhismus 446 n. Chr. Buddhistische Mönche wurden verfolgt, zahlreiche Statuen und Schriften wurden vernichtet. Erst nach seinem Tod in 452 n. Chr. hob der Thronnachfolger das Verbot auf. Die Entwicklung des Buddhismus in Nordchina wurde dadurch stark geschwächt. Die zweite politische Unterdrückung geschah ebenfalls in Nordchina, und zwar von 574-578 n. Chr. unter dem Fürst Wu der nördlichen Zhou-Dynastie 北周武帝 beizhou wudi. Der Monarch erhob den alleinigen Anspruch des Konfuzianismus und ließ Buddhismus und Daoismus in Nordchina in 574 n. Chr. verbieten. Das Verbot von Buddhismus und Daoismus führte wiederum dazu, dass Schriften und Statuen vernichtet, Klostervermögen beschlagnahmt und Mönche zur Aufgabe ihres ordinierten Status gezwungen wurden. Viele Mönche flüchteten nach Südchina. Nach dem Tod vom Fürst Beizhou Wudi in 578 n. Chr. wurde das Verbot wieder aufgehoben.
Diese zwei politischen Verfolgungen führten zu zeitweiliger Schwächung des Buddhismus, welcher sich aber immer rasch wieder erholte und sich weiterentwickelte. Die beiden Unterdrückungen fanden nur in den Nord-Dynastien statt. In den Süd-Dynastien wurden neben umfassenden Übersetzungen massenweise Klöster gebaut. Darüber hinaus fand eine Welle des Kunsthandwerks zur Anfertigung von Buddha-Statuen und -bildern statt. Buddhistische Begriffe und Vorstellungen fanden Zugang zur chinesischen Literatur, Kunst und Architektur. In Nordchina wurden die ersten der weltberühmten Felshöhlen-Tempeln mit Malereien und Statuen wie die Mogao-, die Yungang- und Longmen-Grotten errichtet. In Südchina prägten zahlreiche buddhistische Klöster maßgeblich die Landschaft und die Städte. Dieser Prozess fand einen Höhepunkt unter dem buddhistischen Fürst Wu von der Liang-Dynastie 梁武帝 liang wudi (464-549 n. Chr.), welcher zahlreiche Klöster bauen und massenweise Mönche ordinieren ließ. Mit dem Kaiser Wu von Liang begann auch die Festlegung der fleischlosen Ernährung als verbindliche Regel für die buddhistischen Mönche, was ein typisches Merkmal des chinesischen Buddhismus wurde. Zu seiner Zeit kam der Urvater des Chan-Buddhismus, der indische Mönch Bodhidharma 菩提達摩 (?-528 o. 536 n. Chr.) nach China. Die Anekdote über das Treffen zwischen dem Kaiser Wu von Liang und dem Bodhidharma wird in den chan-buddhistischen Schulen heutzutage gern als ein Praxisfall (Koan) gelehrt.
Ein wesentlicher Einfluss auf die Entwicklung der buddhistischen Lehre machten weitere Übersetzungen von buddhistischen Schriften. Wichtige Studienreisen nach Indien, allem voran jene vom Mönch Faxian 法显 (337-422 n. Chr.), brachte zahlreiche Originalschriften nach China. Nach dem Tod von Kumarajiva 鸠摩罗什 (334-413 n. Chr.) ging seine Übersetzungsgemeinschaft auseinander. Schwerpunkt der Übersetzungstätigkeit verlagerte sich nach Südchina. Während Kumarajiva und seine Schüler, allen voran Sengzhao 僧肇 (384-414 n. Chr.) die Schriften zur Lehre der mittleren Betrachtung 中观学派 zhongguan xuepai (Madhyamaka) übersetzt und kommentiert hatten, wurden darauffolgend in Südchina wichtige Schriften zur Buddhaessenz- (Tathagatagharba-) Lehre 如来藏学派 rulaizang xuepai und der Nur-Bewusstsein-Lehre 唯识学派 weishi xuepai (Vijnanavada, Cittamatra, Yogacara) übersetzt. Diese drei Konzepte stellen die drei Hauptbestandteile der Mahayana-Lehre dar. Jene Schriften, welche als Hinayana-Schriften abgestempelt wurden, wurden mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt. Dazu gehörten die Agamas, die erste der drei frühbuddhistische Schriftensammlungen:
- Die lange Lehrredensammlungen, Dirgha Agama, wurde in 413 n. Chr. in der Stadt Chang’An von den Mönchen Buddhayasas 佛陀耶舍, Zhu Fonian 竺佛念 und Dao-Han 道含 übersetzt.
- Die mittlere Lehredensammlungen, Madhyama Agama, wurde zuerst in 384 n. Chr. ebenfalls in der Stadt Chang’An von den Mönchen Dharma-nandi昙摩难提, Zhu Fonian 竺佛念 und Huisong 慧嵩 übersetzt. Diese Version ging verloren. Eine neuerliche Übersetzung erfolgte in 398 n. Chr. durch die Mönche Samgharaksa僧伽罗叉, Samghadeva 僧伽提婆 und Daoci道慈 in der Stadt Jiankang.
- Die gruppierte Lehrredensammlung, Saṃyukta Agama, wurde 435-436 n. Chr. ebenfalls in der Stadt Jiankang von den Mönchen Gunabhadra 求那跋陀羅, Baoyun 宝云 und Huiguan 慧观 übersetzt.
- Die angereihte Lehrredensammlung, Ekottarika Agama, wurde zuerst in 384 n. Chr. in der Stadt Chang’An von den Mönchen Dharma-nandi 昙摩难提, Zhu Fonian 竺佛念 und Huisong 慧嵩 übersetzt. Eine zweite Übersetzung machte Samghadeva 僧伽提婆 in 398 n. Chr.
Wie bereits in einem früheren Kapitel erwähnt, wurden diese frühbuddhistischen Schriften zu Beginn noch von großen Mönchen wie Dao An als wesentliche Grundlage der Buddha-Lehre angesehen. Mit der Verbreitung der Mahayana-Schriften mit der Betonung des Bodhisattvaweges wurden sie immer mehr als Schriften der zwei kleinen Fahrzeuge (Hinayana), sprich: Hörer und Einzelerwachten, etikettiert. Andere Quellen begründen die Zuordnung damit, dass diese Schriften aus den Hinayana-Schulen in Indien stammten. Erst in der modernen Zeit erlangten sie im Vergleich mit der Pali-Kanon der Theravada-Schule immer mehr Wertschätzung. Auch werden sie heutzutage im wissenschaftlichen Bereich nicht mehr Hinayana-Schriften genannt. Moderne Gelehrte meinen, dass eine Abwendung von diesen Schriften im alten China darin lag, dass diese Schriften zu umfangreich und zu viele Wiederholungen enthielten. Dazu kommt noch, dass deren Sprache zu komplex und deren Übersetzungen nicht fließend waren. Allenfalls widmeten sich die meisten chinesischen Buddhisten jener Zeit hauptsächlich den Mahayana-Schriften.
Zunächst übersetzte der indische Mönch Buddhabhadra 佛陀跋陀罗 (359-429 n. Chr.) gemeinsam mit dem Mönch Faxian die erste kurze Version des Mahaparinirvana Sutra. Mit diesem Werk setzte sich Zhu Daosheng 竺道生 (355-434 n. Chr.) auseinander und lehrte daraus. Die offenen Fragen und Unklarheiten dieser unvollständigen Version konnten erst geklärt werden, als der indische Mönch Dharmaksema 昙无谶 (385-433 n. Chr.) die vollständige Version übersetzte. Weitergehende Einsichten erlangte man durch Buddhabhadras Übersetzung des Tathagatagharba Sutra. Ein weiterer bedeutender Beitrag von Buddhabhadra war die Übersetzung der ersten Version des Huayan Sutra 华严经 hua yan jing, dem Sutra der Blumengirlanden. Dieses Werk berichtet von der ultimativen Sichtweise Gautama Buddhas im Moment seines großen Erwachens und hatte weitreichende Auswirkungen auf den chinesischen Buddhismus.
Eine weitere Bereicherung erfolgte einige Jahre später, als der gelehrte indische Mönch Gunabhadra 求那跋陀羅 (394-468 n. Chr.) im Jahr 435 über den Seeweg in der südchinesischen Stadt Guangzhou ankam. Er wurde vom Kaiser in die Hauptstadt Jiankang 建康 eingeladen und übersetzte wichtige Schriften für verschiedene buddhistische Schulen. Für die Buddhaessenz-Lehre waren es das Angulimala Sutra 央掘魔罗经 yang jue mo luo jing und das Srimala Sutra 胜鬘经 sheng man jing. Für die Nur-Bewusstsein-Schule übersetzte er das Lankavatara Sutra 楞伽經leng qie jing und das Saṃdhi-Nirmocana-Sutra 解深密经 jie shen mi jing, die später auch vom Mönch Bodhiruci 菩提流支 (?-?535 n. Chr.) in Nordchina übersetzt wurden. Durch diese Übersetzungen wurden wichtige Begriffe wie das Alaya-Bewusstsein 阿赖耶识 a lai ye shi und die Drei-Naturen 三自性 san zi xing bekannt gemacht. Jahrzehnte später trug noch die Übersetzungen des indischen Mönches Paramartha 真谛 zhen di (499-569 n. Chr.) wesentlich für die Etablierung der Nur-Bewusstsein-Schule in China bei.
Die Epoche der Nord- und Süddynastien ist eine Zeit der großen Übersetzer und großen buddhistischen Meister, die wesentlich zur Ausgestaltung der chinesischen buddhistischen Schulen beigetragen haben. Ein kurzer Überblick über diese Schulen und ihre Gründer folgt im nächsten Beitrag.
–> Fortsetzung: Teil 2: Ein Überblick über die chinesischen buddhistischen Schulen
(Mit Korrekturen von Ursula Presslauer, Birgit Seissl, Jörg Hollenstein und Alexander Maurer)
Kategorien:Buddhismus China
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