Dharmaschatz Podiumsutra d. 6. Ahnlehrers Kap. 6 (1): Die formlose Weihe
— Begleitlektüre zum wöchentlichen Drei Schätze Retreat
Huinengs Vorträge im Kloster Dafan im Zentrum der Stadt Shaozhou verschafften ihm große Bekanntheit und großen Respekt in der Region. Später zog er sich wieder in das, auf dem Berg gelegene, Kloster Baolin (seinen früheren Wohnort) zurück. Immer mehr Interessenten strömen herbei, um Huineng zu hören. Huineng musste manchmal spontan Vorträge vor einer versammelten Masse halten. Im Kapitel 6 wird von einem solchen Vortrag berichtet. Eines Tages sah er, wie sich einfache Bürger und konfuzianische Gelehrten aus den umgebenden Regionen im Kloster versammeln. Er bestieg das Podium und begann seinen Vortrag. Anstatt den Vortrag mit einer Zeremonie zu starten, lehrte er die formlose Weihe, den sog. fünffachen Weihrauch des Dharmakayas (Dharmakörper; Buddhawesen):
Edle Gefährten, ihr seid der Sache wegen gekommen, welche unserem Urwesen entspringt und zu allen Zeiten, bei jedem Gedanken von selbst den Geist reinigt. [Dabei] ist durch eigene Kultivierung und Praxis das eigene Selbst, [also] das Dharmakaya (Buddhawesen), zu sehen. [D. h.] den eigenen Geist-Buddha sehen, und sich selbst dadurch erlösen und disziplinieren. Erst dann [könnt ihr] etwas erreichen. Ihr seid, ohne Mühe zu scheuen, von weitem hierhergekommen. Die gemeinsame karmische Beziehung ist es, die unser Treffen hier ermöglicht. Nehmet nun alle den (indischen einseitigen) Kniesitz ein: Ich werde euch zuerst den fünffachen Weihrauch des Dharmakayas und dann die formlose Reue beibringen.[1]
Huineng beginnt gleich auf die Essenz seiner Lehre zu sprechen: das Sehen des Selbst, des Dharmakayas oder Buddhawesens. Bevor er näher darauf eingeht, fordert er alle auf, den indischen einseitigen Kniesitz einzunehmen. Dabei setzt man sich einseitig mit dem rechten Bein kniend hin. Es ist davon auszugehen, dass die Masse unorganisiert angekommen sind und alle im Freien vorm Kloster gestanden haben. Mangelnder Sitzmöglichkeit fordert der Lehrer alle einen einseitigen einfachen Sitz einzunehmen. Auf der anderen Seite ist damit eine formlose Weihe vollzogen. In der Regel ist eine Weihe im Kloster ausschweifender als dieser Kniesitz. Huineng machte es ihnen einfacher, um wiederum zu zeigen, dass es beim Chan (Zen) nicht vordergründig um Äußerlichkeiten geht. „Formlos“ ist die Übersetzung für das buddhistische chinesische Wort 无相 wu xiang, was nicht bedeutet, dass es keine Formen gibt, sondern dass es nicht von den äußeren Formen abhängen soll. Ein Ritual dient im Grunde zur Kultivierung von Respekt und Demut und kann je nach Umständen vereinfacht oder ja ausgelassen werden.

Nachdem alle den Kniesitz eingenommen haben, erläutert der Ahnlehrer nun den „fünffachen Weihrauch des Dharmakayas“. Warum Weihrauch? In der Regel erfolgt in einem chinesischen buddhistischen Tempel nach dem rituellen Knien die Darbringung von Räucherwerk am Altar. Räucherwerkdarbringung ist sowohl in indischer als auch in chinesischer Ritualtradition ein wesentlicher kultureller Bestandteil. Im alten China stellte der Weihrauch die Verbindung zwischen den Menschen und dem Himmel (bzw. den Ahnen) dar. Diese Tradition wurde von den buddhistischen Klöstern in China übernommen. Die hier anwesende Menschenmenge bestand aus einfachen Bürgern und konfuzianischen Gelehrten (die in der traditionellen chinesischen Kultur verwurzelt sind). Huineng scheint ihnen aber diese Rituale ersparen zu wollen: einerseits vereinfachte er komplexe Ritualbewegungen auf den einfachen Kniesitz, andererseits brachten sie gar keinen physischen Weihrauch dar. Abgesehen von den Schwierigkeiten, mit einer unorganisierten zusammengeströmten Menschenmenge ein aufwendiges Ritual durchzuführen, dürfte es ein Anliegen des Ahnlehrers gewesen sein, ihnen zu zeigen, dass der Zweck der rituellen Formen nicht im Äußeren liegt, sondern im Geist jedes Einzelnen. Die Verbindung zwischen Mensch und Himmel liegt im aufrichtigen, respektvollen Geist. Wenn dieser gegeben ist, sind äußere Formen unerheblich. Umgekehrt aber – wer prunkvolle Zeremonien durchführt, aber sich geistig nicht weiterentwickelt, hat den Sinn der Rituale nicht begriffen. Huineng erklärt nun, wie sie geistig diesen Weihrauch darbringen können. Dieser „fünffache Weihrauch“ entspricht den fünf tugendhaften Verdiensten, welche zum vollkommenen Buddhawesen führen. Zugleich stellen diese den Zweck und das Ziel der buddhistische Praxis kompakt und systematisch dar:
1. Der „Weihrauch“ der Silas (der ethischen Prinzipien)
Im eigenen Geiste ohne Falschheit, Böswilligkeit, Eifersucht, Gier, Hass, Gewalt zu sein, heißt der Weihrauch der Silas.
Hier ist keines der fünf buddhistischen Silas erwähnt, dennoch stellt die geistige Qualität die Grundlage aller ethischen Prinzipien dar. Damit weist Huineng darauf hin, dass der Zweck der Silas nicht im äußeren Handeln liegt, sondern in der Kultivierung des Geistes.
2. Der „Weihrauch“ des Samadhi (der Geistesstabilität)
Bei Anblick aller guten und schlechten Zustände bleibt der eigene Geist unverwirrt. Das heißt der „Weihrauch“ des Samadhi.
Wiederum ist hier nicht von den vier Versenkungsstufen der buddhistischen Praxis die Rede, sondern: einfach nur „unverwirrter Geist“. Allerdings ist dies der Zustand des Urwesens. Schafft man es, unverwirrt bei allen Gelegenheiten zu sein, bewahrt man seine Natur. Wozu dann noch an den Versenkungsstufen haften bleiben?
3. Der „Weihrauch“ des Prajna (der Weisheit):
Im eigenen Geiste ohne Hindernis sein und stets mit der Weisheit das eigene [Ur]Wesen betrachten und erleuchten. Unterlasse alles Böse. Tue alles Gute, hafte aber im Geiste nicht an diesen an. Die Oberen (Älteren) respektieren und Rücksicht auf die Unteren (Jüngeren) nehmen. Habe Mitgefühl für die Ärmeren und hilfsbedürftige Alleinstehende. Das heißt der „Weihrauch“ des Prajna.
Von den vielen Betrachtungswegen vom Körper über den Geist bis hin zu allen Phänomenen des Daseins ist nicht die Rede, sondern einfach nur „ohne Hindernis im Geiste“ und „das Urwesen betrachten und erleuchten“. Damit ist aber auch das endgültige Ziel des erwachten Zustandes beschrieben. Wenn dies erreicht ist, dann braucht man nicht über die einzelnen Betrachtungswege reden. Dies ist allerdings nicht einfach zu begreifen. Daher gibt Huineng hier konkrete Anweisungen für die Laien: „Unterlasse alles Böse, tue alles Gute.“ Ein einfacher Leitsatz, der eigentlich in allen Bereichen des Lebens gelten kann. Für die konfuzianischen Chinesen bietet er auch die passende Praxis in der Familie und im Beruf: die Oberen (Älteren) respektieren und Rücksicht auf die Unteren (Jüngeren) nehmen. Vermutlich sind viele anwesend, die wohlhabend sind, deshalb betont der Lehrer Mitgefühl für die Ärmeren und hilfsbedürftigen Alleinstehenden. Prajna als eine hohe Stufe der buddhistischen Praxis wird hiermit einfach und praktisch dargestellt.
4. Der „Weihrauch“ der Befreiung:
Der eigene Geist ist in nichts mehr verwickelt. Man hegt weder Gedanken über Gutes noch Schlechtes und ist gelassen ohne Belastung. Das heißt der „Weihrauch“ der Befreiung.
Die Befreiung ist das höchste Ziel des Buddhismus: die Auflösung der Ursache aller Leiden. Dieses schwierige Ziel wird hier wieder einfach dargestellt mit „man hegt weder Gedanken über Gutes noch Schlechtes und ist gelassen ohne Belastung“. Einfach gesagt, aber schwer getan. Damit hat der Lehrer das Ziel der Praxis für die Laien klar formuliert.
5. Der „Weihrauch“ des Wissens und der Sicht [im Zustand] der Befreiung:
Wenn der eigene Geist in nichts – Gutes oder Schlechtes – mehr verwickelt ist, darf man nicht in der Leerheit verweilen und die Stille hüten. Man hat umfassend zu studieren und vieles sich anzuhören, um den ursprünglichen Geist zu erkennen und sich den Sinn [der Lehre] aller Buddhas zu verinnerlichen. Das Licht [des Geistes] tritt in Kontakt mit den Dingen [im Herzen und Umfeld] und hegt dabei nicht die Vorstellung vom Ich und den Anderen. Bis zum Erwachen verändert sich das wahre [Ur]Wesen nicht. Das heißt der „Weihrauch“ des Wissens und der Sicht [im Zustand] der Befreiung.[2]
Der Lehrer weist daraufhin, dass mit der Befreiung nicht alles getan ist. Wer schon so weit gekommen ist, soll sich dann auch weiter mit der Lehre auseinandersetzen und sich um Vervollkommnung bemühen. Dabei ist es wichtig, sich nicht zu scheuen, in Kontakt mit dem Umfeld und den Mitmenschen zu bleiben, dabei sein Licht auszustrahlen und die Nächsten auch zum Erwachen zu bewegen. Dies ist zugleich der Weg, das Konzept vom „Ich“ und „den Anderen“ loszulassen, und das formlose wahre Sein zu begreifen. Dies nennt man auch „Selbst erwachen und andere erwecken“, was das Hauptanliegen des Weges der Einheit ist. Dazu ein Zitat des Seniorobermeisters Gao Binkai (1924-2008), Gründer der Andong Gruppe des Weges der Einheit:
Das Podiumsutra beginnt als Erstes mit dem Satz: „Das eigene Wesen ist an sich erwacht und von Natur aus rein und klar. Einfach diesem Sinn folgen und direkt das Buddhatum erlangen!“ Dieser Satz von Ahnlehrer Huineng birgt den geheimen Schatz unseres Erhabenen Lehrers in sich. Bei der Einführung ins Dao haben wir unmittelbar unseren vollkommenen, klaren, reinen Geist erfahren. Einfach mit diesem Geist unmittelbar alles angehen, nicht jedoch mit dem feindseligen, bestreitenden, nachtragenden, differenzierenden Geist, so werden wir bestimmt direkt das Buddhatum erlangen.
Ein Buddha ist ein vollkommen Erwachter, der sowohl selbst erwacht ist als auch andere erwecken kann. Wir sind ins Dao eingeführt, so ist bereits unsere eigene wahre, gütige und schöne Natur erweckt geworden. Wenn diese zu wirken beginnt, manifestiert sich das göttliche Licht unserer natürlichen Weisheit. Wir haben dieses klar zu erkennen, um uns damit selbst zu führen und zu regulieren, sodass keine unbedachten, tollkühnen und unedlen Züge die Oberhand gewinnen. So könnt ihr, auch wenn ihr künftig in schlimme Weltgegenden oder Höllenwelten geht, euch der eigenen Richtung stets gewiss sein und gelassen dem natürlichen Lauf der Dinge folgen. Das bedeutet die Rückkehr zum eigenen Ursprung […].
Wir haben die Kostbarkeit des Dao begriffen, deshalb haben wir mit unserem wahren, gütigen und schönen Licht [des Geistes] die Dunkelheit der anderen zu durchbrechen und zu erhellen. Wir geben uns dazu her, die anderen Menschen auf dem Weg des Erwachens anzuleiten und zu inspirieren, sodass auch sie die wahre, gütige und schöne Welt in ihrem Geiste erkennen. Das heißt „die Anderen erwecken“. In dem wir gleichzeitig selbst erwachen und andere erwecken – wobei beide Prozesse einander begünstigen und fördern – erweitern und steigern wir stets unsere Weisheit und Erkenntnis des Urwesens. Dadurch werden wir in unserer Sprache, in unserem Auftreten und Verhalten in Alltag und Beruf stets den Glanz unserer wahren, gütigen und schönen Natur ausstrahlen, wodurch die Umgebung und die Mitmenschen zum Positiven beeinflusst werden.[3]
Dazu ein Anekdote:
Es war einmal ein junger Mann, der wollte eine Porzellanschüssel kaufen. Er ging in den Laden, hob eine Schüssel von der Regal auf und klopfte diese gegen eine andere, welche er selbst mitgebracht hat. Ein tiefer, stumpfer Klang war zu hören. Er schüttelte enttäuscht den Kopf und probierte auf die gleiche Art und Weise weitere aus. Das Resultat war gleich. So probierte er fast alle Schüsseln aus, aber keine konnte ihn zufrieden stellen. Der Ladenbesitzer fragte verblüfft, was das denn werden sollte. Der junge Mann sagte, dass ein Kenner ihm erklärt hatte, dass eine gute Schüssel am klaren, sauberen und wohlklingenden Klang erkennbar sei. Der Verkäufer verstand. Er gab dem jungen Kunden eine Schüssel in die Hand und bat ihn, es nochmals zu versuchen. Nun brachte fast jede Schüssel einen sauberen, klaren und wohlklingenden Ton hervor. Warum? Der Verkäufer erklärte ihm lächelnd: „Du hast zuerst eine Schüssel verwendet, die selbst von schlechter Qualität war. Deshalb brachte jede Schüssel einen schlechten Ton hervor. Ich habe dir jetzt eine hochqualitative Schüssel gegeben, dadurch klingt jede Schüssel, an die man mit ihr klopft, klar, sauber und schön. Möchtest du eine gute Schüssel finden, muss die Testschüssel selbst hochqualitativ sein!“
Der Mensch ist wie diese Schüssel, er kann mit Güte, Vertrauen, Toleranz und Aufrichtigkeit ausgestattet sein, oder aber auch mit Egoismus, Misstrauen, Engstirnigkeit und Falschheit. Wenn man die eigenen Makel beseitigt, wird man beim Kontakt mit anderen Menschen stets einen klaren, sauberen und wohlklingenden Ton bewirken können. Sei das beste Selbst und wecke das beste Selbst in den Anderen!
[1] 来诸善知识。此事须从自性中起。于一切时。念念自净其心。自修自行。见自己法身。见自心佛。自度自戒。始得。不假到此。既从远来。一会于此。皆共有缘。今可各各胡跪。先为传自性五分法身香。次授无相忏悔。
一。戒香。即自心中。无非。无恶。无嫉妒。无贪瞋。无劫害。名戒香。
二。定香。即睹诸善恶境相。自心不乱。名定香。
三。慧香。自心无碍。常以智慧观照自性。不造诸恶。虽修众善。心不执着。敬上念下。矜恤孤贫。名慧香。
四。解脱香。即自心无所攀缘。不思善。不思恶。自在无碍。名解脱香。
五。解脱知见香。自心既无所攀缘善恶。不可耽空守寂。则须广学多闻。识自本心。达诸佛理。和光接物。无我无人。直至菩提。真性不易。名解脱知见香。
善知识。此香各自内薰。莫向外觅。
[3] 厚德大帝: 六祖坛经开宗明义就是“菩提自性,本来清净,但用此心,直了成佛。”慧能祖师讲这句话就隐含着师尊传授我们的天机密宝,在求道时,我们自觉当下完美清净的心,就用这个心直下承担,不再用其他的对立心,竞争心,计较心,分别好坏种种心念,那么必然“直了成佛”。佛是自觉觉他的圆满彻悟者。我们求了道,即已“自觉”自觉内在具足的真善美,开始发挥作用,良知的灵光就随时显现,我们就要认清它,以它为主宰来调整自己,不再让意气、英雄气、俗气挂帅,那么即使你将来到非洲去,或到地狱去,你都能有个肯定的方向,而能随缘自在,这就是回复本位,见到故家乡。
我们明白了道的珍贵,以这个真善美具足的光辉来照破别人的黑暗。我们忙里偷闲,牺牲时间与享受去帮助别人,作家访,去引导、启发众生上觉路,让他们也发现到自己的真善美天地,这就叫“觉他”。如此自觉觉他,并行并进,相辅相成,我们智慧会越开展,心性见地会越提升,越能在言语上、形态上、举止上,应对进退或做生意上,让人感受到你身上所放射出真善美的光辉。
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Kategorien:Chan- (Zen-) Buddhismus, Podiumsutra 六祖坛经
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